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WEIHNACHTSWÜNSCHE VON OBDACHLOSEN

Das Team des Hamburger Sozialprojekts Straßenblues hat obdachlose Menschen nach ihren Weihnachtswünschen befragt und das Video daraus gemacht. Die geäußerten Wünsche sind bescheiden: eine neue Jacke (Benjamin, 39), eine große Reisetasche „für das ganze Gerümpel“ (Raffi, 35), Jacke und Schuhe (Zafir, 35), ein großer Rucksack und eine Isomatte (Maribo, 66) und eine Wolldecke für den Hund (Rolf, 70). Mit dem Video sollen Schenker:innen gefunden werden, die diese Wünsche erfüllen möchten. Eine schöne Idee, die wir auch in Bremen verfolgen sollten.

Das Video erfüllt aber noch einen weiteren und vielleicht wichtigeren Zweck. Es zeigt obdachlose Menschen aus einer Nähe, die für Passanten auf der Straße kaum erreichbar ist. Als Betrachter fragt man sich unwillkürlich, wieso diese Menschen wohl auf der Straße gelandet sein mögen und wie sie unter solchen Umständen leben können. Das Video weckt Mitgefühl für Menschen auf der Straße und Interesse an ihnen. Damit ist viel gewonnen, denn Mitgefühl und Interesse sind gute Voraussetzungen für Hilfsbereitschaft und Solidarität.

Auch unsere Bremer Zeitschrift der Straße verfolgt als Lernprojekt für Studierende dieses Ziel. Durch die Auseinandersetzung mit Wohnungslosigkeit und die Arbeit mit den Straßenverkäufer:innen sollen die Studierenden, die an der Erstellung und Vermarkung des Bremer Straßenmagazins beteiligt sind, für die menschliche Dimension von Armut und sozialer Ausgrenzung sensibilisiert werden. Einen Streetworker auf seiner Tour zu begleiten oder ein Frühstück für Menschen auf der Straße zu organisieren ist für die meisten „unserer“ Studierenden ein prägendes Erlebnis.

Sprechen Sie doch auch mal jemanden an, der oder die auf der Straße bettelt oder ein Straßenmagazin verkauft. Nur Mut. Fragen Sie nach Weihnachtswünschen. Vielleicht können Sie diesem Menschen tatsächlich seinen Wunsch erfüllen. Und wer weiß, vielleicht machen Sie sich mit dieser Erfahrung selbst das schönste Weihnachtsgeschenk.

Natürlich können Sie auch für Menschen auf der Straße spenden, z. B. hier.

Text: Michael Vogel
Fotos und Video: Strassenblues.de

WIR GRÜNDEN EINE UNI!

Leben und Überleben sind nicht das gleiche. Menschen in Kriegsgebieten überleben einen Bombenangriff. Menschen auf der Flucht überleben die Fahrt im Schlauchboot über das Mittelmeer. Menschen ohne Wohnung überleben eine eiskalte Nacht auf der Straße. Man könnte ergänzen „gerade so“, „mit viel Glück“ oder auch „nicht“. Überleben ist Leben am Abgrund.

An einem Abgrund leben auch Menschen in besonderen sozialen Schwierigkeiten. Ihren Abgrund bilden z.B. Einsamkeit, Unerwünschtsein und Machtlosigkeit. Sie überleben, aber zu einem menschenwürdigen Leben fehlt ihnen der Zugang zu Gemeinschaft, Kultur und Bildung. Die formalen, finanziellen und gesellschaftlichen Barrieren sind für sie unüberwindlich.

Dabei sind es Menschen am Rand der Gesellschaft, die in ihrer Persönlichkeitsentwicklung und Selbstbestimmung am meisten von geweckter Neugier, Horizonterweiterung, positiven Lernerfahrungen und Gemeinschaftserlebnissen profitieren können. Deshalb werden wir 2016 aus der Zeitschrift der Straße heraus ein Bildungsprogramm für Menschen besonderen sozialen Schwierigkeiten starten: die Uni der Straße!

Im Semesterrhythmus wollen wir mit Unterstützung von Fachleuten lebensnah und spielerisch Einführungen in unterschiedliche Wissensgebiete und Kulturbereiche anbieten, Workshops und Exkursionen durchführen, Begegnungen ermöglichen und Fortschritte feiern. Wir möchten den Teilnehmenden helfen, ihr Selbstwertgefühl zu stärken und neue Lebensperspektiven für sich zu entwickeln, um ihre Lebenslage zu stabilisieren.

Die Uni der Straße wird für die Teilnehmenden kostenlos sein. Aktion Mensch übernimmt die Grundfinanzierung über die ersten drei Jahre. Weitere Mittel müssen wir einwerben. Unterstützung kommt auch von studentischen Teams der Hochschule Bremerhaven und der Universität Bremen.

