#22 SODENMATT – Er will mehr Miteinander und weniger Gegeneinander im Quartier. Und selbst immer was zu tun haben. Ein Besuch bei Horst Dressel
„Würde man mir sagen, die nächsten Tage hätte ich nichts zu tun, dann würde ich durchdrehen.“ Er reißt die Hände in die Luft, das soll dem Gesagten noch mehr Ausdruck verleihen. „Ich würde mir das Telefon schnappen und mir eine Beschäftigung suchen. Egal welche. Ich brauche doch den Ausgleich.“ Horst Dressel, 64, hat nicht vor, sich so schnell zur Ruhe zu setzen. Er sprudelt vor Energie, sein Tonfall ist energisch, sein kurzes weißes Haar der einzige Indikator seines fortgeschrittenen Alters. Horst Dressel macht.
Eben noch wild in der Luft herumfuchtelnd, umfassen seine Hände nun den prall gefüllten, schwarzen Aktenordner vor ihm. Zeitungsausschnitte, Danksagungen, Fotos, alles fein säuberlich in Klarsichtfolien verpackt und abgeheftet. Sein Finger tippt auf die Artikel und Fotos: Überall geht es um Huchting, um den Sodenmatt, um Aktionen und Beschwerden, um Sitzungen und Initiativen, um Projekte und das Leben hier, und überall wird er erwähnt. Der Ordner ist eine dicke Sammlung all dessen, was er in den letzten Jahren gemacht hat. Horst Dressel zeigt sie gern.
Jeweils 24 Parteien wohnen in einem der Wohnblocks zwischen Heinrich-Plett-Allee und Sodenmattsee. Horst Dressel vermittelt, wenn es Streit um Lärm und Schmutz gibt, begrüßt neue Bewohner, organisiert Klönschnack und Mieterstammtisch. „Ein ganz schön umfangreiches Programm“, sagt er. Die „Gewoba“ hat ihn zum Nachbarschaftssprecher ernannt – und er nimmt seine Aufgabe ernst.
Ein Fest zum Gruß
Seine Finger klopfen unruhig auf den Ordner, fast, als würden sie die Regentropfen nachahmen, die an die Fensterscheibe prasseln. Das trübe Wetter und die mausgrauen Wohnblocks im Fenster hinter ihm stehen ganz im Kontrast zu dem bunten Treiben hinter den Betonfassaden. „Wir sind hier so ein Kultimulti: Deutsche, Muslime, Russen, Farbige“, sagt Nadja Altunç, eine Nachbarin und Dressels helfende Hand. Dann erzählt sie, wie es hier noch vor zwei Jahren war: Dass die Älteren immer gemeckert haben, wenn unten Kinder spielten. „Nicht mal gegrüßt haben sie.“ Bis Horst Dressel und sie dieses Fest veranstaltet haben, ein Fest für alle Nachbarn.
„Wir wollten zeigen, dass wir auch miteinander können“, sagt Nadja Altunç: „Wir sollen uns nicht immer aus dem Weg gehen.“ Sie hat sich warmgeredet jetzt, Horst Dressel aber unterbricht sie. „Um es zu verkürzen“, sagt er auf seine etwas schroffe Art: „Keiner wusste, wie dieses Fest zustande kommt und wie es verlaufen und enden würde.“ Horst Dresel aber macht. Er organisiert Pavillons, Torwandschießen für die Kinder und ein Glücksrad. „Die Pavillons stehen noch unten im Keller, die zeige ich Ihnen gerne, wenn Sie mir das nicht glauben!“
Sagt’s und wendet sich wieder seinem Sammelhefter zu. Die Bügel ächzen beim Blättern unter dem Gewicht der vielen Seiten. „Hier habe ich noch ein Bild.“ Das nächste Fest ist schon in Vorbereitung, unten im Keller stapeln sich bereits die Kartons. „Die halten mich hier alle für verrückt, aber was soll ich machen?“ Unschuldig zuckt er mit den Schultern. „Man braucht ja jemanden, der hier alles zusammenhält“, sagt eine Frau aus der Nachbarschaft.
„Hoddel“, wie sie ihn hier liebevoll nennen, kennt am Sodenmatt jeder. Und jeden, den man fragt, wen man hier kennen muss, antwortet: Hoddel. „Immer ein offenes Ohr und stets bemüht, dass alles seine Richtigkeit hat.“ Oder: „Wenn man mal in der Klemme steckt, weiß man, an wen man sich wenden kann.“ Und das nicht nur wegen seiner quietschgrünen Visitenkarten, die er überall verteilt. Darmkrebs, Gehirntumor, Herzinfarkt: Horst Dressel hat schon so einiges hinter sich. Aus der Schublade hinter seinem Stuhl kramt er etwas hervor und wirft es auf den Tisch. „Das ist mein Behindertenausweis: 100 Prozent, die kriegt man nicht einfach so!“ Ein gewisser Stolz schwingt in seiner Stimme mit – Stolz darüber, dass er trotz seiner Beeinträchtigung noch so viel macht. Einzelhandelskaufmann war er früher. Er habe ja immer wieder angefangen zu arbeiten, erzählt er. Nach dem Gehirntumor jedoch sei gar nichts mehr gegangen. Da habe er auch körperlich gemerkt, dass er das nicht mehr schaffe. Bloß: Ohne Arbeit und Aufgabe kann er auch nicht.
