Autor: Michael Vogel

STOPP ELEND

#25 ZIEGENMARKT – Sie wollten die Verelendung aufhalten – die einen die der Junkies, die anderen die des Viertels. Ein Rückblick auf das Ende einer der größten Drogenszenen Deutschlands „Meine Damen und Her­ren, liebe Jun­kies, heute ver­tei­len wir sau­be­re Sprit­zen, wer tut es mor­gen?“, steht auf den gro­ßen Schil­dern, die sich die Stu­die­ren­den um­ge­hängt haben. Sie ste­hen auf dem Markt­platz und im Vier­tel, rund ums Siel­walleck. Sie haben Eimer dabei für die Sprit­zen. Vor allem aber in­for­mie­ren sie dar­über, wie man Dro­gen­ab­hän­gi­gen hel­fen kann. Es ist 1991 und die of­fe­ne Dro­gen­sze­ne im Bre­mer Stein­tor­vier­tel gilt als eine der größ­ten in ganz Deutsch­land. Fast alle der Süch­ti­gen sind ob­dach­los und kon­su­mie­ren auf of­fe­ner Straße. Die Jun­kies und ihre Hin­ter­las­sen­schaf­ten sind über­all zu fin­den: in Vor­gär­ten, in Haus­ein­gän­gen, auf Spiel­plät­zen. Schul­hö­fe blei­ben wäh­rend der Pau­sen wegen her­um­lie­gen­den Sprit­zen oder be­nutz­ten Kon­do­men ge­schlos­sen. Dieb­stäh­le, Ein­brü­che, Dea­le­rei und Pro­sti­tu­ti­on sind an der Ta­ges­ord­nung – ir­gend­wo­her muss das Geld für die gan­zen Dro­gen kom­men. Bil­der von aus­ge­mer­gel­ten Ge­sich­tern und sprit­zen­über­sä­ten Vor­gär­ten schmü­cken die Zei­tungs­co­ver bun­des­weit. 23 Jahre spä­ter: Im Kon­takt-Café …

LÄUFT BEI MIR

Es ist gut drei Wochen her, es regnete heftig und ich hatte wie immer keinen Schirm dabei. War zu knapp bei Kasse einen zu kaufen, und solange es trocken ist, denkt man ja auch nicht dran. Als ich an der Wilhelm-Kaisen-Brücke über die Kreuzung ging, fiel – zack – nicht weit von mir ein Schirm auf die Straße. Ich fragte eine Radfahrerin, ob das ihrer wäre. Nein, sagte sie, der sei wohl vom Himmel gefallen. Nun ja, vielleicht ist er auch aus einem Auto herausgefallen, oder jemand hat ihn vonm Balkon geschmissen. Mir jedenfalls kam er sehr zupass, und obendrein war er lila, meine Lieblingsfarbe. Einen Schirm hatte ich nun, was noch fehlte war eine Lesebrille. Meine alte war vor Wochen zerbrochen und nun sogar ganz weg. Einige Tage später, ich stehe vorm Edeka am Dobben und verkaufe. Drei Jugendliche, eher finstere Typen im Gangstyle, kommen auf mich zu, einer streckt den Arm raus und hält mir, ohne ein Wort, eine Brille hin und geht weiter. Die Brille passt und hat sogar in etwa die …

RELEASE DER #25 ZIEGENMARKT

  Wir laden Sie herzlich ein, das neue Heft und uns kennenzulernen. Am Montag, den 2. Februar 2015 um 18 Uhr im neuen Vertriebsbüro der Zeitschrift der Straße, Auf der Brake 10-12 (Nähe Hauptbahnhof) Programm: TREFFEN SIE UNS. UNTERSTÜTZEN SIE UNS. EMPFEHLEN SIE UNS. Wir freuen uns auf Sie!Ihr Team der Zeitschrift der Straße