Text: Michael Vogel
Hintergrundfoto
: Alexander Ess/flickr.com

STRASSENVERKÄUFER TRIFFT PAPST

STRAATNIEUWS/Utrecht: Papst Franziskus gibt ehemals obdachlosem Straßenverkäufer Marc in Rom ein exklusives Interview

Es ist noch früh, als wir vor dem Dienstboteneingang des Vatikans links vom Petersdom eintreffen. Die Schweizergarde war über unsere Ankunft in Kenntnis gesetzt worden und lässt uns durch. Wir steuern auf das Domus Sanctae Marthae zu, in dem Papst Franziskus wohnt. Das Domus Sanctae Marthae ist aller Wahrscheinlichkeit nach das außergewöhnlichste Drei-Sterne-Hotel der Welt. Das große, weiße Gebäude, in dem Kardinäle und Bischöfe residieren, während sie im Vatikan ihren Dienst leisten oder ihn besuchen, ist auch die offizielle Residenz der Kardinäle während des Konklaves.

Hier werden wir ebenfalls erwartet. Wie in jedem anderen Hotel stehen hinter der Rezeption zwei Damen, die uns auf eine Nebentür verweisen. Der Versammlungsraum ist schon vorbereitet. Dieser Raum, der dem Papst unter der Woche als Konferenzraum dient, ist ziemlich groß und mit Schreibtisch, Sofa, Tischen und Stühlen ausgestattet. Dann beginnt das Warten. Marc, der Straatnieuws-Verkäufer, hat von uns allen die meiste Geduld, und wartet in seinem Stuhl sitzend darauf, was als Nächstes kommt.

Plötzlich erscheint der offizielle Fotograf des Papstes und flüstert: „Der Papst kommt.“

Und ehe wir uns versehen, betritt er den Raum: Papst Franziskus, das geistliche Oberhaupt von 1,2 Milliarden Katholiken. Er trägt einen großen, weißen Briefumschlag. „Bitte setzen Sie sich, Freunde“, sagt er mit einem leichten Handwink. „Wie schön, dass Sie hier sind.“ Aus der Nähe vermittelt er den Eindruck eines ruhigen, freundlichen Mannes, der sowohl energetisch als auch präzise ist. Nachdem er sich niedergelassen hat, entschuldigt er sich dafür, dass er Italienisch statt Niederländisch spricht. Wir nehmen seine Entschuldigung umgehend an.

INSP: Straatnieuws-Interviews beginnen immer mit einer Frage zu der Straße, in der der Interviewte aufgewachsen ist. Heiliger Vater, welche Erinnerungen weckt Ihre Straße? Welche Bilder kommen Ihnen in den Sinn, wenn Sie sich an die Straßen Ihrer Kindheit erinnern?

Papst Franziskus: Von meinem ersten Lebensjahr bis zu meinem Eintritt ins Seminar habe ich immer in derselben Straße gelebt. Es war eine einfache Gegend in Buenos Aires, mit ein- und zweistöckigen Häusern. Es gab einen kleinen Platz, auf dem wir Fußball spielten. Ich erinnere mich daran, wie ich mich früher aus dem Haus schlich, um nach der Schule mit den Jungs Fußball zu spielen.

Mein Vater arbeitete in einer Fabrik, die nur ein paar hundert Meter weit weg war. Er war Buchhalter. Und meine Großeltern lebten nur 50 Meter entfernt. Wir lebten alle nur ein paar Schritte voneinander weg. Ich erinnere mich auch an die Namen der Menschen, denen ich als Priester das Sakrament, das für so viele, die nach mir verlangten und die ich besuchte, den letzten Trost darstellte erteilte, weil ich sie liebte. Diese Erinnerungen fallen mir zuerst ein.

Papst Franziskus im Interview mit Straßenzeitungen

Papst Franziskus im Interview

Haben Sie auch Fußball gespielt?

Ja.

Waren Sie gut?

Nein. Wenn man in Buenos Aires so Fußball spielt wie ich wird man als pata dura bezeichnet. Das bedeutet, man hat zwei linke Füße! Ich hab trotzdem gespielt, oft als Torwart.

Wie haben Sie angefangen, sich persönlich für die Armen zu engagieren?

Es gibt so vieles, woran ich mich erinnere, bespielsweise eine Frau, die dreimal die Woche bei uns zu Hause gearbeitet hat, um meiner Mutter z. B. mit der Wäsche zu helfen. Sie hatte zwei Kinder. Sie waren Italiener und hatten den Krieg überlebt. Sie waren sehr arm, aber sie waren sehr gute Menschen. Ich habe diese Frau nie vergessen. Ihre Armut hat mich bewegt.

Wir waren nicht reich, normalerweise reichte es bis zum Monatsende, aber nicht viel weiter.  Wir hatten kein Auto, fuhren nicht in den Urlaub oder dergleichen. Aber diese Frau benötigte oft ganz grundlegende Dinge. Sie hatten nicht genug, daher gab meine Mutter ihr etwas. Irgendwann ging sie zurück nach Italien und kehrte später wieder nach Argentinien zurück. Ich traf sie wieder, als ich Erzbischof von Buenos Aires und sie bereits 90 Jahre alt war. Ich stand ihr bis zu ihrem Tod im Alter von 93 Jahren bei.

Eines Tages gab sie mir eine Medaille des Heiligsten Herz Jesu, die ich immer noch jeden Tag bei mir trage. Diese Medaille – die auch ein Andenken ist – ist mir sehr wichtig. Möchten Sie sie sehen?

[Etwas mühsam zieht Papst Franziskus die Medaille hervor, die nach jahrelangem Tragen inzwischen komplett entfärbt ist.]

