EDITORIAL: Unten ist das neue Oben
Es ist nun schon das dritte Jahr in Folge, dass sich die Dezemberausgabe von ihren neun Vorgängerinnen des Jahres unterscheidet: 2016 und 2017 gab es vor Weihnachten je eine Fotoausgabe: die #44 BÜRGERWEIDE und die #54 LINIE 1. In diesem Heft finden Sie zwar wie gewohnt eine Mischung aus Texten und Bildern. Aber unsere Geschichten haben wir nicht auf der Straße gesucht, sondern darunter. So ein Perspektivwechsel soll ja ganz gut tun.
Was haben wir also gefunden? Zunächst ist da eine Stadt unter der Stadt: Auf 2.300 Kilometern – was einer Strecke von Bremen bis nach Palermo entspricht – durchziehen die Abwasserkanäle das gesamte Stadtgebiet und transportieren unsere Hinterlassenschaften in die Klärwerke. Eine Errungenschaft, der wir mehr Jahre an durchschnittlicher Lebenserwartung verdanken als dem medizinischen Fortschritt (Seite 8).
In der Bischofsnadel, der kleinen Einkaufspassage unter der Prachtstraße Am Wall, sitzt tagtäglich Kenny. Er lebt von dem, was ihm die Passanten in seine Schale werfen, und er lebt für seine Träume. Die meisten davon schreibt und zeichnet er in Notizbücher. Ein paar andere möchte er zur Realität machen (Seite 12).
Unter unserem Vertriebsbüro auf der Brake verläuft eine ziemlich geheime Straße, die Unterpflasterstraße. Sie ist sogar berüchtigt, seit die Täter der Diskoschießerei sie als Fluchtweg genutzt haben. Wir haben uns diesem Ort mit der Fotokamera genähert (Seite 14). Keine Bilder haben wir von den Wachsleichen gemacht, die immer mal wieder auf dem Riensberger Friedhof gefunden werden. Selbst nach 30 Jahren sind die Körper mancher Verstorbener kaum verwest. Warum das so ist, haben wir uns erklären lassen (Seite 20). Und schließlich geht es um Nutrias, die es sich unter unseren Deichen bequem machen und so zu einem Problem für den Hochwasserschutz geworden sind (Seite 24).
Viel Vergnügen beim Lesen wünschen Philipp Jarke, Jan Zier
und das ganze Team der Zeitschrift der Straße
Aus dem Inhalt:
08 Die Stadt unter der Stadt
Ein Besuch an verborgenen Orten, an denen man sich vor Ratten und Gestank fürchtet: den Abwasserkanälen
12 Der Straßenkünstler
Kennys Platz ist seit 15 Jahren dort, wo Menschen auf ihn heruntergucken. Weil er nicht mehr so arm und klein wirken wollte, zeichnet er
14 Fürs Finanzamt und die Unterwelt
Bildstrecke
20 Wachsleichen und Sondermüll
Bremer Friedhöfe haben damit zu kämpfen, dass nicht alle bestatteten Körper vollständig verwesen.
24 Invasion der Riesennager
Deiche schützen Bremen vor Hochwasser. Jetzt brauchen sie selbst Schutz: Nutrias haben es sich unter ihrer Oberfläche gemütlich gemacht
26 Wir können weiter studieren
Die Uni der Straße, die Bildung für alle bietet, wird zwei weitere Jahre gefördert: das neue Semesterprogramm ist da
28 Ab heute nicht mehr unsichtbar (online lesen)
StudentInnen aus Bremerhaven haben einen Kurzfilm für die Zeitschrift der Straße gedreht, der die Nöte obdachloser Menschen zeigt
Hintergrundbild: killbox/flickr.com