#25 Ziegenmarkt

Hintergrundfoto: Hans-Jörg Aleff/flickr.com EDITORIAL: Happy Birthday Zum Geburtstag gibt’s Überraschungen, das gilt auch für die Zeitschrift der Straße. Vier Jahre ist das Bremer Straßenmagazin nun alt, im Schnitt sind sechs Ausgaben pro Jahr erschienen. Künftig, Überraschung Nummer eins, werden es zehn pro Jahr sein. Freuen Sie sich mit uns auf mehr Orte, mehr Geschichten und mehr Einblicke in das einzigartige Zeitschriftenprojekt, das unlängst auch vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft ausgezeichnet wurde (Seite 28). Zweitens gibt sich die Zeitschrift der Straße zu ihrem Geburtstag ein neues Gewand. Was es damit auf sich hat und welche Neuerungen das mit sich bringt, lesen Sie auf Seite 27. Neu ist drittens unsere Adresse. Statt im Lloydhof finden Sie uns nun hinterm Siemens-Hochhaus Auf der Brake 10–12, fußläufig zwischen Hauptbahnhof und City gelegen – schauen Sie gerne einmal vorbei. Was bleiben wird, sind spannende Geschichten, nach denen wir an jedem Ort aufs Neue suchen. Am Ziegenmarkt wimmelte es nur so davon. Acht haben wir aufgeschrieben; die eine Hälfte hier im Heft, die andere auf www.zeitschrift-der-strasse.de, unserer (ebenfalls neu gestalteten) …

ÜBERFALL AM DOBBEN

Weihnachten, Zeit der Barmherzigkeit – von wegen. Am Dienstagnachmittag, es ist schon dunkel, stehe ich vorm Edeka am Dobben und verkaufe. Ein älterer Herr möchte eine Zeitschrift und öffnet sein Portemonnaie. Ich gehe etwas auf Abstand – gehört sich einfach so –, da kommen zwei Jugendliche und greifen nach der Geldbörse! Der ältere Herr hält sie fest, im Gerangel fallen 20 Euro raus. Ich stelle meinen Fuß drauf, dann geben die Angreifer auf und rennen weg. Ich hinterher, aber ich kann sie nicht mehr einholen. Als sich der ältere Herr wieder gesammelt hat, kauft er mir noch die Zeitschrift ab. Die Polizei will er nicht rufen. Diesen ärgerlichen Fall möchte ich zum Anlass nehmen und alle Kunden bitten: Passen Sie auf, wenn Sie auf der Straße ihre Geldbörse herausnehmen! Gerade in der Weihnachtszeit. Und ich werde in Zukunft noch mehr auf das Umfeld achten, wenn ein Kunde bezahlt. So etwas möchte ich nicht noch einmal erleben. Text: Andreas Kuhlmann, Verkäufer der Zeitschrift der Straße

DER VERHINDERTE STRAFZETTEL

Neulich stehe ich vor der Stadtbibliothek und verkaufe. Nicht weit entfernt parkt eine Frau im Halteverbot und geht in die Bibliothek. Und wie es halt so ist, kommen bald zwei Polizisten und schreiben ihr einen Strafzettel. Ich bin sofort in die Bibliothek, um die Fahrerin zu warnen. Hab sie zum Glück schnell gefunden. Sie eilt zu ihrem Wagen und diskutiert mit den Polizisten. Und sie erlassen ihr doch tatsächlich den Strafzettel! Die Frau hat sich bei mir bedankt und mir auch gleich eine Zeitschrift abgekauft. Leider gibt es auch ganz andere Tage. Das nasskalte Wetter macht mir zu schaffen, ich bin noch immer krank, ständig erkältet. Das nervt mich gewaltig. Auch bei der Wohnungssuche geht es nicht so richtig weiter. Ich bin oft kurz davor aufzugeben. Ich setz mich für den Rest meines Lebens auf eine Parkbank, hab ich neulich gedacht. Eine halbe Stunde hab ich das ausgehalten, das ist mir zu langweilig. Ich muss unter Leute und was machen. Und gerade jetzt in der Weihnachtzeit läuft der Verkauf auch gut, es macht richtig Spaß. …

BITTE DRAUSSEN BLEIBEN

#24 FUCHSBERG – Sie kommen rein, damit sie nicht rein kommen: Ein Projekt führt straffällig gewordene Jugendliche mit Gefangenen zusammen, die erzählen, wie es ist im Knast. Eine Lehrstunde der Abschreckung Alle paar Meter trennen Sicherheitstüren die schmalen, mit blauem PVC-Boden ausgelegten Gänge der Justizvollzugsanstalt Bremen-Oslebshausen. Alle paar Meter schiebt sich die Handvoll Jungen zu einem kleinen Menschenhaufen zusammen, bevor der Mechanismus der stählernen Pforten den nächsten Gang freigibt. Und noch einer. Und noch einer. Dann der Hof. An dessen anderen Ende geht es, begleitet von zahllosen, neugierigen Blicken der Gefängnisinsassen, geradewegs in das backsteinerne Schulgebäude der JVA. In der sommerlich heißen Luft liegt nicht nur die penetrant-explosive Mischung diverser Aftershaves und pubertärer Ausdünstungen, sondern vor allem eins: Anspannung. Wer hier landet, steht mit einem Bein im Knast. Buchstäblich. Was beruhigt, ist allein die Gewissheit, die JVA am Ende des Tages wieder unversehrt und als freier Mensch verlassen zu können. Diesmal jedenfalls noch. In einem altmodischen Klassenraum warten Ben* und Riadh* in einem Stuhlkreis bereits auf die Gruppe, jede einzelnen begrüßen sie mit Handschlag. Nervöse …

