Alle Artikel mit dem Schlagwort: Bildung

WIR GRÜNDEN EINE UNI!

Leben und Überleben sind nicht das gleiche. Menschen in Kriegsgebieten überleben einen Bombenangriff. Menschen auf der Flucht überleben die Fahrt im Schlauchboot über das Mittelmeer. Menschen ohne Wohnung überleben eine eiskalte Nacht auf der Straße. Man könnte ergänzen „gerade so“, „mit viel Glück“ oder auch „nicht“. Überleben ist Leben am Abgrund. An einem Abgrund leben auch Menschen in besonderen sozialen Schwierigkeiten. Ihren Abgrund bilden z.B. Einsamkeit, Unerwünschtsein und Machtlosigkeit. Sie überleben, aber zu einem menschenwürdigen Leben fehlt ihnen der Zugang zu Gemeinschaft, Kultur und Bildung. Die formalen, finanziellen und gesellschaftlichen Barrieren sind für sie unüberwindlich. Dabei sind es Menschen am Rand der Gesellschaft, die in ihrer Persönlichkeitsentwicklung und Selbstbestimmung am meisten von geweckter Neugier, Horizonterweiterung, positiven Lernerfahrungen und Gemeinschaftserlebnissen profitieren können. Deshalb werden wir 2016 aus der Zeitschrift der Straße heraus ein Bildungsprogramm für Menschen besonderen sozialen Schwierigkeiten starten: die Uni der Straße! Im Semesterrhythmus wollen wir mit Unterstützung von Fachleuten lebensnah und spielerisch Einführungen in unterschiedliche Wissensgebiete und Kulturbereiche anbieten, Workshops und Exkursionen durchführen, Begegnungen ermöglichen und Fortschritte feiern. Wir möchten den Teilnehmenden helfen, …

WIE LEBT MAN ALS OBDACHLOSER?

Wie lebt man als Obdachloser? Wie fühlt es sich eigentlich an, kein Zuhause zu haben? Was würde einem fehlen, was wären die größten Schwierigkeiten?   Diese Fragen stellten sich in den vergangenen Tagen 13 Konfirmanden der evangelischen Gemeinde Arsten-Habenhausen. In einer Projektwoche beschäftigten sie sich an zwei Nachmittagen mit dem Streetworker Jonas Pot d’Or vom Verein für Innere Mission mit dem Thema Obdachlosigkeit. Sie diskutierten, wie man eigentlich obdachlos wird und welche Hilfemöglichkeiten es gibt. Dann ging es raus in die Kälte: Eine Gruppe versuchte eine Stunde lang, Flaschen zu sammeln, eine, die Zeitschrift der Straße zu verkaufen. Die erzielten Einkünfte an diesem kalten, regnerischen Tag waren für die Jugendlichen ernüchternd: Nach einer Stunde hatte keiner von ihnen eine Zeitschrift verkauft, die Gewinne aus dem Flaschensammeln beliefen sich auf wenige Euro. Mit solchen Arbeiten seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, wie es viele Menschen tun, die etwa aus Rumänien hierher gekommen sind, war für sie schwer vorstellbar. Vieles fiel ihnen aber dazu ein, was sie vermissen würden, wenn sie obdachlos wären: Ein gemütliches Bett im Warmen etwa, …

UNTER BLINDEN

#32 GETEVIERTEL – Christoph Kendel ist Lehrer an der Blindenschule im Geteviertel. Täglich unterstützt er Kinder mit Sehbehinderung dabei, ihren Schulalltag zu meistern.   Brille mit schwarzem Rahmen, braunes Hemd, darüber eine knallgelbe Warnweste – Christoph Kendel steht mitten auf dem Schulhof. Er hat Pausenaufsicht. Die gelbe Weste gibt den sehbehinderten Schülern Orientierung, hilft ihnen, ihren Lehrer besser wahrzunehmen und sofort zu wissen, wo er ist. Langsam tritt Kendel vom einen Bein auf das andere. Um ihn herum toben Kinder, spielen mit einem alten, etwas zerknautschten Ball Fußball. Von der Rutsche her hört man Geschrei – wie auf jedem anderen Schulhof. Und doch ist die Georg-Droste-Schule, zu der der Schulhof gehört, etwas Besonderes. Das Klettergerüst, die Torwand, das hellgelbe Gebäude. All das gehört zu dem Förderzentrum für Sehen und visuelle Wahrnehmung im Geteviertel. Christoph Kendel unterrichtet hier seit neun Jahren. Während er zum Eingang des Schulgebäudes geht, hat er trotzdem ein breites Lächeln im Gesicht. Er scheint motiviert. „Hallo Herr Kendel!“, grüßen die Schüler ihn. Kendel streckt die Hand aus, ein Junge schüttelt sie, grinst …

KOPF KAPUTT

BISS/München: Unsere Autorin hat fünf Monate lang unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Deutsch unterrichtet. Ein Erfahrungsbericht   Im September 2014 war mir per E-Mail ein Notruf zur Betreuung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge zugegangen: „Wir suchen dringend Betreuer, die irgendwie pädagogisch geschult bzw. geeignet sind.“ Da die Bayernkaserne als Erstaufnahmestelle aus allen Nähten platzte und die Plätze in den Münchner Clearingstellen für Jugendliche alle schon besetzt waren, richteten die freien Träger der bayerischen Jugendhilfe im Herbst letzten Jahres mehrere Notunterkünfte als Dependancen der Bayernkaserne ein. In einer solchen Unterkunft – einem umfunktionierten Versammlungssaal – sollten 25 männliche Jugendliche wohnen und auch in Deutsch unterrichtet werden. „Das entspricht nicht gerade dem, was wir uns unter Jugendhilfe vorstellen, aber im Moment bricht einfach alles zusammen“, hatte die Verantwortliche des freien Trägers in der E-Mail geschrieben. Bei der Sprachschule Inlingua hatte ich einen Sommer lang Deutsch als Fremdsprache unterrichtet für junge spanische Ingenieure, ehrgeizige osteuropäische Akademikerinnen, verwöhnte Austauschschüler aus den USA und den Emiraten. Gerade war ich knapp bei Kasse, und so hoffte ich, ein paar Arbeitsstunden als Deutschlehrerin für Flüchtlinge …