Leseprobe

EIN SCHNACK MIT STEFAN

#31 WESTERDEICH – Über einen Umweg kam er zur Bildhauerei, durch einen guten Freund zur Zeitschrift der Straße

 

Ich bin in Tenever aufgewachsen, zusammen mit meiner Schwester. Als ich elf Jahre alt war, ist unsere Mutter abgehauen und hat den Kontakt zur Familie abgebrochen. Zwei Jahre später ist dann unser Vater gestorben.

Meine Schwester und ich wohnten erst für ein halbes Jahr bei unseren Großeltern, danach ein Jahr bei einer Pflegefamilie. Aber das war nur für den Übergang, bis wir einen Platz im Heim bekamen: in Alten Eichen in Huchting. Dort habe ich mit acht anderen Jugendlichen in einer Wohngruppe gelebt.

Nach der Schule habe ich als Lagerist gearbeitet, über eine Zeitarbeitsfirma. Ich hatte immer nur kurze Verträge, die brauchten halt nur neue Leute, wenn dort besonders viel los war. Nach einem Jahr habe ich damit aufgehört. Was ich dann gemacht habe? Ich habe Dinge verkauft, von denen ich lieber die Finger gelassen hätte. War keine gute Idee. Nach einiger Zeit haben sie mich erwischt. Das war’s dann.

Im Gefängnis hab ich in der Bildhauerwerkstatt gearbeitet. Das war genau das Richtige für mich. Zwei professionelle Bildhauer kamen regelmäßig in die Anstalt und haben uns angelernt. Mit der Zeit konnte ich dann richtige Skulpturen anfertigen, aus Stein und Holz. Zum Beispiel habe ich einen Wal aus Stein gehauen, ein anderes Projekt war eine Bank. Die Sachen wurden verkauft und in der Stadt aufgestellt. Mein letzter Auftrag war, kleine Tonfiguren für Beamte anzufertigen, die in Pension gingen – als Abschiedsgeschenk.

Künstlerische Arbeit liegt mir, das habe ich von meinem Vater. Als ich fünf oder sechs Jahre alt war, hat er viel mit mir gemalt. Als ich etwas älter war, haben wir gemeinsam Glas graviert oder
mit dem Lötkolben auf Holz gemalt. Derzeit zeichne ich viele Graffitis (auf Papier, nicht auf Wänden!) und Mangas: Drachen, Wikinger, Frauen, keltische Symbole.

Mein Traum ist, eine Ausbildung zum Bildhauer zu machen. Vielleicht wird das eines Tages noch mal was. Derzeit muss ich mich mit Zeichnen begnügen, mein Zimmer ist zu klein für eine Werkstatt, außerdem sind die Werkzeuge teuer, die Hämmer, Meißel, Feilen, auch das Material.

Zur Zeitschrift der Straße bin ich durch Bommel gekommen. Er ist ein guter Freund von mir, wir kennen uns schon ewig. Bommel verkauft die Zeitschrift schon länger und hat mich mal mitgenommen. Seit einem Jahr stehen wir beide am Hauptbahnhof, entweder beim Edeka oder bei den Parkautomaten. Wir wechseln uns da ab. Am Parkautomaten gibt es mehr Trinkgeld, dafür kaufen die Leute am Supermarkt mehr Zeitschriften. Da sind viele Stammkunden dabei, von der swb und sogar ein Polizist.

Apropos Polizei: Neulich hat am Bahnhof ein verwirrter Mann einen Betonklotz in eine Autoscheibe geschmissen. Ich habe ihn beobachtet und die Polizei gerufen. Ein paar Straßen weiter haben sie ihn geschnappt. Muss ja nicht sein, so was.

Protokoll und Foto: Philipp Jarke