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DIE LEICHTIGKEIT DES BUDDHA

#25 ZIEGENMARKT – Als Hip­pie such­te er das Neue. Ost­asi­en ließ ihn nicht mehr los. Eine Tee­ze­re­mo­nie mit Ha­rald Lührs in sei­ner „Bud­dha­welt“

 

Möbel in der „Buddhawelt“

Man kann hier auch Buddhas kaufen. Vor allem geht es Harald Lührs aber um die Möbel

Die Bud­dha­sta­tue ist schon von Wei­tem zu ent­de­cken. Un­über­seh­bar sitzt sie auf dem Bür­ger­steig, wei­ßer Stein, be­stimmt einen Meter groß. Ha­rald Lührs hat viele Bud­dha­sta­tu­en in sei­nem Laden, große und klei­ne, aus Stein, Holz und Bron­ze, die meis­ten aus China, aber auch aus Sri Lanka, In­do­ne­si­en und an­de­ren Län­dern. Es sind Hei­lig­tü­mer der un­ter­schied­lichs­ten bud­dhis­ti­schen Rich­tun­gen, im Tem­pel dürf­te man sie nicht ein­mal fo­to­gra­fie­ren. Hier aber kann man sie kau­fen, die kleins­ten für 20 Euro, die gro­ßen für ein paar Tau­sen­der.

Die Bud­dhas haben es ihm an­ge­tan. Seine erste Sta­tue kauf­te er mit 17, in den 1960ern. „Hip­pie­zeit“, sagt Ha­rald Lührs, und dass er, wie alle in sei­nem Um­feld da­mals, auf der Suche nach einer neuen Sicht­wei­se auf die Welt und gegen be­ste­hen­de Sys­te­me und Hier­ar­chi­en war. „Wir woll­ten neue Dinge aus­pro­bie­ren.“ Asia­ti­sche Kul­tur fas­zi­nier­te ihn, be­son­ders der Bud­dhis­mus. „Aber dass ich ein­mal Tee­haus­be­sit­zer sein würde, das dach­te ich da­mals noch nicht.“

Tra­di­tio­nell wird
der erste Auf­guss weg­ge­kippt.
Lührs ser­viert ihn trotz­dem

Tat­säch­lich sind die Bud­dhas, die sei­nen Laden vor dem Stein­tor zie­ren, vor allem Bei­werk. Auch wenn er ihn „Bud­dha­welt“ ge­nannt hat: Ei­gent­lich und in ers­ter Linie ver­kauft Ha­rald Lührs Tee. Chi­ne­si­sche und ja­pa­ni­sche Tees, in gan­zen Blät­tern, alle be­kann­ten Sor­ten, die meis­ten aus der chi­ne­si­schen Pro­vinz Zhe­jiang, die in China für den bes­ten Tee be­kannt ist. Man kann die Tees ein­fach kau­fen oder sie bei und mit ihm trin­ken. Ha­rald Lührs nimmt dann das höl­zer­ne Tee­ta­blett und rich­tet dar­auf die Tee­scha­len an. In der klei­nen Küche kocht er Was­ser. Am Tre­sen wählt er ein paar Blät­ter Long Jing aus, zeigt sie und trägt sie in die Küche. Kurz dar­auf bringt er die Kanne. Fünf Mi­nu­ten Zieh­zeit. Lührs gießt den ers­ten Auf­guss, den „Auf­guss des guten Ge­ruchs“, in die Scha­len. Tra­di­tio­nell wird die­ser weg­ge­kippt; er ser­viert ihn trotz­dem. Zwei­mal füllt er die klei­nen Schäl­chen nach, dann ist die Kanne leer. Lührs holt neues Was­ser und bringt Ku­chen – auch das ein den hie­si­gen Kun­den­be­dürf­nis­sen ge­schul­de­ter Tra­di­ti­ons­bruch: In China würde man zum Tee nie­mals etwas essen. Der zwei­te Auf­guss schließ­lich, der „Auf­guss des guten Ge­schmacks“ schmeckt deut­lich bes­ser, weil we­ni­ger bit­ter.

