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VERKÄUFER IM RAMPENLICHT: RENE MOCELLIN VON SURPRISE, SCHWEIZ

SURPRISE/Schweiz: Als René Mocellin, 64, nach jahrelanger Schreibarbeit seine Autobiografie beendet hatte, wurde ihm langweilig. Seit bald einem Jahr verkauft er deshalb Surprise am Bahnhof Basel SBB.   „Ich muss zugeben, dass ich anfangs Hemmungen hatte, das Strassenmagazin zu verkaufen. Ich befürchtete, dass man mich als randständig wahrnehmen würde, und dieses Image will ich auf keinen Fall. Dann sagte ich mir: Ich mach das einfach auf meine Art. Ich sehe nicht verwahrlost aus, und meine Ausrüstung mit dem Bildschirm und den anderen Extras erweckt auch nicht den Anschein. Jetzt bin ich fast ein Jahr bei Surprise dabei, seit März 2015. Ich verkaufe fast jeden Tag von zehn Uhr morgens bis in den Abend hinein am Haupteingang des Basler SBB-Bahnhofs. Und ich muss sagen: Mir gefällt die Aufgabe. Ich bekomme nette Rückmeldungen von den Leuten, meine Elektronik gefällt ihnen. Ich habe immer Leuchttafeln dabei, die ich selber installiere. In der Adventszeit nahm ich einen kleinen leuchtenden Tannenbaum mit, das kam besonders gut an. Einmal ging eine jüdisch-orthodoxe Familie an mir vorbei, und die Kinder machten ganz …

STRASSENVERKÄUFER TRIFFT PAPST

STRAATNIEUWS/Utrecht: Papst Franziskus gibt ehemals obdachlosem Straßenverkäufer Marc in Rom ein exklusives Interview   Es ist noch früh, als wir vor dem Dienstboteneingang des Vatikans links vom Petersdom eintreffen. Die Schweizergarde war über unsere Ankunft in Kenntnis gesetzt worden und lässt uns durch. Wir steuern auf das Domus Sanctae Marthae zu, in dem Papst Franziskus wohnt. Das Domus Sanctae Marthae ist aller Wahrscheinlichkeit nach das außergewöhnlichste Drei-Sterne-Hotel der Welt. Das große, weiße Gebäude, in dem Kardinäle und Bischöfe residieren, während sie im Vatikan ihren Dienst leisten oder ihn besuchen, ist auch die offizielle Residenz der Kardinäle während des Konklaves. Hier werden wir ebenfalls erwartet. Wie in jedem anderen Hotel stehen hinter der Rezeption zwei Damen, die uns auf eine Nebentür verweisen. Der Versammlungsraum ist schon vorbereitet. Dieser Raum, der dem Papst unter der Woche als Konferenzraum dient, ist ziemlich groß und mit Schreibtisch, Sofa, Tischen und Stühlen ausgestattet. Dann beginnt das Warten. Marc, der Straatnieuws-Verkäufer, hat von uns allen die meiste Geduld, und wartet in seinem Stuhl sitzend darauf, was als Nächstes kommt. Plötzlich erscheint …

KOPF KAPUTT

BISS/München: Unsere Autorin hat fünf Monate lang unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Deutsch unterrichtet. Ein Erfahrungsbericht   Im September 2014 war mir per E-Mail ein Notruf zur Betreuung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge zugegangen: „Wir suchen dringend Betreuer, die irgendwie pädagogisch geschult bzw. geeignet sind.“ Da die Bayernkaserne als Erstaufnahmestelle aus allen Nähten platzte und die Plätze in den Münchner Clearingstellen für Jugendliche alle schon besetzt waren, richteten die freien Träger der bayerischen Jugendhilfe im Herbst letzten Jahres mehrere Notunterkünfte als Dependancen der Bayernkaserne ein. In einer solchen Unterkunft – einem umfunktionierten Versammlungssaal – sollten 25 männliche Jugendliche wohnen und auch in Deutsch unterrichtet werden. „Das entspricht nicht gerade dem, was wir uns unter Jugendhilfe vorstellen, aber im Moment bricht einfach alles zusammen“, hatte die Verantwortliche des freien Trägers in der E-Mail geschrieben. Bei der Sprachschule Inlingua hatte ich einen Sommer lang Deutsch als Fremdsprache unterrichtet für junge spanische Ingenieure, ehrgeizige osteuropäische Akademikerinnen, verwöhnte Austauschschüler aus den USA und den Emiraten. Gerade war ich knapp bei Kasse, und so hoffte ich, ein paar Arbeitsstunden als Deutschlehrerin für Flüchtlinge …

