Leseprobe

„DER GANZE TIEDEN-QUATSCH HAT MICH GENERVT“

#62 WESER – Ein Gespräch über Delfine, das Wohnen an Bord und die Frage, warum es so schwer ist, als Frau Binnenschifferin zu werden

 

Der Museumshaven Vegesack sieht an diesem Tag leer aus: sieben größere Schiffe liegen an den Stegen. Im Schatten des verlassenen Einkaufszentrums Haven Höövt ziehen ein paar Jugendliche gelangweilt ihre Runden. Die „Noortje“ sieht man erst, wenn man direkt an der Hafenmauer steht. Ihre Besitzerin Rega Kerner richtet sich gerade für ein Wochenende auf dem Boot ein. Kerner, die sich selbst auch als „Berufesammlerin“ bezeichnet, verbindet ihre Leidenschaft für die Binnenschifffahrt mit der Schriftstellerei. In ihren beiden Romanen „Schiffschwein Spekje“ und „Wer Schiffe klaut, kriegt nasse Füße“ erzählt sie von ihrem Schiff. Und davon, wie es ist, sein Leben an Bord mit einem Minischwein zu teilen.

Frau Kerner, heißt es Schiff oder Boot? Gute Frage! Da scheiden sich die Geister. Für einen Berufsschiffer sind das hier Boote, genauso wie alles, was privat so rumtöppelt: Ein Schiff ist ein großes Fracht-, See- oder Binnenschiff. Das ist aber immer eine Frage des Blickwinkels. Es gibt Leute, die beleidigt sind, wenn man „Boot“ sagt, genauso wie manche Schiffer beleidigt sind, wenn man „Kahn“ sagt, weil das etwas Abwertendes hätte.

Wie alt ist die „Noortje“? Sie hat zwei Baujahre. Eines weiß ich sicher: 1946 – da habe ich die Brandmarke gefunden und damit steht sie auch noch im Register in Rotterdam eingeschrieben. Die mündliche Überlieferung ist aber, dass sie 1928 als eine Art Krabbenkutter oder Fischerboot in Danzig gebaut wurde. Die Theorie dazu halte ich mittlerweile für sehr wahrscheinlich.

Und die wäre? Nach dem Krieg wurden viele alte deutsche Rümpfe als Wiedergutmachung in die holländischen Seewerften gebracht und dort zu Arbeitsbooten umgebaut. Von denen waren im Krieg viele zerstört worden, und um den Seeschiffbau wieder aufnehmen zu können, brauchte man die alten Rümpfe. Ihre Vergangenheit als Arbeitsboot würde auch die ganzen Beulen erklären. Ende der Sechzigerjahre ist sie aber schon ein Wohnboot in Amsterdam geworden, 2002 habe ich sie dann gekauft. Ich sage immer, dass das Boot schon vor meiner Geburt in Rente gegangen ist und darauf gewartet hat, dass ich sie wieder in die Fahrt zurückhole.

Gibt einen Teil am Schiff, den Sie am liebsten mögen? Erstmal liebe ich diese spezielle Bugform. Dann sitze ich natürlich gerne im Steuerhaus, mit offenen Fenstern ist das meine Raucherkammer, damit meine Tochter unten verschont bleibt. Vorne in der Koje kuscheln ist aber auch total schön. Früher, als ich noch allein war auf dem Boot, hatte ich einen Schaukelstuhl in der Küche. Dann habe ich im Herbst, wenn es stürmte und pfiff, unheimlich gerne den Dieselofen angemacht, die Füße auf den Tisch gelegt und im Schaukelstuhl gesessen. Durch die Luke konnte man dann auch oben in den Himmel gucken. Und ich liebe meine Badewanne hier!

Ihre Karriere als Binnenschifferin scheiterte zuerst an der Toilette. Wie kam es dazu? Als ich mit der Schule fertig war, bin ich bei vielen Reedereien persönlich aufmarschiert. Immer wieder wurde ich abgelehnt. Das häufigste Argument, das ich hörte, war: Man würde zwar sehr gerne Frauen ausbilden, man dürfe es aber nicht, weil es im Vorschiff nur ein Klo gebe. Und das müssten der Schiffsjunge und der Matrose sich teilen. Ich habe gebettelt! Ich wollte unterschreiben, dass ich damit kein Problem hätte – aber ich bekam keine Chance, weil ein eigenes Klo für mich vom Gesetz vorgeschrieben war. Oft wurde ich auch gefragt, auf welches Schiff ich denn dann heiraten wolle. Ich wollte einfach nur Matrose werden und den Beruf lernen.