Auf diese Weise denke ich jeden Tag an sie, und daran, wie sehr sie unter ihrer Armut gelitten hat. Und ich denke an all die anderen, die leiden. Ich trage die Medaille, und verwende sie, wenn ich bete …

Welche Botschaft hat die Kirche für Obdachlose? Was bedeutet christlicher Zusammenhalt konkret für sie?

Ich denke da an zwei Dinge. Jesus kam ohne ein Zuhause auf die Welt und wählte die Armut.  Die Kirche versucht, uns alle zu vereinen, und sagt, jeder habe das Recht auf ein Dach über dem Kopf. Populäre Bewegungen arbeiten auf die drei spanischen Ts hin: trabajo [Arbeit], techo [Dach] und tierra [Land]. Die Kirche lehrt, dass jeder Mensch ein Recht auf diese drei Ts hat.

Sie haben oft erhöhte Aufmerksamkeit für Arme und Flüchtlinge gefordert. Befürchten Sie nicht, dass dies zu einer Art Informationsüberflutung in den Medien und generell in unserer Gesellschaft führen könnte?

Wenn wir uns mit einem Thema befassen müssen, das nicht angenehm ist und worüber es nicht leicht fällt zu sprechen, unterliegen wir alle der Versuchung zu sagen: „Ach, lass uns nicht mehr darüber sprechen, es ist einfach zu schwierig.“ Ich verstehe, dass die Möglichkeit der Informationsüberflutung besteht, aber davor habe ich keine Angst. Ich muss weiterhin über die Wahrheit sprechen und darüber, wie die Realität aussieht.

Ist das Ihre Pflicht?

Ja, das ist meine Pflicht. Ich spüre sie in mir. Es ist kein Gebot, aber als Menschen sollten wir alle so handeln.

Befürchten Sie nicht, dass Ihre Unterstützung für Obdachlose und andere Gruppen, die von Armut befallen sind, politisch ausgenutzt werden könnte? Wie kann die Kirche sich äußern, um Einfluss auszuüben und gleichzeitig dem politischen Schaukampf fernbleiben?

An dieser Stelle gibt es Wege, die zu Fehlverhalten führen. Ich möchte auf zwei Versuchungen hinweisen. Die Kirche muss die Wahrheit sagen und zugleich Zeugnis ablegen: Das Zeugnis der Armut. Wenn man als Gläubiger über Armut oder Obdachlose redet, selbst aber ein Leben im Luxus führt, ist das nicht genug. Das ist die erste Versuchung.

Die zweite Versuchung besteht darin, Vereinbarungen mit Regierungen zu treffen. Sicherlich können Vereinbarungen getroffen werden, aber diese müssen klar und durchschaubar sein. Wir verwalten z. B. dieses Gebäude, aber alle Konten werden genau überprüft, um Korruption zu verhindern. Denn die Versuchung der Korruption ist im öffentlichen Leben allgegenwärtig. Sowohl in der Politik als auch in der Religion. Ich erinnere mich daran, wie ich einmal mit großem Bedauern sah, dass die Menschen, als Argentinien unter der Militärherrschaft in den Falklandkrieg mit Großbritannien eintrat, an wohltätige Organisationen spendeten, und dass viele, darunter auch Katholiken, die für die Verteilung dieser Spenden an Bedürftige zuständig waren, diese stattdessen selbst mit nach Hause nahmen. Die Gefahr der Korruption besteht immer.

Einmal stellte ich einem argentinischen Minister, einem ehrlichen Mann, der von seinem Amt zurücktrat, weil er einigen Punkten, die nicht transparent genug waren, nicht zustimmte, eine Frage. Ich fragte ihn: „Wenn Sie Hilfe in Form von Mahlzeiten, Kleidung oder Spenden an die Armen und Bedürftigen schicken, wie viel von dem Geld und den Gütern kommt bei denen an, die sie benötigen?“ Er sagte: „35 Prozent“. Was bedeutet, dass 65 Prozent verloren gehen. Das ist Korruption: ein bisschen für mich, und noch ein bisschen für mich.

Glauben Sie, dass Sie bisher unter Ihrem Pontifikat eine Veränderung der Mentalität erreichen konnten, z. B. in der Politik?

Ich bin mir nicht sicher, wie ich antworten soll. Ich weiß es nicht. Ich weiß, dass einige gesagt haben, ich sei ein Kommunist. Aber diese Kategorie ist ein bisschen veraltet. [Er lacht]. Vielleicht drücken wir das heutzutage mit anderen Worten aus …

Marxist, Sozialist …

Diese Worte hat man auch verwendet …

Obdachlose haben finanzielle Probleme, aber sie entwickeln ihre eigene Form von Freiheit. Der Papst hat keine materiellen Bedürfnisse, aber manche halten ihn für einen Gefangenen des Vatikans. Haben Sie sich schon einmal gewünscht, Sie könnten mit den Obdachlosen tauschen?

Ich erinnere mich an Mark Twains Buch „Der Prinz und der Bettelknabe“. Jeden Tag Essen, Kleidung, ein Bett zum Schlafen, ein Schreibtisch, an dem man arbeiten kann, Freunde sind auch da – nichts fehlt. Aber Mark Twains Prinz lebt in einem goldenen Käfig.

Fühlen Sie sich hier im Vatikan frei?

