Alle Artikel mit dem Schlagwort: Obdachlose

EIN SCHNACK MIT ALEXANDER

#33 FALKENSTRASSE. Eine Einladung führte ihn nach Bremen, wo er seit acht Jahren auf der Straße lebt Wie man leicht hören kann, komme ich aus dem Rheinland, genauer gesagt aus Köln. Dort habe ich die ersten 25 Jahre meines Lebens gelebt. „Gewohnt“ kann man nicht unbedingt sagen, denn seit meinem 17. Lebensjahr lebe ich auf der Straße. Damals bin ich bei meiner Mutter rausgeflogen, wir hatten uns ständig in den Haaren wegen des Kiffens und des Alkohols. Irgendwann hat es geknallt und ich stand auf der Straße. Zu meinem Vater konnte ich nicht, den hatte ich nie kennengelernt. Also bin ich umhergezogen, habe im ständigen Wechsel bei Freunden gewohnt oder eben auf der Straße gelebt. Nach der Sonderschule habe ich eine Lehre als Maler und Lackierer angefangen. Nach eineinhalb Jahren habe ich aber abgebrochen und mich stattdessen mit Gelegenheitsjobs über Wasser gehalten. Als meine Alkoholprobleme immer heftiger wurden, habe ich eine Therapie gemacht und auch durchgezogen. Danach bin ich weg aus Köln, ich brauchte dringend einen Tapetenwechsel. Nach Bremen kam ich dann aus Zufall, ich …

„DAS EINZIGE WAS MICH HIER HÄLT,
IST DIE ERDANZIEHUNGSKRAFT“

#111 SCHARNHORST­STRASSE. Kurz nach seinem 50. Geburtstag betrachtet unser Verkäufer Marco sein Leben. Er hat noch viel vor in den nächsten Jahren Es ist ein regnerischer Samstagvormittag in der Findorffer Hemmstraße, eine von Marcos vielen Heimaten. Wir flüchten erst mal ins Trockene. Mit Blick auf die Martin-Luther-Kirche beginnt er über eine heiße Schokolade hinweg zu erzählen. Auf seine Geburt in Wittenberg folgt eine Kindheit im Berliner Osten: Endstation S1, Oranienburg. Diese Zeit prägt ihn, das Leben in der DDR fühlt sich nach Gefangenschaft an. Es hat zwar alles seine Ordnung, aber Marco will wissen, was hinter der Mauer passiert. Im Geografieunterricht der fünften Klasse wird ihm eine Weltkarte gezeigt. Er bereist Hauptstädte mit dem Finger, die für ihn nur Punkte hinter der Grenze sind, welche nicht zu überwinden scheinen. Dann endlich Neuland. Kurz vor dem Mauerfall flieht die Familie per Trabant über Österreich und Ungarn schließlich nach Bremen. Damals ist Marco 17. Sein Berlinern wird schnell zum „sauberen Bremer Hochdeutsch“, Marco kommt an, aber irgendwie doch nie so ganz. Nach dem Abitur überwältigt ihn das Lebensgefühl …

WIR BENÖTIGEN IHRE HILFE

In diesen Tagen liegt den Ausgaben der Zeitschrift der Straße ein Überweisungsträger bei. Ja, wir brauchen Geld – die Zeitschrift der Straße finanziert sich ausschließlich aus dem Verkaufserlös, den Werbepartner:innen und Spenden. Wir erhalten keinerlei behördliche Unterstützung und sind aus diesen Gründen auch auf Ihre Unterstützung angewiesen. Wir benötigen finanzielle Unterstützung, um unsere Verkaufspersonen ausstatten zu können. Dazu gehört die Ausrüstung für den Verkauf, Winterhilfen, kleinere Verpflegungsangebote und anlassbezogene Zuwendungen. Sie können für Ihre Spende auch das Spendenformular auf unserer Website nutzen oder Sie spenden an:Verein für Innere Mission in BremenBank: Sparkasse BremenIBAN: DE22 2905 0101 0001 0777 00BIC: SBREDE22XXXVerwendungszweck: Zeitschrift der Straße. Spenden sind steuerlich absetzbar! In der kalten Jahreszeit sind natürlich auch Sachspenden sehr willkommen – über heile und saubere Winterkleidung oder Schlafsäcke freuen sich z. B. die Kleiderkammern des Café Papagei (nur Männerkleidung) oder des frauenzimmer (nur Frauenkleidung). Vielen Dank!

