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„ICH LIEBE MEINE STADT“

#89 BUNTENTORSTEINWEG – Michael Kelichhaus ist nach ein paar Jahren in der Fremde zurück nach Bremen gekommen. Und hier will er auch bleiben, obwohl die Verhältnisse härter geworden sind.

Im Oktober bin ich zurück nach Bremen gezogen, in meine Heimat. Hier habe ich Familie und einen guten Freund. Meine Familie ist mir eine große Unterstützung. Mein bester Freund erzählte mir, dass er die Zeitschrift der Straße verkaufe, und so bin ich auch dazu gekommen. Mit Menschen kann ich gut umgehen. Ich war schon vier Jahre richtig obdachlos, da habe ich am Bahnhof in Oldenburg gelebt und mich durch Schnorren über Wasser gehalten. Und weil ich das ganz gut draufhatte, dachte ich: Warum soll ich nicht versuchen, Zeitungen zu verkaufen? Als jemand, der gut reden kann? So habe ich damit angefangen. Und jetzt – möchte ich mal behaupten – bin ich einer der nettesten Verkäufer, die in der Sögestraße stehen.

Die Menschen reagieren auch immer gut auf mich. Jeden Tag sagt mir jemand, dass ich sehr charmant sei. Und auch wenn sie keine Zeitung kaufen, bleibe ich höflich und wünsche ihnen noch „einen schönen Tag“. Da dreht sich auch mal der eine oder andere um und steckt mir zwei Euro in die Hand, ohne eine Zeitung zu kaufen. So was ist schön für mich, Balsam für die Seele. Und es macht mir auch wirklich Spaß! Ich werde jetzt 46 und bin seit fünf Jahren in Rente. Ich bekomme nicht viel und die Einnahmen von der Zeitschrift der Straße retten mich wirklich. So richtig entspannt ist das allerdings nicht. Ich gehe meistens mit meinem Freund zusammen los in die Stadt, weil das sicherer ist. Manchmal wird man auch bedroht.

Ich bin suchtkrank und leide unter Depressionen. Dagegen nehme ich Medikamente, aber Antidepressiva ändern nichts daran, dass man eine Depression hat – sie fangen einen nur ein bisschen auf. Es gibt Tage, wo ich einfach nur dasitze und an die Wand starre. Da kriege ich auch kein Gespräch zustande. Und am nächsten Tag fühle ich mich wie das blühende Leben. Das ist so ein Hin und Her. Mir hilft es sehr, dass ich etwas zu tun habe. Früher hätte ich nie gedacht, dass ein Job so einen großen Effekt haben könnte, aber er hilft ungemein.

In Oldenburg bin ich damals hängen geblieben, weil ich da eine Therapie gemacht habe. Aber die Drogenberatungsstelle hat mir nicht geholfen – wirklich gar nicht. Und dann ist für mich alles in die Brüche gegangen und ich bin auf der Straße gelandet.

Gerettet hat mich eine Frau am Bahnhof. Die hat mich mit nach Hause genommen für vier Monate, hat mich bei sich einquartiert und sich um mich gekümmert. Wirklich: Sie hat mir regelrecht das Leben gerettet und mich dann in ein Betreutes Wohnen nach Hannover gebracht. Ich kannte sie vorher nicht. Sie meinte, sie hätte einfach irgend was an mir gesehen und wollte mir helfen. Sie hat mir auch gleich einen eigenen Haustürschlüssel gegeben, ich wusste, wo ihr Geld lag und alles, aber sie hat mir vertraut. Das war echt schön und hat mir geholfen, den Absprung zu kriegen vom Bahnhof.

Und jetzt bin ich wieder hier! Einerseits freue ich mich, aber Bremen ist in der letzten Zeit auch echt gewalttätig geworden. Durch die Crack- und Koks-Szene. Die ist wirklich brutal. Vor 20 Jahren war Bremen noch ganz anders, zwar immer schon immer ein bisschen schmuddelig, aber kein Vergleich zu jetzt. Aber ich liebe meine Stadt, und ich bin trotzdem stolzer Bremen. Ich werde hier bleiben und ich werde auch hier sterben.

Ich hoffe aber, dass ich bis dahin noch 25 gute Jahre habe. Ich finde, 70 ist schon ein stolzes Alter für ein Drogenabhängigen. Ich würde gerne einfach noch ein schönes Leben haben – und ich würde gerne noch mal ehrenamtlich arbeiten. Zum Beispiel im Altenheim. Das habe ich früher gerne gemacht, das würde ich gerne wieder tun. Und eine Wohnung hätte ich gerne. Man hat da natürlich ziemliche Schwierigkeiten, als Rentner ohne Arbeit und mit Schufa-Eintrag, aber es wäre mein großer Wunsch, mit meinem besten Freund zusammenzuziehen.

Text: Jamila Ghozzi
Foto: Volker Busch