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DIGITALE KARTOGRAFEN

#33 FALKENSTRASSE – Eine bunte Gruppe von Hackern arbeitet an einer besseren Weltkarte

 

Hackerspace. Das klingt nach einem vertrackt zwielichtigen Hinterzimmer. Und ist doch das Gegenteil: ein Ort, an dem getüftelt, verändert und erarbeitet wird – offen in jeglicher Hinsicht. Der Hackerspace Bremen wurde Ende 2011 als Verein gegründet. Er hat 53 Mitglieder und doppelt so viele Aktive. Nerds im besten Sinne: Technikbegeisterte jeden Alters, Informatiker, Elektroniker und Bastler. Sie treffen sich in sogenannten Usergroups und gehen gemeinsamen Hobbys in Kreativwerkstätten und Workshopräumen nach. Wichtigstes Mitglied – so hört man – sei der Grill. Der laufe eigentlich immer. Beim Betreten des Hinterhofs in der Bornstraße liegt allerdings ein anderer Geruch in der Luft. Von einem Lasercutter ziehen beißende Dämpfe herüber. Anfang des Jahres hat eine Teespedition auf der anderen Hofseite zusätzliche Räume zur Verfügung gestellt. Hier wird gelötet, geätzt und in 3D gedruckt. Aber auch geruchsneutral mit der Stickmaschine und einem Plotter an großflächigen Plakaten gearbeitet.

Eine der Usergroups, die monatlich Platz, Infrastruktur und Technik des Hackerspace nutzt, ist die OpenStreetMap-Gruppe (OSM). Früher trafen sich die „Mapper“ im Dunstkreise des Chaos Computer Clubs. Zum festen Kern der offenen Gruppierung gehören der Mathestudent Tobias Mettenbrink, der segelfliegende Informatiker Arne Berthold sowie der frühere Elektroingenieur und heutige Rentner Günther Meyer. Bei OSM geht es nach eigener Darstellung darum, eine Alternative zu kostenlos im Internet verfügbaren Karten wie Google Maps bereit zu stellen. Diese dürfen häufig nur privat genutzt und nicht weiterveröffentlicht werden. Zudem sind solche Angebote oft weniger vollständig und aktuell. Auch lassen sich die fertigen Kartenbilder kaum personalisieren, weil der Zugriff auf dafür nötige Hintergrunddaten fehlt. Um dies zu überwinden, trägt eine Community von 2,3 Millionen digitalen Kartographen weltweit Rohdaten zusammen. Die Zeitschrift der Straße traf sich mit der Bremer OSM-Gruppe im Hackerspace, um mehr über die Funktionen und das soziale Gewissen der Community zu erfahren.

Können Sie kurz die Besonderheiten von OSM erklären?

Berthold: Es geht dabei um mehr als die bloße Darstellung der Daten als grafische Karte im Netz. Jeder kann die Bilder lizenz- und gebührenfrei ausdrucken, muss nur die Mitwirkenden als Quelle angeben.

Mettenbrink: Beim Einzeichnen von Objekten in die Karten sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Es geht z.B. um Zusatzinformationen wie Öffnungszeiten oder Webseiten von bestimmten Geschäften. Diese werden teilweise sogar von den Ladeninhabern selbst beigetragen, finden sich dann jedoch häufig eher in Spezialkarten.

Meyer: Wichtig ist auch die Funktion als Navigationssystem. Der kommerzielle Marktführer Tomtom ist gut, fast jeder Autofahrer kann damit umgehen. Aber es gibt Diskussionen darüber, wer mehr Straßen und Wege hat. Je nach Studie ist mal OSM und mal Tomtom vorn.

Wie funktioniert denn diese OSM-Community?

Berthold: OSM ist vergleichbar mit Wikipedia. Jeder kann etwas beitragen. Daten zu erfassen und sich einzuarbeiten ist nicht schwer. Unsere Treffen sind ein guter Anlaufpunkt, um erste Schritte zu machen.

Mettenbrink: Es ist die perfekte Spielwiese für Anfänger. Man kann sich erst offline ausprobieren, bevor Änderungen wirksam werden. Von der Gruppe erhalten Neulinge häufig Unterstützung bei Problemen und bekommen Vorschläge zur Umsetzung. Zu Kernthemen herrscht in der Community meist ein Konsens, bei strittigen Dingen wird erst einmal in Foren und Wikis abgestimmt.

Meyer: Oft sind Daten um Schulen herum sehr genau, weil Schüler mitarbeiten. Natürlich wird gerne behauptet, man würde mit dem OSM-Navi stranden, weil nur Quatsch darin stehe. Das übliche Wikipedia-Argument. Wirkliche Fehlinformationen oder Täuschungen verschwinden jedoch schnell. Änderungen lassen sich nachvollziehen und Trolle werden gebannt. OSM ist meist viel detaillierter. Die Großen fühlen sich bestimmt einfach bedroht. Vor allem ist OSM meist schneller, weil die „Mapper“ mit ihren GPS-Geräten in der Nachbarschaft unterwegs sind und direkt Neuigkeiten wie Baustellen einzeichnen.

Berthold: Die Abdeckung ist abhängig von der lokalen Community. Bei Straßen kann man sich deutschlandweit auf OSM verlassen, bei Hausnummern auf dem Lande vielleicht weniger. Aber da sind die kommerziellen auch unsicher. Es ist ein Ehrgeiz der Mitwirkenden, stets aktuell und umfassend zu sein.

Wie sieht Ihre Arbeit als „Mapper“ aus?