Die Die Räume der Zeitschrift der Straße VOR ORT im Lloydhof

RELEASE DER #24 FUCHSBERG

Bild: VOR ORT, das Büro der Zeitschrift der Straße Einladung zur Präsentation der neuen Ausgabe #24 FUCHSBERG Verkäufer Andreas Kuhlmann alias „Heini Holtenbeen“ präsentiert die druckfrische Ausgabe #24 FUCHSBERG. Jan, Uwe und Heini machen Musik der Straße. Autorin Laura Beck liest ihre  Kurzgeschichte „Wie Karussellfiguren“. Verkäufer Alexander Kowalski liest seinen Text „Mein Freund ist tot“. TREFFEN SIE UNS. UNTERSTÜTZEN SIE UNS. EMPFEHLEN SIE UNS. Wir freuen uns auf Sie!Ihr Team der Zeitschrift der Straße

SIE NENNEN IHN HODDEL

#22 SODENMATT – Er will mehr Miteinander und weniger Gegeneinander im Quartier. Und selbst immer was zu tun haben. Ein Besuch bei Horst Dressel   „Würde man mir sagen, die nächsten Tage hätte ich nichts zu tun, dann würde ich durchdrehen.“ Er reißt die Hände in die Luft, das soll dem Gesagten noch mehr Ausdruck verleihen. „Ich würde mir das Telefon schnappen und mir eine Beschäftigung suchen. Egal welche. Ich brauche doch den Ausgleich.“ Horst Dressel, 64, hat nicht vor, sich so schnell zur Ruhe zu setzen. Er sprudelt vor Energie, sein Tonfall ist energisch, sein kurzes weißes Haar der einzige Indikator seines fortgeschrittenen Alters. Horst Dressel macht. Eben noch wild in der Luft herumfuchtelnd, umfassen seine Hände nun den prall gefüllten, schwarzen Aktenordner vor ihm. Zeitungsausschnitte, Danksagungen, Fotos, alles fein säuberlich in Klarsichtfolien verpackt und abgeheftet. Sein Finger tippt auf die Artikel und Fotos: Überall geht es um Huchting, um den Sodenmatt, um Aktionen und Beschwerden, um Sitzungen und Initiativen, um Projekte und das Leben hier, und überall wird er erwähnt. Der Ordner ist …

PROST, IHR HELDEN

#22 SODENMATT – Sie fühlen sich ein bisschen rausgefallen aus der Zeit. „Filippos“ aber hat geöffnet, so lange sie bleiben. Ein Kneipenvormittag   Nur zwei Kneipen sind übriggeblieben. „Als wir hier anfingen, gab’s sieben in der Ecke. ‚Ach, der Grieche, der macht in zwei Wochen wieder zu!‘, ham se gesagt. Aber wir sind geblieben, alle anderen sind weg.“ Der Grieche, dessen schwarzes Haar sich lichtet, heißt Paul. Mit seiner Frau Regina führt er „Filippos“, seit 1982, an jedem Tag der Woche. Die beiden 3-D-Bilder an den vertäfelten Wänden müssen auch aus der Zeit sein. Ein roter Sportwagen flitzt durch die Nacht, um ihn herum ein Glitzerrelief. Nebendran rauscht romantisch ein Wasserfall mit Glitter durch das nachtblaue Bild. Draußen an der Tür steht „Geöffnet von 11 Uhr bis 23 Uhr“, aber, winkt Regina ab, „wir schließen, wenn der Letzte geht“. Meistens ist das gegen eins, manchmal auch erst um drei. Für Paul war diese Art von Kundenorientierung „der Trick“, sich gegen die anderen Kneipen durchzusetzen: niemanden rausschmeißen. Paul und Reginas Wohnung ist oben, die Grenze zwischen …