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EIN SCHNACK MIT ALEXANDER

#33 FALKENSTRASSE. Eine Einladung führte ihn nach Bremen, wo er seit acht Jahren auf der Straße lebt

Wie man leicht hören kann, komme ich aus dem Rheinland, genauer gesagt aus Köln. Dort habe ich die ersten 25 Jahre meines Lebens gelebt. „Gewohnt“ kann man nicht unbedingt sagen, denn seit meinem 17. Lebensjahr lebe ich auf der Straße.

Damals bin ich bei meiner Mutter rausgeflogen, wir hatten uns ständig in den Haaren wegen des Kiffens und des Alkohols. Irgendwann hat es geknallt und ich stand auf der Straße. Zu meinem Vater konnte ich nicht, den hatte ich nie kennengelernt. Also bin ich umhergezogen, habe im ständigen Wechsel bei Freunden gewohnt oder eben auf der Straße gelebt.

Nach der Sonderschule habe ich eine Lehre als Maler und Lackierer angefangen.

Nach eineinhalb Jahren habe ich aber abgebrochen und mich stattdessen mit Gelegenheitsjobs über Wasser gehalten. Als meine Alkoholprobleme immer heftiger wurden, habe ich eine Therapie gemacht und auch durchgezogen. Danach bin ich weg aus Köln, ich brauchte dringend einen Tapetenwechsel.

Nach Bremen kam ich dann aus Zufall, ich war zu einer Party eingeladen und bin einfach hiergeblieben. Wobei mir gleich zu Beginn mein Hund gestohlen wurde:

Dolly, ein Mischling aus Bordercollie und Berner Sennenhund. Ich habe am Bahnhof auf der Straße übernachtet, und während ich schlief, muss jemand Dolly einfach mitgenommen haben. Dolly war erst sechs Monate alt, ich hatte sie von klein auf. Keine Ahnung, wo sie jetzt steckt. Aber abgesehen davon gefällt mir Bremen wirklich gut, die Leute sind sehr umgänglich und entspannt. Gerade die Polizisten, mit denen wir es auf der Straße häufig mal zu tun bekommen, sind sehr freundlich. Da habe ich damals in Köln ganz andere Erfahrungen gemacht.

Meine Mutter ist vor zehn Jahren leider gestorben, und zu meinem jüngeren Bruder habe ich den Kontakt abgebrochen. Wir waren völlig zerstritten. Was bleibt, ist meine Straßenfamilie, Kumpels, die wie ich ohne feste Bleibe sind.

Bei der Zeitschrift der Straße bin ich fast von Anfang an, seit der zweiten Ausgabe.

Ich hatte damals einen Stammplatz am Bahnhof, aber seit dort so viele andere Verkäufer stehen, laufe ich lieber jeden Tag quer durch die Innenstadt und biete die Hefte Passanten an. Das läuft vor allem im Sommerhalbjahr sehr gut, wenn viele Menschen draußen im Café sitzen. Auf meiner üblichen Tour laufe ich von der Neustadt zur Domsheide, durchs Viertel zum Hauptbahnhof und dann durch die Altstadt wieder zurück in die Neustadt, wo ich derzeit auch auf der Straße übernachte.

Wie viele Kilometer ich pro Tag abreiße, weiß ich nicht, aber alle zwei Monate sind meine Schuhe völlig durchgetreten und ich brauche neue. Ab November habe ich ein WG-Zimmer in Gröpelingen, noch rechtzeitig vor dem Winter. Dann möchte ich auch wieder anfangen zu arbeiten, bei einer Zeitarbeitsfirma vielleicht oder als Lagerist.

Protokoll und Foto:
Philipp Jarke

ursprünglich veröffentlicht im
November 2015