#45 HUMBOLDTSTRASSE – Wer in den Bibelkreis in der Friedensgemeinde kommt, dem droht zu Hause im Iran der Tod. Reza Yazdi zum Beispiel
Reza Yazdi (Name von der Redaktion geändert) kommt aus dem Iran und ist überzeugter Christ. Zurückkehren kann er nicht. Denn er hat sich taufen lassen. Wer Muslim war und zum Christentum konvertiert ist, dem droht im Iran die Todesstrafe. Seit über einem Jahr lebt Yazdi nun in Deutschland. Er hofft, dass er seine Familie nachholen kann. Und darauf, dass ihn im Iran niemand mit christlichen Aktivitäten in Zusammenhang bringt. Ansonsten würden seine Verwandten und Freunde verfolgt, sagt Yazdi. Deshalb redet er auch nicht über sein Engagement im Iran. Deshalb will er auch seinen Namen nicht in der Zeitung lesen. Er erwähnt nur kurz, dass er an einer iranischen Universität mit anderen christlichen Studierenden entdeckt wurde. Mehr könne er nicht sagen.
Es ist das erste Mal überhaupt mit der Presse spricht. „Es gab schon viele Anfragen von Journalisten“, sagt Pastor Bernd Klingbeil-Jahr von der Friedensgemeinde, aber Reza Yazdi wollte nie mit ihnen reden, bis heute. Die Gemeinde bietet einen Bibelkreis für iranische ChristInnen an. Auch Reza Yazdi geht dorthin. Wir dürfen nicht mit rein. Ungefähr 30 Personen sitzen an den Tischen im Café Pax verteilt und lauschen aufmerksam der Pastorin Ulrike Hardow. Alle wollen anonym bleiben: Die Angst vor Verfolgung ist groß.
Reza Yazdi ist Ende 20, sein Händedruck warm, Schädel und Gesicht sind frisch rasiert. Er lächelt, sucht bestimmt und freundlich den Blickkontakt. Nichts ist davon zu spüren, dass er seine Familie im Iran zurücklassen musste. „Du kannst als Christ deinen Glauben heimlich im Iran praktizieren“, sagt Yazdi, „aber du hast immer Angst. Du kannst auf keinen Fall konvertieren.“ Ein weicher, rollender Akzent mischt sich in sein nahezu makelloses Deutsch. In nur einem Jahr hat er das nötige Sprachniveau für eine Ausbildung absolviert. Er arbeitet heute in einem IT-Unternehmen.
Schon früh kam er mit dem Christentum in Berührung. Die Staatsreligion des Islam war dabei kein schwerwiegendes Hindernis, auch wenn seine Eltern Muslime sind. Denn sie sind – wie die Mehrheit der Muslime im Iran – sehr liberal: Sie trinken Alkohol und gehen fast nie in die Moschee. Dazu ist ihnen der Koran eher ein Rätsel: „Viele Iraner verstehen den Koran überhaupt nicht, weil er auf Arabisch ist“, sagt Yazdi – und im Iran spricht man Farsi. Seine Mutter verstehe nicht einmal die Suren, die sie betet. „Es gibt den Islam im Iran, aber es nicht klar, was das ist.“ Für seine Eltern sei es wohl eher eine gängige Ethik, mit der sie aufgewachsen sind, als ein überzeugter Glaube. Vielleicht gerade deshalb verunsicherte sie das Interesse ihres Sohns für das Christentum. „Am Anfang hatten wir viele Diskussionen“, sagt er.
Am Christentum faszinierte Yazdi besonders Jesus: „Ich habe in Jesus den gefunden, dem ich nachfolgen möchte. Das ist mein Herzgefühl. Jesus war sehr liberal, er hat die Gesellschaft nicht getrennt. Er hat immer über Vergebung gesprochen. Das brauchen wir eigentlich in meinem Land. Wenn du jemanden im Iran tötest, wirst du auch getötet. Dort geht es um Rache. Vergeben und ein gutes Herz haben, das sind die Themen, die kannst du im Islam nicht so deutlich finden“, sagt er. Schon im Iran hat er viel zum Christentum gelesen – soweit es ging. Damit war er nicht allein. „Viele im Iran wussten einiges über das Christentum“, sagt Yazdi. In Bremen seien viele jedoch Anfänger und hätten keine Nachweise über ihre christliche Glaubenspraxis in ihrem Herkunftsland.
