#51 WALLER PARK: Besuch bei einem Radiomoderator, der wenig spricht, kein Smartphone besitzt und selbst aus seinem Namen ein Geheimnis macht
Die zarten Klänge der Band Passenger werden ausgeschaltet. Lange graue Locken werden zu einem Zopf zusammengebunden, die Kopfhörer aufgesetzt. Stille tritt ein bis melancholisch-asiatische Gesänge einsetzen; die Anfangsmelodie des Therapeutischen Radios. Windy Jacob, der Moderator, summt die Melodie mit, um sich selbst zu beruhigen. Er wirkt angespannt, kommt aber zur Ruhe, sobald er die ersten Worte auf Chinesisch gesprochen hat. Es ist zu einem Ritual geworden, dass Jacob seine Sendung auf Chinesisch anmoderiert. Warum? Das weiß keiner so genau. Aber so kennen seine HörerInnen ihn und seine leicht kryptische Zwischenmoderationen, die nicht immer Sinn ergeben müssen. Oft wird etwas angerissen, aber nicht wirklich ausgeführt, sodass die Hörerinnen und Hörer in einer gewissen Unwissenheit bleiben. Aber so ist Windy Jacob, der selbst aus dem Ursprung seines Namens ein echtes Geheimnis macht.
„Sorry, ich habe nicht aufgeräumt.“ So begrüßt uns Jacob in seinem kleinen Tonstudio in der Kulturwerkstatt Westend in Walle. Der lichtdurchflutete Raum wirkt ein bisschen chaotisch, aber gemütlich. Auf Tischen und in Regalen liegen Tausende Veranstaltungsflyer herum, viele CDs, kleine Notizen und Kartons, dazwischen eine Teedose aus Sri Lanka, alkoholfreier Sekt und ein altes analoges Radio. In der Ecke stehen sein Pult und die Mikrofone. In dem Rest des Raumes sind zwei Tische mit mehreren Sesseln verteilt.
Jacob ist 55 Jahre alt und verdient sein Geld mit Presse- und Öffentlichkeitsarbeit für die Kulturwerkstatt, seine Leidenschaft aber ist das Radio. Jeden zweiten Donnerstag macht er seine Sendung „westendRADIO“, jeden Dienstag das Therapeutische Radio. Beides zu hören im offenen Kanal von Radio Weser.TV. Im „westendRADIO“ geht es um Themen rund um das Westend, das „Therapeutische Radio“ aber ist Jacobs ganz eigener Spielplatz. „Wir therapieren alles und jeden, nur uns selbst nicht“, sagt er in seiner Sendung. Tatsächlich aber stammt der Titel daher, dass sein ehemaliger Radiopartner damals eine experimentelle Fernsehshow namens „Therapeutisches Fernsehen“ moderierte, „in der er völlig schräge Sachen ausprobierte“, sagt Jacob. Und so wurde der Name des Therapeutischen Radios geboren. Jacob wird für die Sendung nicht bezahlt und steckt doch seine ganze Leidenschaft hinein.
„Wenig Moderation und ganz viel Musik“, so beschreibt Jacob selbst seine Sendung, „das kann man im offenen Kanal halt machen.“ Einmal spielte er einen 50-minütigen Song am Stück. Auf die Songs geht er nur kurz ein, die Musik spricht für sich. Jacob spielt nur, was ihm selbst gefällt. Da lässt er sich von niemandem reinreden. Größtenteils laufen also Stücke von Singer-Songwritern, Akustik, ruhige Klänge und meditativ-orientalische Musik. Dabei achtet er mehr auf die Stimme als auf den Text: „Die Botschaft interessiert mich gar nicht. Mir geht es eher um den Klang und den Flow.“ Auch die Quote ist ihm egal, „das wird doch sonst immer angeglichener! Es gibt keine Analyse, wie viele Leute zuhören, weil ja auch keine Werbung gespielt wird. Deshalb kann ich auch so agieren, wie ich möchte, und muss mich nicht an
irgendwelche vorgefertigten Texte halten!“
Die Quote ist ihm völlig egal
Jacob macht sein eigenes Ding, auf die ganz altmodische Art. Er besitzt kein Smartphone und hat kein Wlan zu Hause. „Das bringt doch nichts!“, sagt er. Heutzutage habe jeder die Befürchtung, etwas zu verpassen und ständig sein Handy abchecken zu müssen. Für die jungen Menschen gebe es durch die Medien keine Notwendigkeit mehr, selbst zu denken. „Ich finde es wichtig, eine eigene Meinung zu haben und auch mal etwas infrage zu stellen“, sagt Jacob. Er genießt die ungewohnte Umgebung, wenn er sich mal mit seinem Fahrrad verfährt, und ist stolz darauf, auf unbekannte Menschen zuzugehen und sie nach dem Weg zu fragen. „Heutzutage ist Kommunikation wichtig. Man muss tolerant sein und reden können, miteinander kommunizieren.“ Sein gelegentlicher Co-Moderator Klaus Klaemena sagt, Jacob kopple sich immer mehr ab: „Er schreibt noch Briefe! Er ist kein moderner Mensch, eher traditionell.“
Wlan zu Hause?
