Leseprobe

FLUCH DER GUTEN TAT?

#41 OSTERSTRASSE – In einem Altbau in der Rückertstraße sollen Wohnungslose untergebracht werden – die Mieter mussten deshalb weichen

 

Die Feuerschutztür liegt schon im Treppenhaus bereit. Für die Bewohner der letzten Wohn­gemeinschaft in der Rückertstraße 2 wirkt sie wie eine Drohung. Seit Monaten tauschen Handwerker alle Holztüren des Altbaus gegen graue Metalltüren aus. Das Treppenhaus ist nun halbhoch gefliest, das Geländer an manchen Stellen bereits grau gestrichen. Überall liegt feiner Staub. „Das war eine wandernde Baustelle“, sagt Ariane im Frühsommer 2016. Sie ist eine der letzten festen Mieterinnen des Hauses. Alle anderen haben es bereits verlassen – darunter eine Wohn­gemeinschaft mit zwei kleinen Kindern, der Lärm und Staub zu viel wurden. In dem Haus an der Ecke zur Osterstraße soll eine private Herberge für Obdachlose entstehen.

Seit Juli 2015 mietet das Land Bremen hier bereits eine der Vierzimmer­wohnungen als temporäre Unterkunft für Menschen, die sonst auf der Straße leben müssten. Jetzt sollen im gesamten Haus weitere wohnungslose Menschen einziehen. Die bisherigen Mieter fühlen sich mutwillig verdrängt, und das nicht nur durch den Baulärm.

Renovierung in vollem Gang

Renovierung in vollem Gang

Was bisher geschah: Im Januar 2015, das Haus ist gerade verkauft worden, schickt der neue Eigentümer Kündigungen an alle Mieter. Er will das Haus weiter­verkaufen – und zwar mieterfrei. „Der Eigentümer ist hier nie selbst aufgetreten“, sagt eine Mieterin, die nicht mit Namen genannt werden möchte. Stattdessen hätten sie schon bald den neuen Kauf­interessenten Yehya Masri im Haus angetroffen. Masri betreibt im Nachbarhaus seit 20 Jahren eine private Obdachlosen­herberge. Dort bringt die Zentrale Fachstelle Wohnen des Amts für Soziale Dienste Menschen ohne Obdach vorübergehend unter, die Kosten – laut Masri sind es 16 Euro pro Person und Nacht – trägt das Land Bremen. „Er hat recht schnell gesagt, dass er plane, hier Obdachlose und Geflüchtete unterzubringen“, erzählt die Mieterin. „Uns war klar, was mit unserem Wohnraum passieren soll.“ Sie legte, wie die anderen Mieter auch, Widerspruch gegen die Kündigung ein.

Nach einem weiteren Kündigungs­schreiben schließt der Eigentümer das Konto, auf das die Bewohner die Miete überweisen. „Man hat gemerkt, dass der Vermieter kein Interesse an uns hat“, sagt Jeffrey, der mit richtigem Namen anders heißt und mit seiner WG mittlerweile ausgezogen ist. Die Bewohner hinterlegen die Miete beim Amtsgericht, doch im August 2015 kommt eine Räumungsklage.

Der Vermieter aber scheint an einer Verhandlung gar nicht interessiert zu sein. Der erste Gerichts­termin platzt, der Anwalt des Vermieters sei erkrankt, heißt es. Einen Tag vor dem Ersatztermin wird die Räumungs­klage zurückgezogen. Dasselbe geschieht mit der zweiten Räumungs­klage im Februar 2016. Die Taktik hat Erfolg: Einige Monate später sind alle Bewohner ausgezogen, bis auf die WG im ersten Stock. Das Haus wird im Juni an Yehya Masri verkauft.