Zwei Tage, nachdem ich zum Papst gewählt wurde, wollte ich das päpstliche Appartement im Apostolischen Palast beziehen. Es ist kein luxuriöses Appartement. Aber es ist geräumig und groß … Nachdem ich mir das Appartement angeschaut hatte, erschien es mir ein bisschen wie ein umgekehrter Trichter; obwohl es so groß war, gab es nur eine kleine Tür. Das bedeutet Isolation. Ich dachte: Hier kann ich, einfach aus Gründen der psychischen Gesundheit, nicht wohnen. Das täte mir nicht gut. Anfangs erschien es ein bisschen komisch, aber ich bat darum, hier zu bleiben, im Domus Sanctae Marthae. Und das tut mir gut, denn hier fühle ich mich frei. Ich esse im Speisesaal, wo alle Gäste essen. Und wenn ich früh dran bin, speise ich mit dem Personal. Ich treffe Menschen und begrüße sie; dadurch fühlt sich der goldene Käfig ein bisschen weniger wie ein Käfig an. Aber ich vermisse die Straße.

Heiliger Vater, [Straatnieuws-Verkäufer] Marc würde Sie gerne auf eine Pizza mit uns einladen. Was meinen Sie?

Das würde ich gerne tun, aber es würde nicht funktionieren. Denn sobald ich hier weggehe, würden die Menschen zu mir kommen. Als ich in die Stadt ging, um meine Brillengläser austauschen zu lassen, war es sieben Uhr abends. Kaum jemand war auf der Straße. Man fuhr mich zum Optiker, und kaum stieg ich aus dem Auto rief eine Frau, die mich sah: „Da ist der Papst!“ Und dann war ich drinnen, und all diese Menschen standen draußen …

Gut gelaunter Papst Franziskus im Interview

Gut gelaunter Papst Franziskus

Vermissen Sie den Kontakt mit Menschen?

Ich vermisse ihn nicht, weil die Menschen hierher kommen. Jeden Mittwoch bin ich für die Generalaudienz auf dem Petersplatz, und manchmal gehe ich zu einer der Ortsgemeinden – ich halte Kontakt zu den Menschen. Gestern [am 26. Oktober] kamen z. B. mehr als 5.000 Sinti und Roma zur Vatikanischen Audienzhalle.

Offensichtlich genießen Sie Ihre Termine auf dem Petersplatz während der Generalaudienz ..

Ja, das stimmt.

Ihr Namenspatron der Heilige Franziskus begab sich in radikale Armut und verkaufte sogar sein Evangeliar. Fühlen Sie sich als Papst und Bischof von Rom unter Druck gesetzt, die Schätze der Kirche zu verkaufen?

Das ist eine einfache Frage. Das sind nicht die Schätze der Kirche, sondern vielmehr die Schätze der Menschheit. Wenn ich beispielsweise morgen Michelangelos Pietà versteigern wollte, könnte ich das nicht, weil sie nicht das Eigentum der Kirche ist. Sie befindet sich in einer Kirche, gehört aber der gesamten Menschheit. Das trifft auf alle Schätze der Kirche zu. Aber wir haben damit angefangen, die Geschenke und anderen Dinge, die mir gegeben werden, zu verkaufen. Und die Verkaufserlöse gehen an Monsignor Krajewski, meinen Almosner [Erzbischof Konrad Krajewski, der für die Verteilung von Geldern an die Armen zuständig ist]. Und dann gibt es noch die Lotterie. Wir haben Autos über eine Lotterie verkauft bzw. weggegeben und der Erlös ging an die Armen. Was verkauft werden kann, wird verkauft.

Ihnen ist bewusst, dass der Reichtum der Kirche diese Erwartungshaltung hervorrufen könnte?

Ja. Wenn wir einen Katalog aller Besitztümer der Kirche erstellen würden, könnte man denken, dass die Kirche sehr reich ist. Aber mit dem Konkordat mit Italien 1929 zur Römischen Frage bot die italienische Regierung der Kirche damals einen großen römischen Park an. Der damalige Papst, Pius XI., sagte: „Nein, ich will nur einen halben Quadratkilometer, um die Unabhängigkeit der Kirche zu wahren.“ Dieses Prinzip ist immer noch zutreffend.

Ja, die Kirche besitzt ein großes Grundvermögen, aber das wird dazu verwendet, um die Strukturen der Kirche aufrechtzuerhalten und die vielen Arbeiten zu finanzieren, die in hilfsbedürftigen Ländern ausgeführt werden: Krankenhäuser, Schulen.

Gestern habe ich z. B. veranlasst, dass 50.000 € in den Kongo gehen, um drei Schulen in armen Dörfern zu errichten. Bildung ist so wichtig für Kinder. Ich ging zur Verwaltung, stellte den Antrag, und das Geld wurde geschickt.

Sprechen wir über Holland. Waren Sie schon einmal in unserem Land?

Ja, einmal, als ich Provinzial der Jesuiten in Argentinien war. Ich war auf der Durchreise. Ich habe Wijchen [im Osten des Landes] besucht, weil dort das Noviziat war, und ich war auch anderthalb Tage in Amsterdam, wo ich in einem Jesuitenhaus verweilte. Vom kulturellen Leben des Landes sah ich nichts, weil ich keine Zeit hatte.

Daher könnte es eine gute Idee sein, wenn Hollands Obdachlose Sie auf einen Besuch in unser Land einladen würden. Was denken Sie, Heiliger Vater?

