Meinung

DIESES VERDAMMTE WOCHENENDGEFÜHL

Freitagnachmittag. Das Wochenende steht bevor. Für Unzählige das rettende Ufer nach einer strapaziösen Arbeitswoche. Sie alle arbeiten auf das Wochenende hin. Unternehmungslust oder Ruhezeit stehen auf dem Plan.

Obdachlose sind in der Woche auch eher rastlos, versuchen durchzukommen, eine ebenso stressige Woche, aber nicht unbedingt mit der Hoffnung verbunden, ein tolles Wochenende zu haben. Wochenende bedeutet für sie oft Leere: eine trostlose, fast menschenleere Bremer Innenstadt, unterbrochen nur vom Lärm der Discothekenbesucher am Wochenende. Man muss die Zeit rumbringen, irgendwie diesen Wochenendtrip wieder überstehen. Und für einige der Betroffenen endet das Wochenende im Vollrausch, um zu vergessen.

Das Wochenende auf der Straße zeigt sich oft monoton, doch nicht nur das.

„Du ahnst, es war nicht das letzte Wochenende auf der Straße. Unzählige werden folgen. Wieder alles auf Null. Am liebsten das Wochenende überspringen, beiseiteschieben, um direkt zum Montagmorgen zu kommen, denkst du.“

Diese Gefühle kennen viele Obdachlose. Irgendwann am Wochenende erfasst es jeden. Das melancholische Loch ist vor allem auf der Straße tief. Menschen, die dort leben, haben keine räumliche Ausweichmöglichkeit, keinen emotionalen Fluchttunnel. Überempfindlichkeit wechselt mit Unempfindlichkeit.

„Du brauchst Härte auf der Straße. Vor allem zu dir selbst. Manchmal auch zur Gemeinschaft, die dich umgibt.  Immer stark sein ist die einzige Devise, die dich durchbringt. Das ist keine Floskel. Du musst lernen, Stimmungslagen überspielen und wegdrücken zu können. Gute Miene zum bösen Spiel unter den Bedingungen draußen.“

Gegen Einsamkeit und Leere entwickeln Obdachlose unterschiedliche Strategien. Ronny († 2016) beispielsweise, langjähriger Verkäufer der Zeitschrift der Straße, zeichnete Unterhaltungen auf.

„Die letzten Gespräche mit Freunden oder netten Leuten auf der Straße festhalten. Die Dialoge immer wieder vorspielen, wieder anhören. Auch wenn es nur kurze Sequenzen sind. Das hilft, hält die Verbindung mit der Außenwelt aufrecht. Überbrückt das eine oder andere Stimmungstief.“

Dieses Rezept geht aber nicht immer auf. Es gibt auch viele, die haben für sich gedanklich schon den Strick geknüpft. Haben schon Abschied genommen. Bei vielen blieb und bleibt es glücklicherweise nur beim Gedankenspiel. Dennoch, Wochenenden und Feiertage stellen für Menschen auf der Straße eine besondere Selbstgefährdung dar.

„Die Straße verändert dich. Wochenende um Wochenende. Nicht zum Guten.“

 

Text: Reinhard „Cäsar“ Spöring nach einem Gespräch mit unserem Straßenverkäufer Ronny († 2016; siehe Ausgabe #42)
Bild: blxentro/flickr.com (nachbearbeitet)