#113 RAUSCH

EDITORIAL: Party, Elend und Ekstase Liebe Leser:innen, nein, „Rausch“ ist kein Bremer Straßenname. Aber es ist ein Thema, das die Straße betrifft, nicht nur, weil viele unserer Verkäufer:innen Suchterfahrung mit sich herumschleppen. Rausch gehört zum Leben, bei Wohnungslosen nicht mehr oder weniger als bei anderen Menschen. Die jahrzehntealte Debatte um die Drogen­szene am Hauptbahnhof hat in den letzten Monaten mal wieder Fahrt aufge­nom­men, weil die Crack-Welle die ganze Stadt herausfordert: Streetworker:innen, Strafverfolgungs­behörden, die Zeitschrift der Straße – aber auch den meisten von Ihnen, unseren Leser:innen, dürften die Folgen nicht entgangen sein. Aber ist Rausch gleich Sucht, gleich Elend, gleich Sicherheitsproblem? Ein paar Minuten zu Fuß vom Drogen-Hot-Spot Hauptbahnhof sieht die Sache gleich ganz anders aus: Für die Bars und Kneipen an der Schlachte etwa ist Rausch ein gern gesehenes Phänomen, ein profitabler Wirtschaftszweig und ein beworbener Anziehungspunkt für den Tourismus. Rausch prägt Straßen und Stadtgesellschaft auf sehr unterschiedliche, manchmal widersprüchliche Weise. Und darum ist er auch ein Thema für die Zeitschrift der Straße. Für diese Themenausgabe haben wir etwa Bremens Cannabis Social Club besucht, einen …

GEHT DURCH BREMEN MIT OFFENEN AUGEN!

Auf der Straße zu leben ist hart. Aber zu Beginn des Winters wird es für viele Obdachlose noch härter – im schlimmsten Fall lebensgefährlich.   Im Idealfall werden Menschen gar nicht erst obdachlos. Aber es passiert, und zwar Tausenden, in Deutschland. Als Vertriebskoordinator der Zeitschrift der Straße werde ich häufig von Freunden und Bekannten gefragt: Was kann ich tun in der kalten, nassen Jahreszeit? Wie kann ich helfen, wenn ich Obdachlosen auf der Straße begegne? Ganz klar, eine Tasse heißen Kaffee oder etwas Geld können nicht schaden. Wenn es sich um einen Verkäufer der Zeitschrift der Straße handelt, kauft ihm ein oder zwei Hefte ab. Ihr könnt die Person auch fragen, ob sie Hilfe benötigt; menschenfreundliche Ansprache ist immer gut. Aber ich möchte davor warnen, zu meinen, das wäre genug. Man sollte immer gucken, ob man mehr tun kann. Wer einen Obdachlosen im Winter auf der Straße schlafen sieht, kann den Rettungsdienst (112) alarmieren. Lieber einmal zu viel angerufen haben, als einen möglicherweise erfrierenden Menschen auf der Straße allein zu lassen. Auch der Verein für …

DIESES VERDAMMTE WOCHENENDGEFÜHL

Freitagnachmittag. Das Wochenende steht bevor. Für Unzählige das rettende Ufer nach einer strapaziösen Arbeitswoche. Sie alle arbeiten auf das Wochenende hin. Unternehmungslust oder Ruhezeit stehen auf dem Plan. Obdachlose sind in der Woche auch eher rastlos, versuchen durchzukommen, eine ebenso stressige Woche, aber nicht unbedingt mit der Hoffnung verbunden, ein tolles Wochenende zu haben. Wochenende bedeutet für sie oft Leere: eine trostlose, fast menschenleere Bremer Innenstadt, unterbrochen nur vom Lärm der Discothekenbesucher am Wochenende. Man muss die Zeit rumbringen, irgendwie diesen Wochenendtrip wieder überstehen. Und für einige der Betroffenen endet das Wochenende im Vollrausch, um zu vergessen. Das Wochenende auf der Straße zeigt sich oft monoton, doch nicht nur das. „Du ahnst, es war nicht das letzte Wochenende auf der Straße. Unzählige werden folgen. Wieder alles auf Null. Am liebsten das Wochenende überspringen, beiseiteschieben, um direkt zum Montagmorgen zu kommen, denkst du.“ Diese Gefühle kennen viele Obdachlose. Irgendwann am Wochenende erfasst es jeden. Das melancholische Loch ist vor allem auf der Straße tief. Menschen, die dort leben, haben keine räumliche Ausweichmöglichkeit, keinen emotionalen Fluchttunnel. Überempfindlichkeit …

DAS LÄSST UNS NICHT KALT!

#44 BÜRGERWEIDE – Mehrere Hundert Menschen in Bremen sind obdachlos, das heißt, sie leben permanent auf der Straße. Daneben gibt es sehr viele Menschen ohne festen Wohnsitz, die in Notunterkünften oder Wohnheimen leben.   Die Gründe für Obdachlosigkeit sind vielfältig, aber häufig sind es Schicksalsschläge wie Trennung, Gewalterfahrungen oder Jobverlust, in deren Folge Menschen auf der Straße landen. Dieses gravierende soziale Problem muss mehr Aufmerksamkeit in Politik und Gesellschaft erfahren. Viele unserer StraßenverkäuferInnen wissen aus eigener Erfahrung, an welchen Orten in der Stadt sich Menschen aufhalten, die kein Dach über dem Kopf haben. Nicht jeder und jedem sieht man es auf den ersten Blick an. Es ist tatsächlich nicht ungewöhnlich, dass jemand im Sommer auf einer Bank im Bürgerpark oder den Wallanlagen übernachtet. Aber im Winter? Bereits bei Temperaturen, die deutlich über null liegen, birgt die Nacht unter freiem Himmel die Gefahr des Auskühlens und Krankwerdens. Was also wird mit denen, die keinen geschützten Platz zum Schlafen haben? Oft bieten ein heißer Kaffee, eine Suppe und ein Schlafsack Erste Hilfe in der größten Not. StreetworkerInnen …