Die Türen stehen dieser Möglichkeit offen.

Also, wenn die Einladung kommt, werden Sie sie in Betracht ziehen?

Das werde ich. Und jetzt, da Holland eine argentinische Königin hat [er lacht], wer weiß?

Haben Sie vielleicht eine besondere Botschaft für die Obdachlosen unseres Landes?

Ich kenne mich nicht gut mit der Situation der Obdachlosen in Holland aus. Ich möchte sagen, dass Holland ein Industriestaat ist, der eine Vielzahl von Möglichkeiten bietet. Ich bitte die Obdachlosen Hollands darum, weiter für die drei Ts zu kämpfen.

Abschließend hat Marc auch noch ein paar Fragen. Mithilfe eines Dolmetschers möchte er wissen, ob Papst Franziskus sogar schon als kleiner Junge davon träumte, Papst zu sein. Der Heilige Vater antwortet mit einem entschiedenen „Nein.“

„Aber ich werde Ihnen ein Geheimnis erzählen“, sagt er. „Als ich klein war, gab es nicht viele Läden, die Waren verkauft haben. Wir hatten einen Markt, wo es einen Metzger, einen Gemüsehändler, etc. gab. Ich ging mit meiner Mutter und meiner Großmutter einkaufen. Einmal, als ich noch recht klein war, vielleicht vier, fragte mich jemand: „Was möchtest du werden, wenn du einmal groß bist?“, und ich antwortete: „Metzger!“

Marc: Vor dem 13. März 2013 waren Sie vielen völlig unbekannt. Dann wurden Sie von einem Tag auf den anderen weltberühmt. Wie war diese Erfahrung für Sie?

Es geschah unerwartet. Aber ich habe meinen inneren Frieden nicht verloren. Und das ist eine Gnade Gottes. Ich denke nicht wirklich darüber nach, dass ich berühmt bin. Ich sage mir: Jetzt hast du eine wichtige Stellung, aber in 10 Jahren wird dich keiner mehr kennen [er lacht]. Wissen Sie, es gibt zwei Arten von Ruhm: den Ruhm der „ganz Großen“, derjenigen, die wirklich große Taten vollbracht haben, wie z. B. Madame Curie, und den Ruhm der Eitlen. Aber diese zweite Art von Ruhm ist wie eine Seifenblase.

Sie sagen sich also: „Ich bin jetzt hier und muss mein Bestes geben.“, und „ich werde weitermachen, solange ich kann“?

Ja.

Heiliger Vater, können Sie sich eine Welt ohne Armut vorstellen?

Ich möchte eine Welt ohne Armut. Dafür müssen wir kämpfen. Aber ich bin gläubig, und ich weiß, dass die Sünde immer in uns steckt. Und es gibt immer menschliche Habgier, fehlenden Zusammenhalt und Egoismus, die Armut verursachen. Daher fällt es mir schwer, mir eine Welt ohne Armut vorzustellen.

Man denke nur an die Kinder, die als Sklaven oder für sexuellen Missbrauch ausgebeutet werden, oder an eine weitere Form der Ausbeutung, den Organhandel. Das Töten von Kindern, um deren Organe zu entfernen. Kinder zu töten, um deren Organe zu erhalten, ist Habgier.

Daher weiß ich nicht, ob wir jemals in einer Welt ohne Armut leben werden, denn es gibt immer Sünde, und das führt zu Egoismus. Aber wir müssen immer kämpfen … immer.

Wir sind fertig. Wir danken dem Papst für das Interview. Er dankt uns auch und teilt uns mit, dass er unser Gespräch sehr genossen hat. Dann greift er nach dem weißen Umschlag, der schon die ganze Zeit auf dem Sofa neben ihm gelegen hat, und holt für jeden von uns einen Rosenkranz heraus. Fotos werden gemacht, und dann verabschiedet sich Papst Franziskus von uns. So ruhig und entspannt, wie er bei seiner Ankunft war, verlässt er nun den  Raum.

Bereit für seinen nächsten Termin.

Papst Franziskus mit Straatnieuws-Verkäufer Marc (r) and Straatnieuws-Redakteur Frank Dries (l)

Papst Franziskus mit Straatnieuws-Verkäufer Marc (r) and Redakteur Frank Dries

Mit freundlicher Genehmigung von INSP News Service www.INSP.ngo/ Straatnieuws.
Aus dem Englischen ins Deutsche ü
bersetzt von Julie Mildschlag
Aus dem Italienischen ins Englische übersetzt von Translators without Borders.
Fotos: Frank Dries, Straatnieuws / INSP

DIE KOMMENDE KÄLTE LÄSST UNS NICHT KALT

Mehrere hundert Menschen in Bremen sind obdachlos, d.h. sie leben permanent auf der Straße. Daneben gibt es sehr viele Wohnungslose – Menschen ohne festen Wohnsitz, die in Notunterkünften oder Wohnheimen leben.

Die Gründe für Obdachlosigkeit sind vielfältig, aber häufig sind es Schicksalsschläge wie Trennung, Gewalterfahrungen oder Jobverlust, in deren Folge Menschen auf der Straße landen. Dieses gravierende soziale Problem muss mehr Aufmerksamkeit in Politik und Gesellschaft erfahren.

