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DIE HALBE STRASSE

#95 BULTHAUPTSTRASSE – Die Firma Fuhrken hat einst die halbe Bulthauptstraße gebaut. Heute saniert sie Altbauten – und öffnet für uns ihr Firmenarchiv

Wer mit offenen Augen durch Bremen geht, sieht sie manchmal, die blau-gelben Fuhrken-Lkws: „Bauunternehmung“ steht darauf und: Altbausanierung. Die Firma J. H. Fuhrken ist ein Traditi- onsbetrieb, seit dem Jahr 1900 besteht die Firma schon, und die kleine, ein bisschen lustige Pointe: Viele der Gebäude, die die Firma jetzt saniert, hat sie früher einmal selbst gebaut. Zeit also für einen Ortsbesuch: Wir sind verabredet mit Urda Blohm-Sudholz, der Großnichte des Firmengründers. Sie öffnet für uns ihr Archiv.

Das Geschäftsgelände der Firma Fuhrken befindet sich seit über 50 Jahren an der Stresemannstraße: ein relativ unscheinbares, weißes Industriegebäude in zweiter Reihe und dahinter eine große Halle, in der Baumaterialien gelagert werden. Im Hausflur hängt eine Luftaufnahme, auch schon ein paar Jahrzehnte alt, die das Gelände von oben zeigt: Auf den ersten Blick hat sich dort bis heute nicht viel verändert. In der Nachbarschaft dafür umso mehr: Rund um das Grundstück be- fanden sich damals hauptsächlich Grünflächen – im Laufe der Jahre haben sich dort auch viele andere Firmen angesiedelt, das Grün ist zu großen Teilen einem Betongrau gewichen. Das Büro der Firma Fuhrken selbst wirkt auf den ersten Blick gar nicht wie ein Büro, sondern eher wie ein gemütliches, immer noch weihnachtlich geschmücktes Wohnzimmer, in das sich zufällig auch ein großer Schreibtisch verirrt hat. An den Wänden hängen gerahmte Bilder der Familienmitglieder unterschiedlicher Generationen, viele davon noch in Schwarz-Weiß. Besonders auffällig sind auch die vielen Sammelobjekte, die in Regalen

stehen und wie eine kleine Ausstellung wirken: Fein bemalte Holz- und Porzellaneier, bunte Ma- troschka-Puppen und kleine, aufwendig verzierte Porzellanglöckchen. „Alles Sammlungen meiner Mutter“, sagt Urda Blohm-Sudholz beim Blick auf die Wände, die einem einen ersten Einblick in die Familiengeschichte von Johann Heinrich Fuhrken bieten. Sie ist die Tochter von Günther Blohm, der 1949 von seinem Onkel Johann Heinrich Fuhrken die Leitung des Unternehmens übernahm. Und mit ihrer Tochter Daniela Sudholz ist nun bereits die vierte Familiengeneration in der Geschäftsführung tätig.

J. H. Fuhrken war es, der das Unternehmen 1900 gründete und sich im Laufe der Jahre einen Namen in der Bremer Baulandschaft machte. Unter seinen Projekten befanden sich einzelne Gebäude wie das Roselius-Haus in der Böttcherstraße, teilweise aber auch ganze Straßenzüge – auch die rechte Seite der Bulthauptstraße gehörte dazu. Zwischen 1906 und 1913 wurden, bis auf zwei Aus- nahmen (Nr. 24 und Nr. 26–28), alle Häuser mit geraden Hausnummern unter Fuhrkens Leitung gebaut. Und das wird auch in ihrer Optik deutlich: Die Häuser wirken alle wie aus einem Guss. Der Aufbau ist überall der eines klassischen Altbremer Hauses: schmal gehalten, meist dreigeschossig, kleine Treppen zu Hochparterre- und Souter- rain-Wohnung. Sie sind im sogenannten Reformstil gebaut, haben Satteldächer, Erker und fast alle noch die gleichen, schmiedeeisernen Zäune wie zur Zeit ihrer Entstehung. Auch die Anordnung von Fenstern und Türen ist oft ähnlich, teilweise identisch. So normal diese Art von Reihenhausbauweise heute ist, so ungewöhnlich war sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Deutschlandweit gab es sie ausschließlich in Bremen – und Fuhrken mischte fleißig mit. Neben der Bulthauptstraße bebaute er auch die Benquestraße, die Arnold-Böcklin-Straße und diverse andere, besonders häufig in Schwachhausen gelegene Grundstücke.

Blättern im Archiv: Urda Blohm-Sudholz auf der Suche nach Fotos.