Auch wenn Tee Lührs’ Haupt­ge­schäft ist: In den gro­ßen Schau­fens­tern sei­nes La­dens kommt er eben­falls nur in­di­rekt vor: Glä­ser, Tas­sen und an­de­res Ge­schirr sta­peln sich dort, aus Japan, China, Korea, In­do­ne­si­en, alles bunt ge­mischt – Asien eben. Nur wer ge­nau­er schaut, ent­deckt im Hin­ter­grund den gro­ßen Tre­sen mit dem Tee­re­gal, auf dem Pa­ckun­gen und Dosen Hun­der­ter ver­schie­de­ner Tee­sor­ten ne­ben­ein­an­der auf­ge­reiht sind.

Ru­hi­ge Kun­den, ru­hi­ger Laden

Drau­ßen lärmt die Straße. Drin­nen ist es auf­fal­lend still. Keine Musik. Nur das leise „Pling­pling“, das er­tönt, wenn die Tür geht. So still ist es, dass man zu­nächst denkt, kein Mensch sei im Laden. Ob­wohl man Ha­rald Lührs gleich sieht, wie er hin­ter einem Tisch sitzt und in einer Zei­tung liest. Gut 60 Jahre alt ist er, die Haare schon weiß-grau, auf der Nase trägt er eine Bril­le. Er schweigt. So viel Ruhe strahlt er aus, dass er selbst wie eine Bud­dha­sta­tue wirkt. Man möch­te nicht stö­ren. Erst auf Nach­fra­ge sagt er freund­lich: „Schaut euch gerne über­all um.“

Eine Wen­del­trep­pe führt ins Ober­ge­schoss des Ge­schäfts, das sehr an ein Mu­se­um er­in­nert. Groß­for­ma­ti­ge Ge­mäl­de und Kal­li­gra­fi­en schmü­cken die Wand. Bud­dha­fi­gu­ren auch hier, sorg­sam mit Blu­men, Vasen und por­zel­la­nen Räu­cher­stäb­chen­hal­tern auf nied­ri­gen Ti­schen ar­ran­giert wie in einer Aus­stel­lung. Da­ne­ben ein tra­di­tio­nel­les chi­ne­si­sches Schlaf­ge­mach mit klei­nem Bett­tisch, an der Wand da­hin­ter eine ti­be­ti­sche Sti­cke­rei. Im Nach­bar­raum ein kunst­voll ge­schnitz­ter, über­manns­ho­her Altar mit Bud­dha­sta­tue, Ker­zen und Räu­cher­stäb­chen, wei­ter ver­schie­dens­te Mu­sik­in­stru­men­te und Tep­pi­che. Alles wirkt sehr au­then­tisch, bis auf den Kühl­schrank: Auf dem klebt ein Foto von Tu­tan­cha­mun.

Alles wirkt sehr au­then­tisch,
bis auf den Kühl­schrank: Auf dem klebt
ein Foto von Tu­tan­cha­mun

Ha­rald Lührs ist fas­zi­niert von Ost­asi­en. Schon in sei­ner Kind­heit, er­zählt er, habe die zau­ber­haf­te und mys­ti­sche Welt jenes Erd­teils, auch wenn er sie nur aus Ge­schich­ten kann­te, eine wich­ti­ge Rolle für ihn ge­spielt. Spä­ter habe er sich sehr viel Li­te­ra­tur über das alte China ge­kauft und be­gon­nen ein­zu­tau­chen in die alte le­gen­dä­re Welt Chi­nas und der Ming-Dy­nas­tie. Nach sei­nem Kunst­ge­schichts­stu­di­um geht er für ei­ni­ge Jahre auf Ent­de­ckungs­rei­se nach In­do­ne­si­en und Sri Lanka. Seine bei­den Söhne kom­men dort zur Welt.

Men­schen, Kul­tur und Ge­schich­te Ost­asi­ens be­ein­dru­cken den Bre­mer so sehr, dass er sie zum fes­ten Teil sei­nes in­zwi­schen wie­der nord­deut­schen Le­bens macht. In den 1980ern er­öff­net er sei­nen Laden. Zu­nächst ver­kauft er dort asia­ti­sche Klei­dung. Vor gut zehn Jah­ren steigt er schließ­lich auf Tee um: Der ver­kauft sich hier­zu­lan­de bes­ser.

