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GEHT DURCH BREMEN MIT OFFENEN AUGEN!

Auf der Straße zu leben ist hart. Aber zu Beginn des Winters wird es für viele Obdachlose noch härter – im schlimmsten Fall lebensgefährlich.

 

Im Idealfall werden Menschen gar nicht erst obdachlos. Aber es passiert, und zwar Tausenden, in Deutschland. Als Vertriebskoordinator der Zeitschrift der Straße werde ich häufig von Freunden und Bekannten gefragt: Was kann ich tun in der kalten, nassen Jahreszeit? Wie kann ich helfen, wenn ich Obdachlosen auf der Straße begegne?

Ganz klar, eine Tasse heißen Kaffee oder etwas Geld können nicht schaden. Wenn es sich um einen Verkäufer der Zeitschrift der Straße handelt, kauft ihm ein oder zwei Hefte ab. Ihr könnt die Person auch fragen, ob sie Hilfe benötigt; menschenfreundliche Ansprache ist immer gut.

Aber ich möchte davor warnen, zu meinen, das wäre genug. Man sollte immer gucken, ob man mehr tun kann. Wer einen Obdachlosen im Winter auf der Straße schlafen sieht, kann den Rettungsdienst (112) alarmieren. Lieber einmal zu viel angerufen haben, als einen möglicherweise erfrierenden Menschen auf der Straße allein zu lassen. Auch der Verein für Innere Mission und seine Streetworker sind geeignete Ansprechpartner. Leider gibt es in Bremen, anders als in anderen Großstädten, noch kein „Kältetelefon“.

Wann sollte man auf jeden Fall einschreiten? Hält sich jemand über längere Zeit regungslos an der gleichen Stelle auf, sollte unbedingt Hilfe geholt werden. Das gilt auch für den Fall, wenn die Person erkennbar nicht der Witterung entsprechend angezogen ist oder ohne Schlafsack ungeschützt auf der Straße liegt.

Wenn ihr euch mit gesundem Menschenverstand ausrechnen könnt, dass das nicht gut gehen kann, seid ihr sogar gesetzlich verpflichtet, Hilfe holen. Ist die Situation vermutlich lebensbedrohlich, ist ein Anruf beim Rettungsdienst (nochmal: 112, bitte einprägen) notwendig. Dann ist es auch wichtig, zu warten, bis der Rettungsdienst kommt.

Generell gilt jedoch: Niemand sollte sich selbst in Gefahr bringen, um Hilfe zu leisten. Wenn ihr allein bei Dunkelheit unterwegs seid, auf jemanden in einer Notlage aufmerksam werdet, aber Angst habt, selber einzuschreiten, ruft besser den Rettungsdienst oder auch die Polizei (110 oder 112).

Viele Menschen wenden sich verunsichert oder angewidert von Obdachlosen ab. Woher kommen die Berührungsängste? Natürlich sind da die hygienischen Defizite. Aber oft wird Obdachlosen auch die Schuld an ihrer Situation zugeschrieben, für die sie nun eben büßen müssten. Doch die Gründe für eine Obdachlosigkeit sind nach meinen Erfahrungen so vielfältig, dass einfache Antworten schlicht falsch sind. Fast immer kommen mehrere Faktoren zusammen: psychische Erkrankungen, Abhängigkeiten, Gewalterfahrungen, familiäre Schicksalsschläge oder auch „nur“ der Verlust des Arbeitsplatzes. Häufig sind Obdachlose auch besonders sensible Menschen, die dem Druck der Leistungsgesellschaft nicht gewachsen sind. Ich rate unbedingt zu einem offenen Umgang mit den Betroffenen.

Also große Bitte an euch: Geht mit offenen Augen – und offenen Herzen! – durch unsere Stadt, vor allem in der nasskalten Jahreszeit.

 

Text: Reinhard „Cäsar“ Spöring
Foto: Brownpau/flickr.com