„Dieser Ausgleich, wenn man dann in Rente geht, der fehlte mir einfach, der fehlte mir total.“ Horst Dressel suchte sich was Neues. Nur manchmal, eher selten, gibt es Tage, wo ihm auch das alles zu viel wird. „Dann muss ich auch mal auf die Bremse treten“, sagt er und fügt sogleich hinzu: „Aber es ist das Schönste, was mir passieren kann, wenn ich was zu tun habe.“ Er lächelt zufrieden. Links und rechts und hinter ihm stapelt sich in Pappkartons sein aktuellstes Projekt: rote Weihnachtsmannzipfelmützen, Schokoladenkrokant, Spielzeug – Spenden für die Kinder in Wardamm. Seine Herzenssache. Wardamm: Ein Niemandsland am Nordrand von Huchting, zwischen Feuchtwiesen und Autolackierereien, noch hinter den Bahngleisen. Drei Baracken im U bilden das Übergangswohnheim für Asylbewerber, Nadja Altunç kannte es, weil eine Freundin dort wohnte.
Eines Tages, berichtet sie, habe Horst Dressel sie vorsichtig gefragt, wie es denn dort so sei. Sie erzählte. Horst Dressel kramt ein Bild aus seinem Ordner hervor und zeigt mit dem Finger energisch auf ein Foto. „Vier bis fünf Familien kochen da“, sagt er empört – in einer Küche, nicht größer als sein Esszimmer. Seit drei Jahren schon sammeln die beiden regelmäßig Spenden bei Nachbarn und Freunden für die Kinder in Wardamm. Sie gehen von Haus zu Haus, die Sammelbüchse in der Hand. Viele geben etwas, manche aber schimpfen auch bloß über „die Ausländer“. Horst Dressels Strategie ist dann, sich gar nicht erst einzulassen auf die Diskussionen. Ihm geht es um die Kinder. Was auch immer die Leute über deren Eltern zu lästern haben – „Dem Kind können Sie helfen.“ Und dann, berichtet Dressel, „ist die Falle zugeschnappt: Dann muss ich nur noch die Dose hinhalten und es macht klingelingeling!“
An Weihnachten und Ostern besorgt er dann Geschenke von dem Geld. Vom Übergangswohnheim bekommt er eine Liste mit den Namen und Geburtsdaten der Kinder. So kann er gezielt einkaufen. Oder besser: einkaufen lassen. Seine Frau nämlich habe zwar eigentlich mit der ganzen Sache nichts zu tun. „Wardamm ist mein Ding!“, sagt Horst Dressel. Doch manchmal muss auch sie mithelfen. „Könntest du bitte nach ‚Primark‘ fahren und eben mal 45 Handschuhe, 45 Schals und 45 Mützen holen?“ Er lacht herzlich. „Ich habe mir ja keinen Kopf darüber gemacht, wo ich das alles lagern soll. Das war so ein Sack voll!“ Seine Hand beschreibt einen ziemlich großen Berg. Die Namen der Kinder tippt er alle mit dem Computer ab, druckt und schneidet sie aus und klebt sie auf die Tüten. „Es muss ja auch seine Richtigkeit haben.“ Dann wird es erst richtig kompliziert: Die Einkäufe müssen sortiert werden: Welches Kind braucht welche Größe? „Das ist keine Sache von jetzt auf gleich. Aber es macht Spaß und das ist das A und O. Das ist für mich so, als würde ich noch richtig arbeiten.“
Mit einer hektischen Bewegung zieht er eine Zellophantüte aus einem der Pappkartons hinter sich. „Ich will Ihnen das mal genauer zeigen: Das ist wirklich kein Schrott, was wir den Kindern schenken.“ Die Schokoladenweihnachtsmänner etwa, er hält einen nach oben, seien „natürlich die originalen von ‚Lindt‘, wohlgemerkt“. Ein einziges Mal ist es ihm passiert, dass er ein Geschenk zu wenig besorgt hatte. Noch heute hat er daran zu knappsen, fügt sogleich entschuldigend hinzu: „Fehler machen wir alle.“
Weihnachten im Freien
Wardamm, 17. Dezember: Weil es drinnen keinen Raum gibt, wo alle reinpassen, findet die Weihnachtsfeier im Freien statt. Nur die Geschenke, die lagern in einem kleinen Zimmer mit Tür zum Hof. Das Wohnheim ist eigentlich für 160 Menschen ausgelegt, gerade wohnen 240 hier. Männer in Badelatschen, als würde ihnen die Kälte nichts anhaben können. Kinder ohne Jacken mit laufenden Nasen. Die Frauen haben zusammen Kuchen gebacken. Bevor die Bescherung beginnt, trommeln die Kinder auf ihren Bongos und singen lauthals „Wer hat die Kokosnuss geklaut?“. Horst Dressel steht in dem winzigen Raum bei seinen sorgfältig verpackten Präsenten, wacht mit Argusaugen über sie. Aus den bunt bedruckten Tüten mit den Tiermotiven ragen die roten Mützen der Schokoladenweihnachtsmänner. „Das sind aber schöne Tüten“, bemerkt eine der Helferinnen. „Jede Tüte hat auch einen Euro gekostet“, erwidert er. Auch ein „echter“ Weihnachsmann ist da und sitzt vor dem Tütenberg. Dann ruft ein Helfer die Kinder auf, eins nach dem anderen kommt, Horst Dressel reicht die Tüte vor, über den Weihnachtsmann hinweg. „Die Leute sind dankbar für das, was Horst macht, und die Kinder lieben ihn hier“, sagt Nadja Altunç und nickt ihm anerkennend zu. Er winkt bescheiden ab. „Ich hatte halt schon immer diesen sozialen Touch im Kopf.“
Text: Carolin Pertsch
Bild: Jaeuk Lee