EDITORIAL: Geisterstadt vorm Neuanfang
Liebe Leser:innen,
ein Gespenst geht um in den Lokalredaktionen – das Gespenst des Leerstands. Und weil dieses Thema derzeit nicht nur die Bremer Medienlandschaft umtreibt, kennen Sie alle unter Garantie solche Schlagzeilen: Traditionsreiches Familienunternehmen schließt nach fünf Generationen! Innenstadt verwaist! Ganze Stockwerke stehen leer! Keine Sorge: Diese Geschichten wollen wir Ihnen hier und heute nicht schon wieder erzählen.
Trotzdem beschäftigt uns der Leerstand auch in der Zeitschrift der Straße. Zum einen, weil er sozusagen Lücken in unsere Themenfelder schlägt: weil in fast jeder Straße, mit der wir uns beschäftigen, Gebäude leer stehen, die jemandem wichtig waren, die vielleicht einmal ganze Quartiere geprägt haben. Zum anderen wird es auch für unsere Verkäufer:innen von Tag zu Tag härter, in immer leerer werdenden Fußgängerzonen Hefte zu verkaufen. All das geht uns etwas an und beschäftigt uns.
Aber wie machen wir ein Heft daraus, wenn die Probleme doch so offensichtlich auf dem Tisch liegen? Wir haben uns für einen Schritt zurück entschieden, für ein bisschen Abstand, um noch mal neu zu fragen: Was bedeutet Leerstand eigentlich, abgesehen von leeren Schaufenstern und hektischem Abverkauf? Und ist wirklich alles schlecht oder manches vielleicht auch einfach nur … anders? Wir haben diese Fragen diesmal vor allem unseren Fotograf:innen vorgelegt, um noch mal ganz neu auf das Phänomen zu schauen, ohne es zu zerreden – um Grauzonen auszuloten und Widersprüche zu beleuchten. Ob es nun verlassene Werkstätten sind (S. 16), Fabriken, in denen heute Schulklassen lernen (S. 10) oder Bürogebäude, in denen einfach niemand mehr ist, weil Corona uns das Arbeiten zu Hause gelehrt hat (S. 12).
Wir wünschen Ihnen eine anregende (und vielleicht ja auch etwas gespenstische) Lektüre!
Karolina Meyer-Schilf, Jan-Paul Koopmann
und das Team der Zeitschrift der Straße
Aus dem Inhalt:
08 „Das habe ich nicht gewollt“
Ursachenforschung und Schuldfragen als Bildergeschichte
10 Raus aus der Schule
Industrieleerstand sucht obdachlose Bildungseinrichtung
12 Wohnen im Büro?
Vor Corona undenkbar, heute schon Standard: Homeoffice für alle
16 Geist der Arbeit
„Lost Places“ und verblassende Erinnerung im Spiegel der Kunst
18 Der letzte macht das Licht aus
Was die Kirche mit immer leereren Kirchen anfängt
20 Was bleibt
In Wohnungen steckt Leben. Oft auch, wenn sonst alles weg ist
24 53.076096, 8.808186
Auch unsere Lyrik-Reihe beschäftigt sich mit der Leere
28 „Ich bin ein idealistischer Mensch“
Unser Verkäufer Marc beginnt einen neuen Lebensabschnitt
Ab 6. Februar 2023 bei unseren Verkäufer:innen auf Bremens und Bremerhavens Straßen erhältlich!
