Leseprobe

DIE MACHT DER GEWÖHNUNG

#46 WACHMANNSTRASSE – Nach anfänglichen Protesten akzeptieren die Schwachhauser heute die Unterkunft für Geflüchtete

 

Am Anfang war die Angst vor den Flüchtlingen groß.

Rückblende: Wir schreiben das 2013 und der Bremer Senat sucht händeringend nach Wohnraum. In Schwachhausen wird eine zweite Flüchtlingsunterkunft geplant, über 1.000 Menschen flüchten allein in diesem Jahr nach Bremen. 2016 werden es sogar 3.185 sein.

Doch so einfach ist das in Schwachhausen nicht. Die grüne Beiratssprecherin Barbara Schneider erinnert sich, dass einige AnwohnerInnen vorschlugen, neue Flüchtlingsunterkünfte doch lieber in Tenever einzurichten. Weil dort die Nachbarn doch auch Arabisch sprächen. Als im Dezember 2013 die erste Einwohnerversammlung einberufen wird, stellen sich die StadtteilpolitikerInnen schon auf die alten, vorurteilsdurchtränkten Argumente ein.

Und die kommen auch: „Es ist oft nur eine Frage von Minuten, bis die ersten Ängste wegen Lärm, Dreck und Kriminalität durch die Flüchtlinge ausgesprochen werden“, sagt Schneider. Die entkräftet sie mit Fakten: Die Bremer Polizei verzeichnet rund um Flüchtlingsunterkünfte keinen Anstieg von Kriminalität. Ebenso wenig käme es vermehrt zu Ruhestörungen. Die Mehrheit der gut 60 AnwohnerInnen scheint diese Sorgen nicht zu teilen: Viele wollen sich ehrenamtlich engagieren und helfen. Andere stören sich an der Größe der neuen Flüchtlingsunterkunft in der Gabriel-Seidl-Straße. Einst lebten in dem nunmehr leerstehenden Heim rund 20 SeniorInnen. Nun sollten bis zu 90 Geflüchtete dort einziehen, in abgetrennten Wohnungen mit eigenen Küchen und Bädern. Ein Luxus für die Geflüchteten: „Normalerweise gibt es in solchen Wohnheimen nur Gemeinschaftsduschen und geteilte Küchen“, sagt Schneider. Doch die schiere Zahl der Neu-BürgerInnen ist für einige SchwachhauserInnen unvorstellbar.

Einige AnwohnerInnen der Gabriel-Seidl-Straße gehen nach der Versammlung wütend nach Hause. Eine Woche später äußern sie im Stadtteilparlament erneut ihre Bedenken. Es geht ihnen um Feuerschutz, Fahrradständer und Fluchtwege. Das ehemalige Seniorenheim könnte für 70 Geflüchtete zu klein sein, befürchten sie. Der damalige Sozial-Staatsrat Horst Frehe von den Grünen versichert, dass die Landesbauverordnung natürlich eingehalten werde. Am Ende beschließt der Beirat einstimmig, dass das Heim kommen wird. Gerade das bringt die skeptischen AnwohnerInnen in Rage. Dem Weser-Kurier sagen sie später, man habe ihre Bedenken nicht ernst genommen.

In einem offenen Brief verlangen sie, dass maximal 30 bis 40 Flüchtlinge in dem Heim untergebracht werden. Dabei berufen sie sich auf die Genfer Flüchtlingskonvention, die eine menschenwürdige Unterbringung von Geflüchteten vorschreibt. Die AnwohnerInnen unterschreiben den Brief, jedoch nur handschriftlich. Für Barbara Schneider ist das „anonym“. Und mit anonymen Menschen „rede ich nicht“, sagt sie. Schneider antwortet mit einem offenen Schreiben, weist darauf hin, dass über Flüchtlingsheime keine AnwohnerInnen entscheiden, sondern gewählte VertreterInnen wie sie. „Würden wir basisdemokratisch vorgehen, könnten wir alle Unterkünfte zumachen“, sagt sie. „Die Bedenken waren nur ein Feigenblatt für die Haltung: Wir wollen keine Flüchtlinge haben!“, kritisiert die Grünen-Politikerin.

Im Weser-Kurier erscheint dazu ein Kommentar, der eine ähnliche Meinung vertritt wie zuvor Barbara Schneider. Als der Beirat ihn in seinem Schaukasten aushängt, wird er über Wochen hinweg mit dem offenen Brief der AnwohnerInnen überklebt. Auch wir haben mit einem der AnwohnerInnen gesprochen, der an den Protesten beteiligt war. Leider mussten wir seine Aussagen aus diesem Text entfernen: Er entsprach nicht seinen Erwartungen; der Mann drohte uns mit rechtlichen Schritten, wenn wir seine Aussagen veröffentlichen würden.

Irgendwann wurde es ruhiger um die Flüchtlingsunterkunft, die nach über zwei Jahren endlich von Geflüchteten bezogen werden konnte. Erst im April 2016 zogen 70 Geflüchtete ein, Alleinstehende und Familien aus Afghanistan, Syrien oder dem Iran. Die Arbeiterwohlfahrt betreut das Übergangswohnheim, dessen Leiterin Franziska Görlich ist. Sie ist auch Ansprechpartnerin, wenn Probleme auftreten. Es wird sogar eigens eine Hotline eingerichtet. Doch das Telefon klingelt sehr selten. Sie erlebe bisher nur positiv eingestellte und aufgeschlossene NachbarInnen, sagt Görlich. Auch an den weiteren runden Tischen bleibt es ruhig, berichtet die grüne Ortsamtsleiterin Karen Mathes. Zwei der von uns befragten BewohnerInnen des Heims halten die Daumen nach oben, als sie nach den NachbarInnen gefragt werden. Eine Bewohnerin sagt, sie seien nett.

Und die SkeptikerInnen? Bei den runden Tischen blieben sie stumm, sagt Schneider. Es ist ganz so, wie sie es auch von anderen Heimen kennt: „Die praktische Erfahrung und Begegnung mit Flüchtlingen beseitigt alle Ängste.“ Auch Franziska Görlich ist zufrieden: „Für Flüchtlinge bieten Ausstattung und Lage der Unterkunft mit die besten Bedingungen in ganz Bremen.“

Text: Eva Przybyla
Foto: Lena Möhler