Leseprobe

AUF EIN BIER MIT DEM KRAKENMANN

#63 WARTBURGPLATZ – Seinen Namen behält der Autor für sich, dafür erzählt er in seinen autobiografischen Büchern mehr von sich und seinen Sauftouren durch Walle, als manchen lieb ist

 

Direkt am Wartburgplatz in einer WG wohnt er, der Krakenmann. Ein Autor aus Walle, „eher ein kleiner Fisch“, wie er selbst sagt, aber sein autobiografisches Buch „Schlaflos in Walle“ hat sich in der Gegend rumgesprochen.

Der Krakenmann ist 35 Jahre alt, Sozialarbeiter und behält seinen echten Namen gern für sich. Selbst in seinem Buch findet man keinen Hinweis darauf. Er trägt eine kleine Kette mit einer Krake um den Hals und seine langen Haare in einen Pferdeschwanz zurückgebunden, als wir uns im „Hart Backboard“ treffen. Eine der vielen kleinen und zwanglosen Kneipen, die er an Walle so schätzt.

Auch in seinem Buch streift er durch die Bremer Kneipenszene, schreibt über seine Freunde, eskalierende Nächte und die Liebe. Dabei nimmt er kein Blatt vor den Mund, ist anstößig und provokativ. Seine Ausdrucksweise und detaillierten Beschreibungen sind nichts für Leser, die literarischen Anspruch oder politische Korrektheit schätzen. „Ich komme aus der Punkecke. Wenn ich dezent schreiben würde, wäre ich nicht ich“, sagt der Krakenmann. Angefangen mit Schreiben hat er als Sänger von Punkbands mit Namen wie „Die Hämorrhoiden“ oder „Tolerante Tanten“. Dass sein Buch nicht für jeden etwas ist, stört ihn nicht: „Es gibt sicher viele Leute, die es nicht lesen würden. Aber Leute, die so ein bisschen Spinner sind, ein bisschen Außenseiter – die können damit was anfangen, weil sie sich drin wiederfinden.“

Es geht ihm aber nicht nur um Spaß an der Provokation. Er möchte zeigen, dass das Leben auch harte Phasen hat, die man überbrücken kann. „Wenn man die Extra-Meile geht“ – was in etwa bedeutet, dass man es drauf ankommen lassen muss. Ein Spruch, der auch im Buch immer wieder auftaucht und mit anderen Ausdrücken seinen speziellen Jargon ausmacht. Speziell ist auch die Musikauswahl, die dazu gedacht ist, sie beim Lesen zu hören: Von Elton John über Ton Steine Scherben bis Marteria haben der Krakenmann und Herr Frei, sein Vermieter und Freund, eine Doppel-CD erstellt – quasi als Soundtrack.

Herr Frei, ein etwas älterer Mann, der ebenfalls einen langen Zopf trägt und sich mit einem Glas Wein zu uns gesellt, hatte schon bei der Wohnungsbesichtigung Gemeinsamkeiten mit dem zukünftigen Mieter entdeckt: „Wir sahen uns an und dachten: ,Der sieht ja aus wie ich.‘ Seine Frau wollte, dass er sich zurechtmacht, einen Anzug anzieht. Zum Glück hat er das gelassen.“ Aus dem Mietverhältnis entwickelte sich bald eine Freundschaft: Herr Frei ist ein gern gesehener Gast in der „Casa“, wie der Krakenmann seine Wohnung nennt. „Das war übrigens vorher ein Getränkemarkt, das passt ja auch“, erzählt Herr Frei und lacht.

Der Vermieter war nicht der einzige, der ihn bei seinem Buchprojekt unterstützt hat, sagt der Krakenmann: „Einer war in Grammatik fit, und ’ne Freundin von mir kann gut illustrieren.“ Geschrieben hat er gern mit Bier und Zigaretten, während er nicht schlafen konnte, den Großteil in drei Wochen: „Ich hab das runtergerotzt und dann ein halbes Jahr liegen lassen“, erzählt er, „das war wie eine Therapie oder eine Katharsis.“ Das Ganze folgte nach der Trennung von seiner Frau, wodurch für ihn eine harte Zeit anbrach – eine schlaflose Zeit. Im Buch, wie im realen Leben auch, lernte er dann eine neue Frau kennen, die ihn inspiriert habe und der er das Buch gewidmet hat.

Das Schreiben ist bestenfalls ein lohnendes Hobby: Von „Schlaflos in Walle“ hat der Krakenmann bislang einige Hundert Exemplare verkauft. Hauptberuflich möchte er das sowieso nicht machen: „Dann muss man alle drei Monate was Neues schreiben und dann passiert plötzlich nichts, worüber man schreiben kann.“ Er ist lieber mit Leidenschaft Sozialarbeiter und betreut einige jugendliche Härtefälle. Auch mit Flüchtlingen hat er zusammengearbeitet, insbesondere in der Zeit, in der er das Buch geschrieben hat. „Ich hatte ja richtig Schlafmangel und solche Salzwasserauge – die gleichen Augen hab ich auch bei den Jugendlichen in den Sammelunterkünften gesehen. Die konnten auch nicht schlafen, weil sie ein Trauma hatten und sich mit fünf anderen ein Zimmer teilen mussten.“ Die Schlaflosigkeit habe ihn und die Jugendlichen zusammengebracht und sie inspirierte ihn auch für den Buchtitel, der auch eine Anspielung auf den Film „Schlaflos in Seattle“ ist.

Von seiner Arbeit stammt auch sein Spitzname: Krakenmann. Als er in einer Behinderteneinrichtung arbeitete, freundete er sich mit einem Bewohner mit Downsyndrom an: „Wir hatten einen Running Gag“, erzählt der Krakenmann: „Er sagte, wenn er mal groß ist, will er auf ’nem Rummel an einer Krake arbeiten und ich soll dann als sein Krakenmann dabei sein.“ Zu dem Bewohner hat er keinen Kontakt mehr, aber der Spitzname blieb.

Nach Walle zog er mit seiner Frau, blieb nach der Trennung in der Wohnung am Wartburgplatz und machte eine WG daraus. „Es ist maritim hier, altes Arbeiterviertel. Hier gibt’s noch so richtige Kneipen. Alles ein bisschen oldschool, nicht so gentrifiziert wie anderswo. Man kann sich hier verlaufen und entdeckt immer was Neues.“ Sein Buch „Schlaflos in Walle“ ist so gesehen eine Hommage an den Stadtteil. Ähnliches verspricht auch der Nachfolgeband, den er gerade fertiggestellt hat: „Es geht wieder um Walle und darum, wie es mit dem Krakenmann weitergeht.“ Heißen wird das Buch „Walle Fidelity“ – wieder eine Anspielung, dieses Mal auf einen verfilmten Bestseller des Briten Nick Hornby.

Text: Laura Lippert
Foto: Ann-Kathrin Just