Viele unserer Straßenverkäuferinnen und -verkäufer wissen aus eigener Erfahrung, an welchen Orten in der Stadt sich Menschen aufhalten, die kein Dach über dem Kopf haben. Nicht jeder und jedem sieht man es auf den ersten Blick an. Es ist tatsächlich nicht ungewöhnlich, dass jemand im Sommer auf einer Bank im Bremer Bürgerpark oder den Wallanlagen übernachtet.

Aber im Winter? Bereits bei Temperaturen, die deutlich über Null liegen, birgt die Nacht unter freiem Himmel die Gefahr des Auskühlens und Krankwerdens. Was also wird mit denen, die keinen geschützten Platz zum Schlafen haben? Oft bieten ein heißer Kaffee, eine Suppe und ein Schlafsack erste Hilfe in der größten Not.

Streetworker Jonas Pot d'Or

Bei Streetworker Jonas Pot d’Or können sich Hilfsbedürftige als Verkäufer:innen der Zeitschrift der Straße registrieren lassen

Streetworker sind Tag und Nacht unterwegs, um Menschen aufzusuchen, die auf der Straße leben, um ihnen zu helfen. Sie stellen auch Verkäuferausweise für die Zeitschrift der Straße aus und haben immer einige Ausgaben dabei, damit Neulinge des Straßenverkaufs gleich erste Erfahrungen sammeln können. Es steht allen offen, die Hilfsangebote anzunehmen. Wer Hilfe benötigt, bekommt sie – schnell und mit der notwendigen Zuwendung. Denn auch Menschen ohne Obdach und festen Wohnsitz gehören zu unseren Nachbarn.

Bitte ermöglichen und unterstützen Sie diese Arbeit, speziell in der kälteren Jahreszeit, und spenden Sie hier.

Vielen Dank sagen die Verkäuferinnen, Verkäufer und das gesamte Team der Zeitschrift der Straße

Text: Reinhard „Cäsar“ Spöring
Fotos: Mat Hayward/Fotolia; Verein für Innere Mission in Bremen

WIE LEBT MAN ALS OBDACHLOSE PERSON?

Wie lebt man als Obdachlose Person? Wie fühlt es sich eigentlich an, kein Zuhause zu haben? Was würde einem fehlen, was wären die größten Schwierigkeiten?

Diese Fragen stellten sich in den vergangenen Tagen 13 Konfirmanden der evangelischen Gemeinde Arsten-Habenhausen. In einer Projektwoche beschäftigten sie sich an zwei Nachmittagen mit dem Streetworker Jonas Pot d’Or vom Verein für Innere Mission mit dem Thema Obdachlosigkeit. Sie diskutierten, wie man eigentlich obdachlos wird und welche Hilfemöglichkeiten es gibt.

Dann ging es raus in die Kälte: Eine Gruppe versuchte eine Stunde lang, Flaschen zu sammeln, eine, die Zeitschrift der Straße zu verkaufen. Die erzielten Einkünfte an diesem kalten, regnerischen Tag waren für die Jugendlichen ernüchternd: Nach einer Stunde hatte keiner von ihnen eine Zeitschrift verkauft, die Gewinne aus dem Flaschensammeln beliefen sich auf wenige Euro.

Mit solchen Arbeiten seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, wie es viele Menschen tun, die etwa aus Rumänien hierher gekommen sind, war für sie schwer vorstellbar. Vieles fiel ihnen aber dazu ein, was sie vermissen würden, wenn sie obdachlos wären: Ein gemütliches Bett im Warmen etwa, die Familie, das Gefühl, irgendwo dazu zu gehören. Ein spannendes Projekt, das die Jugendlichen möglicherweise ein wenig verändert hat.

Text: Tanja Krämer
Foto: Sascha Kohlmann/Flickr.com

VORTRAG ZUR ZEITSCHRIFT DER STRASSE AM 28.11.

In der Vortragsreihe „Wissen um 11“ im Bremer Haus der Wissenschaft tritt erstmals die Zeitschrift der Straße ans Rednerpult. Am Samstag, den 28. November 2015 um 11 Uhr morgens wird Michael Vogel als Initiator, Mitbegründer und einer der Leiter des Bremer Straßenmagazins zu folgendem Thema sprechen:

Hochschulen als Akteure der Zivilgesellschaft. Das Beispiel der Bremer Zeitschrift der Straße

Worum geht’s? Unter Zivilgesellschaft wird der öffentliche Raum zwischen Staat, Markt und Familie verstanden, wo sich Menschen einzeln, in Initiativen, Vereinen, sozialen Bewegungen, NGOs usw. betätigen. In jüngerer Zeit verschwimmen die Grenzen der Zivilgesellschaft zunehmend, denn Staat, Wirtschaft und der ‚Nonprofit-Bereich‘ haben soziale Innovationen als gesellschaftliches Gestaltungsmittel für sich entdeckt. Soziale Innovationen verlangen häufig sektorübergreifende Kooperationen oder ganz neue Mischformen. Hochschulen, die bislang technische Innovatoren ausgebildet und technische Innovationen hervorgebracht haben, werden dies künftig verstärkt auch für soziale Innovationen tun und damit immer mehr zu Akteuren der Zivilgesellschaft werden. Wie dies konkret aussehen kann, zeigt das Beispiel der Zeitschrift der Straße.