Lieb­ha­be­rin­nen und Lieb­ha­ber tra­di­tio­nel­ler chi­ne­si­scher Tees sind ru­hi­ge Kun­den. Die At­mo­sphä­re, in die sie in Lührs’ Laden ein­tau­chen, tut ihr Üb­ri­ges: Keine Spur von Hek­tik, alles ist ziem­lich ruhig und re­laxt hier. Das Am­bi­en­te hilft ihm aber nicht nur beim Tee, son­dern trägt auch zum Ver­kauf der Möbel und Bud­dha­sta­tu­en bei. Wobei Lührs den größ­ten Teil sei­nes Um­sat­zes mit den Tees macht; die Möbel, sagt er, ver­kau­fe er nur zum Ver­gnü­gen.

Der Tee, sagt Ha­rald Lührs, ver­bin­de die Men­schen in der gan­zen Welt. Neben den Stamm­kun­din­nen und Stamm­kun­den kämen auch viele Tou­ris­ten in sei­nen Laden. Das sei immer sehr in­ter­es­sant, weil jedes Land seine ei­ge­ne Tee­kul­tur habe. Nur Chi­ne­sen kämen eher sel­ten, be­dau­ert Lührs – ob die sich alle pri­vat mit Tee ver­sor­gen oder ihnen der in Lührs’ Laden schlicht zu teuer ist, bleibt offen.

Re­gel­mä­ßig fährt er nach China, In­do­ne­si­en und Sri Lanka, um seine Pro­dukt­pa­let­te zu er­wei­tern. Freun­de, die er auf sei­nen vie­len Rei­sen dort ken­nen­ge­lernt hat, be­ra­ten ihn beim Ein­kauf so­wohl der Tees als auch der Möbel und Bud­dhas. Selbst spricht er nur wenig Chi­ne­sisch, ein biss­chen In­do­ne­sisch und etwas Sin­gha­le­sisch.

Fas­zi­na­ti­on Ming-Dy­nas­tie

Mehr noch als Tee und Tee­kul­tur fes­seln ihn je­doch asia­ti­sche Möbel. Be­son­ders von der Ming-Dy­nas­tie ist er fas­zi­niert, von ihren Mö­beln und ihrer Kul­tur, die in China immer noch zu spü­ren ist. „Die kunst­vol­le Ver­ar­bei­tung der tra­di­tio­nel­len Möbel, Bil­der und Skulp­tu­ren sind un­ver­gleich­lich“, schwärmt er. „Auch die For­men und Far­ben sind fas­zi­nie­rend.“ Lange Zeit waren diese Pro­duk­te kaum zu­gäng­lich für Eu­ro­pä­er. Als es vor ei­ni­gen Jah­ren dann ein­fa­cher wurde, damit zu han­deln, ver­wirk­lich­te sich Lührs einen per­sön­li­chen Traum und nahm neben den Tees auch Möbel und Kunst­ge­gen­stän­de in sein Pro­gramm. Er zi­tiert gern ei­ni­ge der alten Texte und man merkt, dass chi­ne­si­sche Le­bens­weis­hei­ten und Phi­lo­so­phie auch zu sei­nen ei­ge­nen ge­wor­den sind.

Die an­ti­ken Möbel und die zahl­lo­sen Sta­tu­en schaf­fen eine fast spi­ri­tu­el­le At­mo­sphä­re in Lührs’ Laden. Alles wirkt wie bei einem gläu­bi­gen Bud­dhis­ten zu Gast – der Lührs nach ei­ge­nen An­ga­ben nicht ist. Er sei ur­sprüng­lich streng christ­lich er­zo­gen wor­den und habe die strik­ten Re­geln des Chris­ten­tums oft als er­drü­ckend emp­fun­den, er­zählt er. Im Ge­gen­satz dazu ge­fal­le ihm die Leich­tig­keit des Bud­dhis­mus. Lührs ver­steht die­sen nicht als Re­li­gi­on, son­dern als Le­bens­phi­lo­so­phie. Diese Leich­tig­keit, die dar­aus atme, spie­ge­le sich auch in der Tee­kul­tur und in den Mö­beln im Stil der Ming-Dy­nas­tie wie­der. Aus die­ser Per­spek­ti­ve be­trach­tet wäre Lührs’ Laden sehr har­mo­nisch.

Text und Foto: Siqi Duan & Wei Zheng