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WER BRAUCHT SCHON RUHE ZUM LERNEN?

#26 WALFISCHHOF – 100 Dezibel drücken auf die Ohren, wenn angehende Schlagzeuglehrer ihr Spiel verfeinern. Wer braucht schon Ruhe zum Lernen? Ein Besuch im Trommelwerk Bremen.

 

ZdS_26_Trommelschule_onlineEin langer schmaler Gang, Tür reiht sich an Tür, am Ende ein Konzertsaal. Pearls, Premiers und jede Menge Sonors stehen im Raum, vier Drummer setzen sich breitbeinig hinter die Schlagzeuge. „So, ohne dass wir nervös werden: den A-Teil mit Besen und dann Stickwechsel auf B“, sagt Stefan Ulrich, genannt Steff. Er unterrichtet Jazz für angehende Schlagzeuglehrer, seine Studenten sollen den Wechsel zwischen Drumsticks und Jazzbesen üben. Eine knifflige Koordinationsübung: Wohin mit dem überzähligen Stick? Der Trommelwerk-Schüler Daniel Schneiker sucht noch eine geeignete Ablage. „Man kann den anderen Stick super untern Arsch oder untern Arm klemmen“, rät Steff. Daniel nimmt den Hintern, los geht‘s. Den Besen in der linken Hand, streichelt er über das Fell der Snaredrum, rechts bringt der Stick Becken zum Scheppern, die Bassdrum wummert. Wechsel! Daniel legt den Besen in behutsamer Eile auf die große Trommel, zieht den zweiten Stick hervor und findet den verlorenen Takt wieder. Alles gut gegangen.

„Mein Vater war Schlagzeuger bei Revolver“, schwärmt der 32-Jährige. Die Band war eine in den 80er Jahren erfolgreiche Hardrock-Band. Mit 15 Jahren fing er selbst an zu spielen. „Immer schon Heavy Music“, sagt Daniel. Oder besser: fast immer. Ein paar Mal trommelte er als Playback-Schlagzeuger für die „Flippers“. Vom Hardcore-Punk zum Schmuse-Schlager – kein Tabubruch? „Mal herumkommen“, wollte er nur. Seit 2011 ist er Drummer der Amsterdamer Band „Vitamin X“. Seitdem tourt er durch die Welt: Japan, USA, England, Brasilien, und bald auch Indonesien. Sie spielen in besetzten Häusern, Jugendzentren, Clubs und auf großen Festivals wie „Wacken“.

Zum Leben reicht das noch nicht. „Ich will mehr lernen, mir ein zweites Standbein schaffen“, sagt Daniel, der ursprünglich Einzelhandelskaufmann gelernt hat. Derzeit verdiene er seinen Lebensunterhalt als Backliner in einer Musikverleihfirma in Scheeßel – ein Bürojob. Sich ganz auf die Musik konzentrieren und eine eigene Schlagzeugschule aufmachen – das sei sein Traum. Deshalb pendelt er fünf Tage die Woche von Hamburg nach Bremen, um sich im Trommelwerk zum Schlagzeugpädagogen ausbilden zu lassen.

Innerhalb von zwölf Monaten lernen die Trommelwerk-Schüler alles rund ums Drumset: Musikgeschichte, Jazzgroove oder Bühnenpräsenz werden vermittelt. Staatlich anerkannt ist das Trommelwerk aber nicht. „Wir bieten künstlerischen Freiraum, ohne starres Curriculum“, sagt Andi Pfeifer, der das Trommelwerk mit Max Gebhardt vor drei Jahren gegründet hat. Wie man selbst unterrichtet, üben die angehenden Schlagzeug-Pädagogen an der Musikschule „nebenan“. Deren Leiter Dietmar Hussong ist gleichzeitig auch Dozent beim Trommelwerk, wenn er sich nicht gerade um seine eigenen 150 Schüler kümmert. Oder um die Überseestadt-Unternehmer in der Mittagspause, die statt Kaffee zu trinken lieber eine Stunde am Schlagzeug schmettern. In der Baumstraße 45 dreht sich alles ums Schlagzeug.

„So, einmal Stage-Stunde“, unterbricht Steff die Übung mit dem Jazzbesen. Obwohl keiner mehr spielen soll, trommeln alle Finger automatisch weiter. Schlagzeuger-Tick. „Niemals alte Becken wegwerfen! Rissige Becken klingen total geil und trashig“, sagt Steff. Er kramt sein Schlüsselbund aus der Hosentasche, legt es auf die Snaredrum und demonstriert den veränderten Sound. „Seid kreativ. Das macht gute Schlagzeuger aus.“

Also sucht sich Daniel Schneiker einige Perkussions-Instrumente zusammen, um ein atmosphärisches Intro zu erzeugen. Er schrammt mit der Cabasa-Rassel leicht über die Becken und streicht mit dem Jazzbesen über den Schellenring, bevor es mit der Übung weitergeht: den A-Teil mit Besen und dann Stickwechsel auf B. Alle Lehrer waren einmal Schüler.

Text: Lisa Mahnke
Foto: Annika Drichel

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