EDITORIAL: DAS VIERTEL LINKS DER WESER
Liebe Leserinnen und Leser,
alles fühlt sich ein bisschen nach Zeitenwende an, während wir diese Begrüßungsworte zum neuen Heft schreiben. Seit ein paar Tagen darf die Außengastronomie wieder öffnen, Pflasterfotos von frisch geimpften Oberarmen überschwemmen die sozialen Netzwerke, Theater und Museen öffnen ihre Pforten. Natürlich ist das schön, und wir wären die Letzten, die sich nicht über das bisschen Freiheit freuen würden. Es ist nur so: Jener Buntentorsteinweg, an dem wir uns über die vergangenen Wochen herumgetrieben haben – den gibt es gar nicht mehr so richtig.
Denn tatsächlich war das eine andere Welt im Lockdown: Gerade in der nordwestlichen Hälfte dominieren Imbiss und Kneipe das Straßenbild. Oder auch nicht, weil beide so geschlossen sind wie die Kultur nebenan. Denn auch Schwankhalle, Schnürschuh Theater und Städtische Galerie liegen im Dornröschenschlaf.
Schön war es trotzdem in der Neustadt – und vielleicht auch gerade darum so spannend. Denn was macht eigentlich ein Szenelokal wie das Kuß Rosa, wenn es nichts machen darf (Seite 20)? Und was ist los an der Schwankhalle, von wo aus Theater zwar gerade nur online gestreamt wird, die dafür aber in einen spannenden künstlerischen Austausch mit der Nachbarschaft getreten ist (Seite 10)? Dass es auch am Buntentorsteinweg längst nicht nur ums Feiern geht, haben wir schließlich von Ellen Stolte gelernt, die hier beim Martinshof in einer inklusiven Werkstatt arbeitet (Seite 8) und beim Martinsclub nebenan als Magazin-Redakteurin. Wir haben es im Ruhemodus kennengelernt, dieses ehemalige ArbeiterrInnenquartier, diesen historischen Stadtrand, der heute von gar nicht so wenigen für Bremens eigentliches Zentrum gehalten wird.
Viel Spaß beim Lesen wünschen
Karolina Meyer-Schilf, Jan-Paul Koopmann
und das Team der Zeitschrift der Straße
Aus dem Inhalt:
08 Die Durchblickerin
Für Ellen Stolte ist der Buntentorsteinweg ein Ort zum Arbeiten und Leben. Auch wenn ihre Wohnung eigentlich ganz woanders liegt
10 Der Mönch am Fenster
Harald Thielsch ist Mönch, Kung-Fu-Trainer und Lebenskünstler. Von seinem Fenster gegenüber der Schwankhalle aus reagiert er mit Kunstwerken auf Kunstwerke
14 Straßenbild(er)
Bildstrecke
18 Besonderes Handwerk
Die ZigarrenmacherInnen im Buntentorsteinweg rollten die Volksdroge Tabak in mühevoller Handarbeit zur Massenware
20 Vom Leben geküsst
Wie sich die Szenekneipe Kuß Rosa über die Jahre verändert hat
24 „Das Wichtigste ist eine Entschuldigung“
Der Täter-Opfer-Ausgleich hilft Straffälligen und ihren Opfern bei der Aussöhnung
28 „Ich liebe meine Stadt“ (online lesen)
Unser Verkäufer Michael Kelichhaus bleibt in Bremen, obwohl es hier nicht leicht ist