Michael Vogel ist studierter Betriebswirt, promovierter Volkswirt und promovierter Bildungswissenschaftler. Er arbeitete einige Jahre in der Privatwirtschaft im In- und Ausland, wurde 2003 als Wirtschaftsprofessor an die Hochschule Bremerhaven berufen und initiierte 2009 die Zeitschrift der Straße als Medien-, Sozial- und Lernprojekt.

Die Vortragsreihe „Wissen um 11“ im Haus der Wissenschaft (Sandstraße 4/5) begann vor zehn Jahren. In dreißig Minuten werden spannende und aktuelle Themen aus der Wissenschaft im großen Vortragssaal (Olbers-Saal, 195 Plätze) vorgestellt. Im Anschluss besteht Zeit für die Beantwortung von Fragen. Der Eintritt ist frei.

Weitere Information finden Sie hier.

Schmutzige Scheibe unseres Vertriebsbüros

EIN JAHR AUF DER BRAKE

Im Dezember 2014 zog das Vertriebs- und Redaktionsbüro der Zeitschrift der Straße mit Sack und Pack aus dem Lloydhof aus und in die Nähe des Hauptbahnhofs, direkt neben das damals neu eröffnete Café Papagei, den Treffpunkt für wohnungslose Menschen. Auf der Brake 10-12 ist seither unser „Zuhause“.

Inzwischen wissen wir die Vorteile dieses Umzugs sehr zu schätzen. Unser Büro ist gemütlich und gut erreichbar. Das ist nicht nur für den Vertrieb wichtig, sondern auch für die vielen Freiwilligen, die unser Büro tagsüber besetzen, und für die studentischen AutorInnen, die hier mit der Redaktionsleitung regelmäßig ihre Konferenzen abhalten.

Die Verkäuferinnen und Verkäufer haben nebenan im Café Papagei einen schönen Aufenthaltsort, an dem sie essen und trinken, duschen und sich mit Kleidung eindecken können. Die ärztliche Notversorgung ist auch nur eine Tür weiter. Alle diese Einrichtungen werden vom Verein für Innere Mission betrieben, der auch die Zeitschrift der Straße herausgibt.

Sogar unser neues großes Vorhaben, die Uni der Straße, findet Platz in den Räumen Auf der Brake. Ins Erdgeschoss wird in den nächsten Wochen das Uni-Projektbüro einziehen. Und im ersten Stock gibt es einen Saal für kleinere Bildungsveranstaltungen.

Kommen Sie in den Öffnungszeiten vorbei, wir freuen uns über Ihren Besuch.

Zynischer Kontrast: I love Bremen

DAS MÜSSEN WIR HINKRIEGEN – FÜR ALLE!

Gastbeitrag von Hinz&Kunzt, Hamburg: Freunde fragen mich manchmal, ob es mich frustriert, wenn sie oder andere sich jetzt intensiv für Flüchtlinge engagieren – und die Obdachlosen so ins Hintertreffen geraten.

Nein, dass sich so viele um die Neuankömmlinge kümmern und offen für sie sind, finde ich richtig toll. Das macht mir Mut für die Zukunft. Das geht übrigens nicht nur mir so, sondern auch anderen in unserem Team von Hinz&Kunzt. Ein Kollege ist ganz aktiv als Flüchtlingshelfer, auch viele Obdachlose und Ex-Obdachlose engagieren sich.

Und die Obdachlosen sind dadurch nicht ins Hintertreffen geraten. Sie waren es schon, bevor die Flüchtlinge kamen. Nur wird jetzt erst so richtig deutlich, was alles möglich ist, wenn eine ganze Stadt sich anstrengt. Hamburg hat, wie Bremen viele Tausende Menschen untergebracht. Mehr schlecht als recht, aber immerhin. Politiker, Behördenmitarbeiter, Mitarbeiter der Unterkünfte, Freiwillige – sie arbeiten bis an den Rand der Erschöpfung.

Diese Meisterleistung unserer Städte begeistert mich. Und machen mich gleichzeitig ein bisschen neidisch. Warum wird das Thema Obdachlosigkeit nicht mit derselben Power angepackt?

Ich komme mir schon vor wie der letzte Jammerlappen, wenn wir Mitarbeiter der Obdachlosenhilfe gebetsmühlenartig wiederholen, dass es keine bezahlbaren Wohnungen oder Unterkünfte mehr gibt. Und mit den Jahren jammern wir auf immer niedrigerem Niveau. Früher forderten wir bezahlbaren Wohnraum für Obdachlose, dann wenigstens Einzelzimmer in Unterkünften, jetzt: dass sie überhaupt ein Bett bekommen. Und neulich, der Tiefpunkt: dass sie in einer verdreckten Ecke in der City liegen bleiben dürfen, weil die immerhin überdacht ist.

Aber den politischen Willen, Obdachlose unterzubringen, den gibt es eben nicht. Trotz aller Sympathiebekundungen. Das schürt den Verteilungskampf, und so wird eine Gruppe von Menschen in Not gegen die andere ausgespielt. Das macht sich natürlich auch bei uns im Projekt bemerkbar.