Berthold: Man stellt z.B. online fest, dass in den OSM-Karten und -Datenbanken irgendwo noch Hausnummern fehlen. Dann fährt man, je nach Geschmack mit einem Kartenausdruck, einer App oder einem Diktiergerät, dorthin, zeichnet ein, was man online ergänzen möchte, und überträgt es später ins Programm. Man darf erfassen, was öffentlich zu sehen ist. Verboten wäre es, per Selfiestick über Zäune zu spähen oder persönliche Namen zu nennen.

Mettenbrink: Seitdem der OSM-Gründer Steve Coast bei Microsoft Bing arbeitete, stehen von dieser Seite auch Satellitenbilder zum Abzeichnen von z.B. Flüssen wie der Weser zur Verfügung.

Und worin besteht Ihre persönliche Motivation mitzuwirken?

Mettenbrink: Für mich geht es um lizenzfreie Karten für Softwareprojekte oder die Offline-Nutzung auf dem Smartphone. Außerdem ist mir Privatsphäre wichtig. Kommerzielle Anbieter erstellen oft Bewegungsprofile im Hintergrund.

Berthold: Ich habe mich irgendwann gefragt, was man mit dem GPS-Empfänger fürs Segelfliegen noch so anstellen kann. In Delmenhorst gab es noch weiße Flecken im Kartennetz, da wurde ich neugierig.

Meyer: Ich wollte aus Freude über die kostenlosen Karten gerne etwas zurückgeben.

Mettenbrink: Günther [Meyer] ist damals nach einer „Mapper“-Party dabei hängen geblieben und inzwischen ein Aktivposten.

Wie viele Aktive OSMler gibt es in Bremen?

Mettenbrink: Das ist schwer zu sagen.

Berthold: Die „Mapper“ sind sehr unterschiedlich aktiv. Ich habe z.B. 2008 angefangen, war aber zunächst selten bei den Treffen. Trotzdem ist Bremen insgesamt ziemlich gut erfasst.

Mettenbrink: Ja, es gibt sehr viele Details. Beispielsweise die Tiergehege im Bürgerpark. Oder auch so genannte Shelter, also Plätze zum Unterstellen oder Zuflucht suchen.

Können Sie diese individuelle Gestaltung der Karten noch etwas genauer beschreiben?

Mettenbrink: Die Daten liegen zentral vor, daher ist es einfach Spezialkarten zu bauen, z.B. für Rad- und Wanderrouten, Skipisten, Nahverkehr oder Briefkästen. Oder eine Mate-Karte, die zeigt, wo der nächste Mate-Händler für die Szene-Brause ist. Es gibt auch Wheel-Maps, die Barrierefreiheit für Rollstuhlfahrer anzeigen.

Berthold: Dafür liefern Rollstuhlfahrer übrigens aus erster Hand Details u.a. zu Straßenbelägen und sind Teil der Community.

Mettenbrink: Bei Hydrantenkarten für Rettungskräfte sind es oft freiwillige Feuerwehren, die die Pläne pflegen. In Ostfriesland gibt es eine Crisis Map mit Rettungsplänen für Katastrophen. Und das Humanitarian OpenStreetMap Team hat bei den Erbeben- und Flutkatastrophen in Nepal und Haiti tolle Arbeit geleistet. Der weltweiten Community wurden Satellitenbildern von Firmen zur Verfügung gestellt. Daraufhin hat sie sich koordiniert und die betroffenen Gegenden ausgearbeitet. So konnten sich Helfer vor Ort anhand aktueller Karten orientieren und zu Dörfern vordringen, die sonst kaum zu finden gewesen wären. Auch das Rote Kreuz war sehr froh über dieses kostenlose Material. Es gibt auch Karten von Flüchtlingscamps in Syrien mit Wasserstellen und Ärzten. Bei Google ist da nur Wüste.

Die OSM-Gemeinschaft macht einen sehr sozial engagierten Eindruck. Was reizt Sie in dieser Richtung?

Mettenbrink: Denkbar wäre es, speziell Hilfsangebote für Obdachlose und Flüchtlinge einzuzeichnen. Was wäre denn z.B. für Verkäufer der Zeitschrift der Straße wichtig? Vielleicht ein Verzeichnis mit Versorgungsstellen für kostenlose Kleidung und Schlafplätze? Da müsste man mal gemeinsam überlegen und recherchieren. Die Innere Mission könnte doch so eine Karte auf ihrer Seite anbieten.

Berthold: Verkäufer können auch selbst wichtige Informationen sammeln und beitragen. Speziell für ihre Zwecke oder auch, um die Bremer Karten ganz allgemein noch umfangreicher zu machen.

Mettenbrink: Die soziale und kritische Denkweise ist in der Szene stark vertreten. Auch weil entsprechende Einrichtungen wenig Geld haben, daher das kostenlose OSM-Angebot nutzen und viel Input liefern. Google ist da unflexibel und vieles passt nicht zu deren Image. Auch der Wagenplatz am Bahnhof, der sich mit alternativen Lebensformen gegen das Establishment richtet, ist bei OSM eingezeichnet. Ebenso nutzt das soziale Projekt Mundraub OSM-Karten. Dort findet man wild wachsende Früchte, die man frei pflücken darf. Wie gesagt, es gibt kaum Grenzen. Bis auf die Privatsphäre. Gräber werden z.B. nur von bedeutenden Personen eingezeichnet. Vielen „Mappern“ liegt auch die Repräsentation von Stolpersteinen am Herzen, also kleine Gedenktafeln für Opfer des Nationalsozialismus. Da wird manchmal wahrlich ums Einzeichnen gewetteifert.

Text & Foto: Joschka Schmitt

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