Masri sagt, es habe keine mutwillige Verdrängung der Mieter gegeben: „Die Leute haben eine anständige Abfindung bekommen und sind freiwillig ausgezogen.“ Auf die verbliebene Wohn­gemeinschaft angesprochen, sagt er: „Wenn sie die Wohnung behalten wollen – gerne. So lange sie sich an die Hausordnung halten, gibt es keine Probleme.“

Wie kommt es, dass die Unterbringung obdachloser Menschen – die ohne Zweifel nötig ist – unbeteiligte Mieter aus ihrem Zuhause drängt? 2014 waren in Deutschland etwa 335.000 Menschen wohnungslos, und es werden immer mehr: Die Bundes­arbeits­gemeinschaft Wohnungs­losen­hilfe schätzt, dass schon in zwei Jahren über eine halbe Million Menschen ohne eigene Wohnung leben müssen. Dazu zählen zwar auch Menschen in Notunter­künften, Wohnheimen und den Auffangstellen für Geflüchtete. Doch 39.000 Menschen leben in Deutschland buchstäblich auf der Straße, weil sie sich keine Wohnung leisten können.

Und wer auf der Straße übernachtet, begibt sich in Gefahr. Deshalb muss das Land Bremen gemäß Ortspolizei­recht obdachlosen Menschen eine kurzfristige – meist vierzehntägige – Unterkunft anbieten. Dies geschieht bevorzugt in vier Notunter­künften gemeinnütziger Träger. Weil die insgesamt 108 Plätze meist ausgelastet sind, arbeitet die Zentrale Fachstelle für Wohnen aber auch mit derzeit sieben privaten Vermietern und Einfachhotels wie der Herberge Masris zusammen. Solche Privat­unterkünfte sind in den letzten Jahren zunehmend auch mit Geflüchteten belegt. Die Auslastung ist aus Unternehmer­sicht erfreulich, weshalb mancher expandieren möchte.

Wie aber lässt sich temporärer Wohnraum für wohnungslose Menschen schaffen, ohne andere zu verdrängen? Jochim Barloschky, Sprecher des Aktionsbündnisses „Menschenrecht auf Wohnen“, sieht das Grundproblem in der zunehmenden Privatisierung in Bremen: „Dem Land Bremen gehört nur noch etwa ein Drittel des Stadtgebiets. Es hat sich damit der Kontrolle über seine eigene Entwicklung beraubt.“ In den 1990er-Jahren wurde beispielsweise die Bremische Wohnungs­bau­gesellschaft privatisiert – heute gehört sie Vonovia, dem größten Immobilien­konzern in Deutschland. 1991 gab es in Bremen noch 61.000 Sozial­wohnungen, 30 Jahre später waren es nur noch 8.000. Joachim Barloschky fordert daher eine Kehrtwende, mehr Wohnungen in kommunalem Eigentum: „Dann kann man solche Dinge als Stadt entscheiden und muss sie sich nicht von der privaten Wohnungs­wirtschaft vorschreiben lassen.“

Gert Brauer, der als Anwalt für Mietrecht für den Bremer Mieter­schutz­bund arbeitet, ist skeptisch: „In vielen Bremer Stadtteilen sind mittler­weile alle Wohnungen vergeben. Im Stadtgebiet selber wird man es nicht schaffen, Obdachlosen ohne Verdrängung Wohnraum zu gewähren.“ Daran werden auch die 40 Millionen Euro wenig ändern, die das Land Bremen privaten Bauherren als Kredite zur Verfügung stellen will.

Wie es in der Rückertstraße nun weitergeht, ist noch offen. „Das muss mit dem Amt noch besprochen werden“, sagt Masri. Zwar hat der Senat öffentlich zugesichert, keine Wohnungen mit Obdachlosen zu belegen, sollten sie durch eine „Räumungsklage oder eine andere Form von Zwang frei gemacht worden sein“. Doch wann fängt Zwang an? „Uns wurde damals von Vermieterseite keine andere Möglichkeit angeboten“, sagt Jeffrey. Als ein Mitglied seiner WG auszog, habe der Vermieter die Aufnahme eines Nachfolgers verweigert. „Eine Option zu bleiben, gab es so nicht.“

Für die letzten verbliebenen Bewohner ist ihr Wohnungskampf zu einem traurigen Hobby geworden: „Wir haben sehr viel gelernt – über Mietrecht, die Strukturen und wie in verschiedenen Stellen und Behörden zusammen­gearbeitet wird“, sagt Ariane. Ihr Plan für die Zukunft: „Ein Bewusstsein schaffen, dass so etwas passiert – nicht nur hier bei uns.“

Text: Nina Sieverding
Fotos: Sabrina Jenne