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WIE MAN SICH SEIN HOBBY ABGEWÖHNT

#51 WALLER PARK: Erich Schneider führt seit zwei Jahren einen Modellbauladen. Gern würde er mehr Kinder in seinem Geschäft begrüßen, aber seine Kundschaft wird immer älter (Online-Artikel)

Das Handy in Erich Schneiders Brusttasche klingelt. Er wirft einen kurzen Blick drauf und schüttelt den Kopf. „Nicht der schon wieder“, murmelt er und sagt etwas geheimnisvoll: „Das meinte ich vorhin mit der Sozialstation.“ Schneider kauft und verkauft Modelleisenbahnen und Modellbauzubehör. Der kleine, vollgestellte Laden an der Ecke Gröpelinger Heerstraße/Altenescher Straße sieht aus, als stehe er schon seit sehr langer Zeit dort. Tatsächlich gibt es „Erich’s Modell-Shop“ aber erst seit zwei Jahren. Schneider, 57 Jahre alt, besaß vorher eine kleine Spedition. Weil sich das aber nicht mit seinem Leben als alleinerziehender Vater vertrug, begann er, hauptberuflich in einem Modellbauladen zu arbeiten, in dem er vor dem Studium schon gejobbt hatte. Als dieser, wie so viele andere auch, den Betrieb einstellte, entschloss sich Schneider, einen eigenen Laden zu eröffnen.

Ein alter Herr kommt langsam, sich an den Regalen abstützend, in den Laden. „Ich muss zum Jahresende aus meiner Wohnung ausziehen und hab‘ so ’ne kleine zarte Modellbahn, vier Meter mal eins-fuffzig.“ „H0 oder N?“, fragt Schneider. „N.“ Die Abkürzungen stehen für die beiden gängigen Größen im Modellbau. Als alle weiteren technischen Details geklärt sind, macht Schneider mit dem Herrn für die folgende Woche einen Termin aus.

„Erich’s Modell-Shop“ ist auf den Secondhandhandel spezialisiert. Denn Modellbau ist kein billiges Hobby, die steigenden Neuwarenpreise können sich viele nicht mehr leisten. Die Digitalisierung ist auch in diesem Bereich angekommen, wodurch die Modelle und die Technik immer perfekter und aufwendiger werden, gleichzeitig aber auch immer teurer. Die Secondhand-Preise liegen etwa bei der Hälfte der Neupreise, manchmal noch darunter.

Wer dem Hobby Modelleisenbahn mit dem nötigen Ernst nachgeht, braucht nicht nur Schienen, Lokomotiven und Waggons, sondern auch Landschaften und Gebäude und Leben drum herum. Kleine Imbissbuden, Hopfenfelder oder das Figuren-Set „raufende Jugendliche“, bei Schneider kann man fast alles finden, natürlich auch künstlichen Qualm und Soundmaschinen, die Vogelgezwitscher oder Autolärm imitieren. Manche Modellbauer spezialisierten sich auf eine ganz bestimmte Zeit, erzählt Schneider. Da kämen nur zeitgenössische Züge auf die Schienen, beispielsweise aus den 70ern, auch die Umgebung sei dann entsprechend angepasst.

Obwohl Modellbau geradezu als Archetyp aller Hobbys bezeichnet werden kann, fehlt allerdings der Nachwuchs. „Kinder kommen eher selten in den Laden“, sagt Schneider, der Modellbau für eine sehr sinnvolle Beschäftigung für Kinder hält. Man lerne mit Strom, Holz und Metall umzugehen und  Landschaften zu gestalten. Einige Modellbauer beschäftigten sich außerdem mit dem „großen Vorbild“, der richtigen Bahn und ihrer Verkehrspolitik.

Dass Kinder all dies immer weniger interessiert, liegt laut Schneider auch an den „verpassten Chancen“ der Hersteller. Die Kinderserie mit Thomas der kleinen Lokomotive beispielsweise sei wie dafür gemacht, Kinder für elektrische Eisenbahnen zu begeistern. Und tatsächlich gibt es eine englische Firma, die die blaue Lokomotive mit dem freundlichen Gesicht für den Modellbau anbietet. Schneider hat davon mehrere verkauft und auch noch ein Exemplar im Laden; er findet es aber völlig unverständlich, dass es nicht das kleinste bisschen Werbung für den elektrischen Thomas gibt.

Ein weiterer älterer Herr erscheint in der offenen Ladentür. „Na“, begrüßen sich die beiden Männer. „Die erste, die anderen beiden von der HMV hab ich vergrößert“, sagt der ältere Herr und stellt ein Schiffsmodell aus Papier auf den Tisch. Schneider weiß, wovon die Rede ist, und begutachtet fachmännisch die frisch lackierte „Oldenburg“. „Das ist jetzt der Kleine in 1:87, ne?“ – „Nee, der in 1:100.“ Der Geruch des Lacks erinnert Schneider an Leinöl und an seine erste Ausbildung auf einer Werft. Schürenstedt in Werne, „die sind ein paar Jahre vor der AG Weser kaputt gegangen.“ – „Da, wo die Schiffe am Deich stehen?“ – „Ja, genau, die sind da den Deich runtergerutscht. Und irgendwann rutschte da gar nichts mehr runter, da haben wir dann mit 400 Mann zu Weihnachten unsere Kündigung gekriegt.“

Der Großteil von Schneiders Kunden sind ältere Männer, viele davon alleinstehend. Für diese Klientel ist er nicht nur Verkäufer, sondern manchmal auch das offene Ohr, das die Einsamkeit daheim zu überbrücken hilft. „Man hat manchmal so’n bisschen das Gefühl, man übernimmt hier unentgeltlich die Aufgabe einer Sozialstation“, sagt Schneider.

Während Schneider in seinem Laden steht und passionierten Bastlern das nötige Zubehör verkauft, stagniert seine eigene Modellbahn zu Hause schon seit Jahren. Wenn man den ganzen Tag im Laden stehe, wolle man zuhause auch mal etwas anderes machen. „Die beste Methode, sich ein Hobby abzugewöhnen, ist, es zum Beruf zu machen“, sagt er.

Aus ökonomischer Sicht, sagt Schneider, lohne sich solch ein Laden nicht wirklich. Man müsse schon ein wenig verrückt sein, um einen solchen Beruf zu haben. Aber: „Wenn man da einmal mit angefangen hat, ist es nicht so leicht, wieder aufzuhören.“

Text: Teresa Wolny
Fotos: Lena Möhler