Neulich mussten wir einen Hinz&Künztler für einen Tag rausschmeißen. „Pack“, hatte der gebrüllt, mit allem Hass, den er gerade zur Verfügung hatte. Die Flüchtlinge seien „ein PACK“. Konflikte dieser Art sind wir gewohnt. Hinz&Kunzt ist ein Kooperationsprojekt – zwischen Menschen, die schon als Kinder Rückhalt hatten, und solchen, die nie auf Rosen gebettet waren. Je weniger einer vom Leben bekommen hat, desto weniger hat er oft auch zu geben. Binsenweisheit: Je weiter unten einer steht, desto größer der Wunsch, dass unter ihm noch einer stehen müsse. Das mag ihm Sicherheit geben. Das alles können wir verstehen, aber nicht tolerieren.

Entsprechend berührt sind wir, wenn Menschen aus unseren Reihen sich eben nicht ausspielen lassen und sich sogar noch für andere engagieren. Das erleben wir derzeit eben auch.

Denn Fakt ist: Allen geht es schlecht. Den Flüchtlingen und den Obdachlosen – und den EU-Wanderarbeitern, von denen gerade niemand mehr spricht. Alle brauchen ein Dach über dem Kopf – menschenwürdig und ohne Wenn und Aber.

Text:
Birgit Müller
Sie ist Chefredakteurin des Hamburger Straßenmagazins Hinz&Kunzt. Dieser Beitrag ist in ähnlicher Form in der Ausgabe 10/2015 erschienen. Reproduktion mit freundlicher Genehmigung von Hinz&Kunzt.
Beitragsbild:
Per Gosche/flickr.com

ABSCHIED NEHMEN AM 22. NOVEMBER

Wenn obdachlose Menschen sterben, werden sie meist anonym bestattet, den genauen Ort kennen nur die Behörden. So war es lange Zeit auch in Bremen, bis der Verein für Innere Mission vor drei Jahren eine Urnengrabstätte auf dem Waller Friedhof eingerichtet hat (Foto).

Hier werden Menschen, die weder ein Obdach noch Angehörige hatten, würdevoll bestattet. Ihre Namen sind auf steinernen Büchern verewigt, die zu beiden Seiten des Grabsteins stehen. „Solch ein Begräbnis verleiht dem Tod der Wohnungslosen eine Würde, die sie im Leben oft genug nicht erfahren durften“, sagt Bertold Reetz, Leiter der Wohnungslosenhilfe des Vereins.

Finanziert werden konnte die Grabstätte durch private Spenden und mithilfe der Stadt. Am Sonntag, 22. November 2015, wird in einem Gottesdienst an die Verstorbenen erinnert. Zu der jährlich stattfindenden Veranstaltung werden rund 130 Gäste erwartet, darunter Freunde und Bekannte der Verstorbenen. Aber auch interessierte Bürger, die die Verstorbenen würdigen möchten, sind zu der Feier herzlich eingeladen. Die Predigt wird Pastor Jürgen Mann halten, der als Seelsorger der Inneren Mission viele wohnungslose Menschen in Bremen persönlich kennt.

Gottesdienst zum Gedenken an die verstorbenen wohnungslosen Menschen in Bremen:
Sonntag, 22. November 2015, 11 Uhr
Friedhof Walle
Waller Friedhofstraße, 28219 Bremen

 

Foto: Verein für Innere Mission

VerkäuferInnen der Zeitschrift der Straße

KAUFEN STATT ALMOSEN GEBEN

Viele Bremer:innen kennen inzwischen die Zeitschrift der Straße. Und wer eine Ausgabe durchgeblättert und gelesen hat, weiß: Es lohnt sich. Unser Magazin bietet ungewöhnliche Einblicke in diese Stadt und Geschichten von Menschen, über die sonst niemand schreibt.

Dennoch passiert es immer wieder, dass Passant:innen unseren Verkaufspersonen keine Zeitung abkaufen, sondern ihnen einfach eine Münze zustecken. Das mag nett gemeint sein, doch es degradiert unsere Kolleg:innen auf der Straße (sicherlich ungewollt) zu Almosenempfänger:innen.

Wir vom Projekt Zeitschrift der Straße wollen eine Alternative zum „Schnorren“ schaffen. Wir wollen, dass bedürftige Menschen selbstbewusst ein publizistisches Qualitätsprodukt anbieten und so positive Begegnungen, Gespräche und Erfahrungen entstehen. Und zwar auf Augenhöhe.

Zehntausende Exemplare der Zeitschrift der Straße wurden bereits verkauft, Zehntausende Kontakte geschaffen zwischen besser situierten und häufig ausgegrenzten Menschen. Deshalb appellieren wir an Sie, liebe Leser:innen: Statt Almosen zu geben, kaufen sie weiterhin die neuesten Ausgaben bei unseren Verkäufer:innen.

Wenn Sie ihnen ansonsten etwas Gutes tun wollen, dann helfen Sie mit der wirksamsten Werbung der Welt: Erzählen Sie in Ihrem Freundes- und Bekanntenkreis von unserem Projekt und animieren Sie auch diese Menschen, die Verkäufer:innen zu unterstützen. Denn eine Zeitschrift bei einem unserer Verkaufspersonen zu erwerben, erkennt an, dass dieser Mensch nicht bettelt, sondern ein aktiver Teil der Gesellschaft ist. Das ist gelebte Wertschätzung. Und Menschenwürde.

Reinhard Spöring
Vertriebskoordinator der Zeitschrift der Straße