Ein Smartphone?
Das bringt doch nichts!
Windy Jacob ist das Haptische lieber, weshalb er auch nicht einfach vom Laptop sendet. Da geht manchmal auch etwas schief. Einmal zum Beispiel gab es kein Sendesignal. Was passierte dann? „Ruhe bewahren.“ Als im Radio eine Minute lang nichts passierte, kam automatisch Musik vom Band. „Ich habe die Sendung trotzdem durchgezogen und dem Studiogast nichts davon erzählt. Ich habe das Ganze aufgenommen und später einfach nochmal ausgestrahlt.“ Für Jacob relativieren sich alle Dinge sowieso, weshalb er kleine Patzer nicht so eng sieht.
Jacob sagt, Musik sei sein Leben, er selbst spielt Gitarre und Rahmentrommel und hat in seiner Vergangenheit sogar drei Jahre lang Bauchtanzunterricht genommen. Er hatte schon immer viel Radio gehört und Briefe an seine Lieblingssendungen geschrieben, um sich Songs zu wünschen. Um aufzufallen, hat Jacob die Briefe schon mal parfümiert oder in Sütterlin geschrieben. Meistens wurden seine Wünsche erhört.
Nach Bremen kam er 1980. Wegen einer verlorenen Wette musste er damals vier Stunden lang live im Radio chinesisches Essen kochen. Mit zwei Fahrrädern und vier großen Taschen seien sie damals zum Radiosender „Bremen Vier“ gefahren. Als Mitte der 1990er-Jahre der Offene Kanal mit vielen freien Sendeplätzen an den Start ging, hat Jacob seine Chance ergriffen und mit einem Freund zusammen das Therapeutische Radio gegründet. Nun konnte er seine Lieblingsmusik spielen, ohne Briefe schreiben zu müssen.
670 Sendungen hat Jacob bislang gemacht, etwa vierzig davon mit seinem Freund Klaus Klaemena. „Zu zweit ist alles ganz anders“, sagt Jacob. Klaemena und Jacob spielen ihre Songs abwechselnd, ohne dass der andere vorher weiß, welche es sein werden. Während ein Lied von Klaemena spielt, wählt Jacob spontan den nächsten Song aus. Jacob gefällt der Ansporn und das Adrenalin: Alles soll zusammenpassen und sich einem großen Oberthema fügen. Nebenbei essen die Moderatoren Chips und trinken alkoholfreien Sekt. Gesprochen wird dabei nicht viel, aber Jacob sagt, in den Songs steckten manchmal heimliche Botschaften an seine Lieben: an Freunde, Menschen die ihm sehr nahestehen oder an seine Freundin.
„So, und jetzt eine Hammermoderation zum Abschluss“, sagt Jacob leicht ironisch zu Klaus Klaemena. Es gibt eine kurze Abschiedsformel, dann ein Handzeichen zum Schlussspann. Nach 23 Liedern in zwei Stunden erklingt die Abschlussmelodie. Und es wird erst mal ausgeatmet.
Text: Maha Vollmer
Foto: Lena Möhler