ABSCHIED NEHMEN AM 20. NOVEMBER

Wenn obdachlose Menschen sterben, werden sie meist anonym bestattet, den genauen Ort kennen nur die Behörden. So war es lange Zeit auch in Bremen, bis der Verein für Innere Mission vor vier Jahren eine Urnengrabstätte auf dem Waller Friedhof eingerichtet hat (Foto). Hier werden Menschen, die weder ein Obdach noch Angehörige hatten, würdevoll bestattet. Ihre Namen sind auf steinernen Büchern verewigt, die zu beiden Seiten des Grabsteins stehen. „Solch ein Begräbnis verleiht dem Tod der Wohnungslosen eine Würde, die sie im Leben oft genug nicht erfahren durften“, sagt Bertold Reetz, Leiter der Wohnungslosenhilfe des Vereins. Finanziert werden konnte die Grabstätte durch private Spenden und mithilfe der Stadt. Am Sonntag, 20. November 2016, wird wieder in einem Gottesdienst an die Verstorbenen erinnert. Zu der jährlich stattfindenden Veranstaltung werden rund 130 Gäste erwartet, darunter Freunde und Bekannte der Verstorbenen. Aber auch interessierte Bürger, die die Verstorbenen würdigen möchten, sind zu der Feier herzlich eingeladen. Gottesdienst zum Gedenken an die verstorbenen wohnungslosen Menschen in Bremen: Sonntag, 20. November 2016, 11 Uhr Kapelle des Friedhofs Walle Waller Friedhofstraße, 28219 …

FLUCH DER GUTEN TAT?

#41 OSTERSTRASSE – In einem Altbau in der Rückertstraße sollen Wohnungslose untergebracht werden – die Mieter mussten deshalb weichen   Die Feuerschutztür liegt schon im Treppenhaus bereit. Für die Bewohner der letzten Wohn­gemeinschaft in der Rückertstraße 2 wirkt sie wie eine Drohung. Seit Monaten tauschen Handwerker alle Holztüren des Altbaus gegen graue Metalltüren aus. Das Treppenhaus ist nun halbhoch gefliest, das Geländer an manchen Stellen bereits grau gestrichen. Überall liegt feiner Staub. „Das war eine wandernde Baustelle“, sagt Ariane im Frühsommer 2016. Sie ist eine der letzten festen Mieterinnen des Hauses. Alle anderen haben es bereits verlassen – darunter eine Wohn­gemeinschaft mit zwei kleinen Kindern, der Lärm und Staub zu viel wurden. In dem Haus an der Ecke zur Osterstraße soll eine private Herberge für Obdachlose entstehen. Seit Juli 2015 mietet das Land Bremen hier bereits eine der Vierzimmer­wohnungen als temporäre Unterkunft für Menschen, die sonst auf der Straße leben müssten. Jetzt sollen im gesamten Haus weitere wohnungslose Menschen einziehen. Die bisherigen Mieter fühlen sich mutwillig verdrängt, und das nicht nur durch den Baulärm. Was …

WEIHNACHTSWÜNSCHE VON OBDACHLOSEN

Das Team des Hamburger Sozialprojekts Straßenblues hat obdachlose Menschen nach ihren Weihnachtswünschen befragt und das Video daraus gemacht. Die geäußerten Wünsche sind bescheiden: eine neue Jacke (Benjamin, 39), eine große Reisetasche „für das ganze Gerümpel“ (Raffi, 35), Jacke und Schuhe (Zafir, 35), ein großer Rucksack und eine Isomatte (Maribo, 66) und eine Wolldecke für den Hund (Rolf, 70). Mit dem Video sollen Schenkerinnen und Schenker gefunden werden, die diese Wünsche erfüllen möchten. Eine schöne Idee, die wir auch in Bremen verfolgen sollten.     Das Video erfüllt aber noch einen weiteren und vielleicht wichtigeren Zweck. Es zeigt obdachlose Menschen aus einer Nähe, die für Passanten auf der Straße kaum erreichbar ist. Als Betrachter fragt man sich unwillkürlich, wieso diese Menschen wohl auf der Straße gelandet sein mögen und wie sie unter solchen Umständen leben können. Das Video weckt Mitgefühl für Menschen auf der Straße und Interesse an ihnen. Damit ist viel gewonnen, denn Mitgefühl und Interesse sind gute Voraussetzungen für Hilfsbereitschaft und Solidarität. Auch unsere Bremer Zeitschrift der Straße verfolgt als Lernprojekt für Studierende dieses …