Gebaut wurde in der Regel nach Auftrag und nicht schon im Voraus, dafür sei schließlich kein Geld da gewesen: „Heute hat man das viele Geld nicht, das es dafür braucht, früher hatte man eben das wenige Geld nicht. Sie können sich das vorstellen wie bei den Malern früher: die hatten auch kein Geld, die haben nach Auftrag gemalt und damit ihr Geld verdient. Natürlich haben die auch für sich alleine gemalt, dann waren sie aber auch darauf angewiesen, dass die Bilder jemand gekauft hat, die mussten ja schließlich davon leben. So ähnlich war das hier mit den Häusern auch“, erzählt Urda Blohm-Sudholz. „Und es hat sich eben auch Stück für Stück rumgesprochen: Es wurde gebaut, dann hat das jemand anderes gesehen und sich gedacht ‚Ach, schick‘ und dann wollte der das auch – insofern hat sich das nach und nach entwickelt mit den Aufträgen. Und es kam ja auch vor, dass Fuhrken erst mal selbst in ein Haus eingezogen und dann wieder ausgezogen ist, wenn es Käufer dafür gab. Also frei in den Himmel gebaut hat er nicht, dafür war das einfach zu teuer.“

Zwischen und 30.000 und 50.000 Mark, je nach Ausstattung, kostete der Bau eines Altbremer Reihenhauses um 1900. Außerdem musste man deutlich mehr Zeit einplanen: Rund ein bis zwei Jahre Bauzeit – für ein einziges Haus, nicht für die ganze Reihe – wenn täglich „mindestens 30 Personen, wenn nicht sogar mehr“ auf der Baustelle arbeiteten. Grund dafür waren in erster Linie natürlich die noch nicht erfundenen technischen Hilfsmittel, die den Hausbau heute erleichtern. Und auch die Art und Weise, wie gebaut wurde, war eine andere: „Heute gibt es ja auch schon viele Fertigteile für den Hausbau, aber damals haben die ja noch gemauert von Hand, das war ja richtiges Handwerk“, sagt Frau Blohm-Sudholz, während sie in einem kleinen Holzkasten nach Fotografien sucht, die eine klassische Baustellensituation zeigen. Der Kasten ist eine Art kleines Archiv, das zum 100-jährigen Jubiläum zusammengestellt wurde. Leider gibt es nicht allzu viele Fotos aus der Zeit – auch Fotografieren bedeutete damals natürlich einen höheren Aufwand und mehr Kosten. Sie findet schließlich ein Bild von zwei Männern, die einen großen Pfeiler mithilfe eines Flaschenzugs anheben. Beim ersten Blick wird sofort das (fehlen- de) Bewusstsein über Arbeitssicherheit deutlich: Die beiden tragen etwa keine Sicherheitshelme. Außerdem bekommt man eine leise Ahnung vom großen Arbeitsaufwand, den der Hausbau damals verlangte. Trotzdem sieht man das Schild mit dem Namen Fuhrken Anfang des 20. Jahrhunderts überall, die Firma läuft. Auch als J. H. Fuhrkens Neffe, Diplomingenieur Günther Blohm, 1949 die Geschäftsführung übernimmt, reißt der Erfolg nicht ab.

Ab Mitte der 1980er-Jahre beginnt die Firma, sich besonders auf das Sanieren von Altbauten zu spezialisieren, heute sind Sanierung und Reparatur das Hauptgeschäft. Neu bauen ist laut Urda Blohm-Sudholz weder rentabel noch realistisch: „Das lohnt sich einfach nicht mehr, darauf sind wir auch gar nicht mehr ausgerichtet. Wir haben nur die klassischen Maurer und sind nur zu acht – für so etwas braucht man ja ganze Kolonnen. Dafür haben wir einfach nicht die Kapazitäten. Wir haben ja auch unsere Stammkundschaft und die soll immer möglichst schnell bedient wer- den können. Das ginge bei so einem großen Projekt nicht.“ Stattdessen werde also das, was bereits da ist, wieder aufbereitet oder repariert. Hin und wie- der komme mal ein neuer Balkon oder eine Dachterrasse, und auch sonst gebe es fast nichts, was die Firma nicht macht: „Alles, was an Reparatur- und Sanierungsarbeiten gemacht werden muss, machen wir.“ Dass die Firma heute die ‚eigenen“, also die damals von Fuhrken gebauten Häuser saniert, komme natürlich auch vor, sei aber nicht die Regel: „Das hängt ja immer von den Eigentümern ab, wer da engagiert wird. Wir haben allerdings auch ein paar Kunden in der Bulthauptstraße. Was genau da normalerweise saniert wird, kann man so aber gar nicht sagen. Das ist wie beim Menschen: Mal ist hier was kaputt, mal muss da was gemacht wer- den. Immer unterschiedlich.“

Dass Sanierung in einer denkmalgeschützten Straße wie der Bulthauptstraße ein Thema ist, das besonders groß geschrieben wird, sieht man so- fort: Alle Häuser sind in einem tadellosen Zustand und haben seit ihrem Bau weder an Glanz noch an Wirkung verloren. Man könnte beinahe vergessen, wie alt sie sind. Heutzutage Häuser in diesem Stil zu bauen, das wäre zwar schön – deutlich schöner als die glatten, unverzierten Neubau-Klötze, die aktuell überall aus dem Boden sprießen – allerdings auch sehr teuer. Umso schöner also, dass die bereits existierenden Altbremer Häuser häufig unter Denkmalschutz stehen und dementsprechend sorgsam behandelt werden. So kann man auch heute noch durch Straßen spazieren, in denen sich in den letzten 100 Jahren nicht viel verändert hat. So wie in der Bulthauptstraße.

Text und Recherche: Annika Schöll
Fotos: Hartmuth Bendig