#39 SONNENPLATZ – Vor über dreißig Jahren kam er aus Ghana nach Kattenturm. Heute liebt Husseni Compaore seine zweite Heimat – und hilft, wo er kann
Hoch schießen die 1960er-Jahre-Bauten in den Himmel. Mehr als jeder fünfte Kattenturmer hat keinen Arbeitsplatz. Und fast jedes zweite Kind unter 15 Jahren lebt von Hartz IV. Eine sorgenfreie Kindheit sieht anders aus.
Auch Husseni Baba Compaore kann keine Jobs aus dem Boden stampfen, doch der 58-Jährige hilft, wo er nur kann. Die Quartiersmanagerin Sandra Ahlers nennt ihn liebevoll „Baba, den Botschafter von Kattenturm“. Weil er nicht nur von den Schattenseiten Kattenturms erzähle. Oft schon wurde sie auf ihn angesprochen: Baba habe wieder einmal irgendwo von Kattenturm geschwärmt.
Geboren in Takoradi im Westen Ghanas, spricht er Twi und Hausa, natürlich auch Englisch und Deutsch. Seine Sprachkenntnisse sind der Schlüssel zu vielen Menschen in Kattenturm. Denn fast jeder Zweite hier hat einen Migrationshintergrund. Einige stammen aus dem westafrikanischen Ghana. Um sie sorgt sich Compaore besonders: „Vielen Menschen ist das System in Deutschland fremd. Und die schweren Wörter auf den Ämtern bereiten ja selbst Muttersprachlern Schwierigkeiten.“ Husseni Compaore unterstützt sie deshalb als Ehrenamtlicher im Verein Hilfe-Netzwerk, kurz HiNet. Er übersetzt Formulare, begleitet zum Arzt oder berät bei Problemen.
Als er vor über 30 Jahren kam, hätte er sich genau das gewünscht. Stattdessen schlug er sich allein durch. Er fuhr zur See. Seine Frau und die zwei Kinder lebten weiterhin in Ghana, denn eigentlich wollte er nur fünf Jahre bleiben. Deutsch lernte er statt im Kurs auf dem Meer.
Als ihm klarwurde, dass er in Deutschland bleiben wollte, holte er seine Familie nach. Zwei weitere Kinder kamen zur Welt. Waschechte Kattenturmer. So wie ihr Vater. „Ich bin mit Leib und Seele Kattenturmer. Ich kenne hier jeden und fast alles.“ Wie zur Bestätigung grüßt ihn nahezu jeder, der ihm entgegenkommt. Viele umarmen ihn. Er wirkt dabei fast überrumpelt – als rechne er gar nicht mit dieser Herzlichkeit. Er lächelt dann verlegen und fragt nach Neuigkeiten, bevor er bei seinem Lieblingsthema landet: Kattenturm.
Bisweilen ist er 18 Stunden pro Woche für seine Mitbürger im Einsatz. Viele profitieren dabei von seinen Kontakten. Hanneke Ruesink etwa vom Verein Haus der Familie Obervieland: „Baba ruft mich an und vermittelt mir Familien. Wir veranstalten dann zum Beispiel internationale Dinner und helfen bei der Integration.“
Im Verein Hilfe-Netzwerk sind sieben Menschen aktiv. Sie sprechen insgesamt zehn Sprachen, von Arabisch bis Zazaki. 31 Stunden sind die zwei Büros in der Woche besetzt. Per Handy sind die Ehrenamtlichen aber den ganzen Tag zu erreichen. Inzwischen rufen auch Menschen aus anderen Stadtteilen an.
Im vergangenen Jahr wurde HiNet mit dem Hilde-Adolf-Preis ausgezeichnet. Er wird für besonderes bürgerschaftliches Engagement verliehen. Die 3.000 Euro Preisgeld investierten Compaore und seine Kollegen gleich in Flyer, die den Verein noch bekannter machen sollen. Außerdem haben nun alle Diensthandys , sodass sie nicht auf eigene Kosten telefonieren müssen.
Doch ein Verein allein reicht Compaore nicht. Auch in der „Ghana Union“ und im Verein „Afrika ist auch in Bremen!“ engagiert er sich. „Ich bin ein richtiger Vereinsmeier“, sagt er. „Meistens ist mein Kalender voll – obwohl ich hauptberuflich gar nicht mehr arbeite.“ Auch Politik begeistert ihn sehr. Die lokale SPD schätzt ihr Mitglied als einen zuverlässigen Ansprechpartner. Wenn Klaus Möhle, Sprecher für Sozialpolitik in der Bürgerschaftsfraktion, etwas über Kattenturm wissen möchte, ruft er erst mal Baba an: „Er ist einfach ein super Typ, der unglaublich vernetzt ist.“
Kürzlich sollte Husseni Compaore für HiNet in einer Familie vermitteln, wo es zu häuslicher Gewalt gekommen war. Da war er dann ausnahmsweise mit seinem Latein am Ende. Solche Konflikte, sagt er, könne er nicht lösen. Er empfahl, sich an einen Psychotherapeuten zu wenden. Dennoch sieht er die Trends in Kattenturm positiv – wie es sich für einen Botschafter gehört. Er selbst möchte aus Kattenturm nicht mehr weg. Als er zuletzt in Ghana war, hatte er schon nach einer Woche Heimweh. „Ich liebe es einfach hier“, sagt er freudestrahlend. Untreu wird er der Heimatstadt nur beim Sport – wenn er dem Hamburger SV die Daumen drückt.
Text: Thilko Gläßgen
Foto: Sabrina Jenne