Ihr Vater war Hochseeschiffer. Hat er Sie mal mitgenommen? Als ich sechs und war kurz vor der Einschulung stand, sind wir einmal als Familie auf einem Tanker nach Amerika gefahren. Das war schön, aber ich habe gemerkt, dass auch fliegende Fische und Delfine nach zwei, drei Wochen stinklangweilig werden. Das hat vielleicht auch dazu beigetragen, dass die Binnenschifffahrt, wo man jeden Abend woanders anlegt, mich so fasziniert hat.

„Noortje“ von innen (Foto: Jan Zier)

Werden Sie seekrank? Einmal, als ich klein war, hatte mein Vater mal eine Segelyacht verholt. Wir waren im Sturm auf der Biskaya. Ich musste drinnen bleiben, die Tür hatte aber ein Fenster. Mein Vater stand hinten an der Pinne, die Wellenbrecher gingen über ihn rüber und er verschwand hinter den Wellen. Immer wenn das Wasser weg war, schaute ich nach, ob er noch da war. Bei dem ganzen Rumgeschleudere musste ich mich irgendwann übergeben.

Was ist das Besondere an der Weser? Ich bin eine Rheinfanatikerin gewesen, obwohl ich an der Weser aufgewachsen bin. Dieser ganze Tieden-Quatsch hier hat mich am Anfang genervt. Es ist hier sehr viel ruhiger und gemütlicher als auf dem Rhein. Worüber ich mich allerdings kaputtlache, das  sind die Bremer mit ihrer Seeschifffahrtsstraße: Jenseits der Stephaniebrücke ist die Weser kein Binnengwässer mehr. Meinen Fährführerschein, den ich auf dem vielbefahrenen Rhein gemacht habe, kann ich zwar auf jede Fährstelle einer Bundeswasserstraßen umschreiben lassen. Aber nicht auf der Seeschifffahrtsstraße in Bremen – da muss man ein Patent machen.

Wo genau wollten Sie mit dem Schiff wohnen? Meinen früheren Liegeplatz in Köln an der Rodenkirchener Brücke habe ich geliebt! Ich weiß noch gut, wie ich dort ankam, auf meinem rostigen Schiff an Deck saß und freie Aussicht auf den Rhein hatte. Da habe ich mir die  Balkone der teuren Villen am Ufer angeschaut und dachte: Ihr habt jetzt ein Vermögen für eure Aussicht ausgegeben und das erste worauf ihr guckt, ist mein altes Boot. Und meine Aussicht ist unverbaubar! Da hätte ich ewig bleiben können. Damals dachte ich, ich hätte meinen Platz in der Welt gefunden. Na ja, es kam dann aber anders.

Möchten Sie nun hier in Vegesack bleiben? Das weiß ich noch nicht. Ich mag den Hafen und würde meine Heimat hier gerne behalten, aber das habe ich früher auch schon öfter gedacht. Es kommt auch darauf an, was meine Tochter später macht. Wenn die irgendwo in Übersee ist, kann ich ja auch sonstwohin töffeln. Eigentlich war Köln ja auch meine Wahlheimat, aber das ist als Alleinerziehende nicht zu bezahlen.

Warum leben Sie nicht dauerhaft auf der Noortje? Bis vor kurzem war das nicht möglich, da man mit einem Kleinkind an Bord immer unter Strom ist. Und es gibt hier nur einen Raum, mir fehlt ein Kinderzimmer. Ich überlege immer mal wieder, ob ich jetzt, wo meine Tochter schwimmen kann, ein kleines altes Boot für sie neben Noortje lege.

Heute schreiben sie Kinderbücher und Romane. Wie sind Sie dazu gekommen? Das war schon immer mein Jugendtraum: Binnenschifffahrt und Bücher schreiben!

Wie sind Sie zu dem Schiffsschwein gekommen? Spekje ist auf einem Schleusengelände geboren, der Schleusenmeister dort hatte ein Art kleinen Zoo. Aus moralischen Gründen hat er dann eine schwangere Sau vor der Schlachtung bewahrt und die Ferkel wurden als Spanferkel an die Schiffer verkauft. Ich bin aber, seit ich 16 bin, Vegetarierin und obwohl wir zu dem Schluss gekommen waren, dass das an Bord nicht geht, ist Spekje dann eben doch drei Jahre auf dem Tanker meines Ex-Mannes aufgewachsen, bis er auch für ein Minischwein zu groß geworden war. Das Ende der Geschichte steht in meinem Buch!

 

Teresa Wolny ist ebenfalls ein großer Schweinefan und immer noch hochgradig beeindruckt von Rega Kerners Geschichtenvorrat.

Beate C. Köhler ist freie Fotografin. Sie erlebte Rega Kerner als eine vor Energie und Ideen sprühende Frau, die viele Geschichten zu erzählen hat.