Genau aus diesem Grund stehen iranische ChristInnen in Deutschland häufig unter einem Generalverdacht: Sie könnten ja einfach zum Christentum konvertieren, um ein solides Abschiebehindernis zu schaffen. Denn ChristInnen darf Deutschland nicht in den Iran abschieben. Und zur Taufe gehört nicht viel: Man muss sich nur in einer christlichen Gemeinde anmelden, an der Taufzeremonie teilnehmen. Schon ist man Christ.
Doch das reicht den deutschen Gerichten nicht mehr. Mittlerweile müssen IranerInnen hieb- und stichfeste Beweise für ihren Glauben erbringen, sagt Pastor Klingbeil-Jahr. Unter anderem dafür gibt es den Bibelkreis der Friedensgemeinde im Viertel. Am Ende des Kurses stellt Klingbeil-Jahr bei Bedarf eine Art Teilnahmebestätigung aus. Bei neuen ChristInnen wie Reza Yazdi verfasst er auch mal einen Brief für die Behörden und bestätigt sein ehrenamtliches Engagement in der Gemeinde.
Bereits 200 IranerInnen wurden in den vergangenen zwei Jahren in der Friedensgemeinde getauft. Die Entscheidung dazu würde jedoch im Bibelkreis sorgfältig vorbereitet, sagt der Pastor. Er versucht in dem Kurs, sensibel auf die TeilnehmerInnen und ihre Hintergründe einzugehen. Dafür behandelt er auch Bibelpassagen, in denen es um Flucht und Vertreibung geht. Und davon gibt es viele. Auch in der Weihnachtsgeschichte: „Gott zeigt sich in Jesus, einem schutzlosen Kind, dessen Eltern geflüchtet sind“, sagt der Pastor. „Es ist eure Geschichte!“, sagt er den IranerInnen. „Aber das verwundert viele“, erzählt er. Denn häufig wäre Gott für die iranischen Geflüchteten eher ein zorniger alter Mann mit Rauschebart. Ob dieses Bild aus dem Islam komme? „Nein, das ist Hollywood“, sagt Klingbeil-Jahr.
Generell seien die IranerInnen im wöchentlichen Bibelkurs recht diskussionsfreudig, sagt der Pastor. Reza Yazdi übersetzt dort und manchmal auch im Gottesdienst. Während unseres Gesprächs schaut er immer wieder unruhig durch die Glastür, hinüber zu seinem Bibelkreis: „Die Leute warten auf mich“, sagt er, lächelt – und verabschiedet sich. Gearbeitet wird zweisprachig, mit schwarzen, gebundenen Bibelausgaben in Farsi. Für den Pastor geht es in der christlichen Exegese der Texte stets auch um Freiheit und tolerantes Zusammenleben. Sein Gesicht nimmt einen träumerischen Ausdruck an: „Schon in der Bibel heißt es, dass einst im neuen Jerusalem Menschen aller Sprachen und Herkünfte friedlich zusammenleben werden.“
Das funktioniert auch im Viertel nicht immer. Neben Bernd Klingbeil-Jahr hängt das Plakat der Theatervorstellung der „10 Gebote“, die 2003 in der Friedensgemeinde stattfand. Damals demonstrierten Menschen vor der Kirche gegen das Stück über einen dunkelhäutigen Flüchtling, der in Deutschland Schutz sucht. Die Aufführung fand unter Polizeischutz statt, wie auch die im vergangenen November aufgeführte „Messe für den Frieden“ mit einem Muezzin.
Vorher bekam der Pastor rund hundert Droh-Mails.
Text: Eva Przybyla
Foto: Hartmuth Bendig