VERKÄUFER IM RAMPENLICHT: COLIN, BIG ISSUE

BIG ISSUE NORTH/Nordengland: Seit sechs Jahren verkauft Colin die Straßenzeitung „The Big Issue North“ in Manchester. Er ist ziemlich bekannt, was nicht zuletzt an den regelmäßigen Posts über seinen Alltag liegt, die auf der Facebook-Seite der Straßenzeitung geteilt werden. Mit Christian Lisseman spricht er über einen lokalen Film, bei dem er den Anführer einer Gang gespielt hat, wie er wieder Kontakt mit seinem Vater aufgenommen hat und wie Big Issue North ihm dabei auf geholfen hat, wieder auf die Beine zu kommen.   Warum verkaufst du das Magazin? Ich wurde obdachlos aufgrund von Familienproblemen. Seit dem Teenageralter war ich immer wieder obdachlos. Ich habe in Hostels geschlafen, aber auch auf der Straße. Ich habe 2009 angefangen, Big Issue North zu verkaufen. Zu der Zeit habe ich auf der Straße geschlafen und kam auf die Idee, mir mit dem Verkauf der Zeitung ein bisschen Geld dazu zu verdienen. Hast du Familie? Ja, habe ich. Vor einigen Jahren habe ich in einem Hostel der Heilsarmee gelebt. Dort habe ich eine Weihnachtskarte bekommen mit einem Brief darin – …

„UNGARN IST SO EIN MERKWÜRDIGES LAND“

HINZ&KUNZT/Hamburg: Mitte September reiste unser Autor Frank Keil nach Ungarn. Was ist in dem Land los, das Europa durch seinen Umgang mit Flüchtlingen schockierte? Und wie ergeht es dort den Obdachlosen? Ein Besuch auf dem Bahnhof Keleti in der Hauptstadt Budapest, wo die Flüchtlinge ankamen, und in den Obdachloseneinrichtungen der Stadt.   Budapest, Mitte September, Bahnhof Keleti. Der mondäne Ostbahnhof. Ich wusste nicht, ob ich ankommen würde. Mal hieß es, der Zugverkehr von und nach Budapest sei wegen der Flüchtlinge eingestellt; mal auch wieder nicht. Nun ist es mitten in der Nacht. Ich frage einen jungen Ungarn nach dem Weg; danach, wo laut meinem Plan mein Apartment im jüdischen Viertel liegen müsste, in dem ich eine Woche lang wohnen werde. Er zeigt geradeaus, immer geradeaus solle ich gehen. Wir schauen auf die Flüchtlinge, die unter uns auf der teils überdachten Fläche zwischen Bahnhof und Metro in Zelten oder auf Matten campieren. Vielleicht 200, 300 sind es, schätze ich. Anfang September saßen hier tagelang Tausende fest, sich selbst überlassen. Die Bilder von im Müll liegenden Frauen, …

VERKÄUFER IM RAMPENLICHT: PANAYIOTIS VON SHEDIA, ATHEN

SHEDIA/Athen: Panayiotis Triantafillidis, 35 Jahre alt, ist ein griechisches Mitglied der Roma, dessen Leben sich verändert hat, indem er die Zeitung Shedia in Athen verkauft hat. In diesem Artikel erklärt er, wie er, erst nachdem er das Lesen gelernt hatte, wirklich verstand, was Shedia war. Jetzt kann er gar nicht mehr aufhören, das Magazin zu lesen, das er selber verkauft und das ihm geholfen hat eine Wohnung zu mieten.   Ich komme aus Istiataia (einer Stadt im Norden der griechischen Insel Evia), ich wurde in Athen geboren und lebte die meiste Zeit in der Gegend von Aspropyrgos. Ich bin ein griechischer „Gypsy“ und das hat mir viele Probleme bereitet im Leben. Mein Vater war ein Marktverkäufer und ich habe ihm bei vielen Arbeiten geholfen. Als er 2008 gestorben ist, brach es uns allen das Herz. Es ist so lange her und ich kann es immer noch nicht glauben. Ich wollte unbedingt von Zuhause weg, aber ich konnte nicht, weil ich mich um meine Mutter kümmern musste. Sie war sehr streng. Sie wollte nicht, dass ich …

SPENDE DEIN PFAND!

HINZ&KUNZT/Hamburg: Aufmucken lohnt sich! Nach unseren Berichten und den Protesten unserer Leser ist Flaschensammeln am Hamburger Flughafen nicht mehr verboten. Noch besser: Ab sofort arbeiten drei Hinz&Künztler dort als professionelle Leergutbeauftragte. Mein Bild von Flaschensammlern hat sich um 180 Grad gewendet“, sagt Mercedes Lazar-Heubel. Die 33-Jährige betreut am Flughafen Hamburg das Projekt „Spende dein Pfand“, bei dem seit September Fluggäste vor dem Abflug ihre ausgetrunkenen Pfandflaschen spenden statt wegwerfen können. Heute ist die Projektleiterin voller Verständnis für die Menschen, die sich meistens unauffällig durch die Terminals bewegen und in den Mülleimern nach Pfandflaschen suchen: „Eigentlich spricht gar nichts dagegen“, sagt sie. „Ich habe gemerkt, dass diese Menschen einfach darauf angewiesen sind.“ Noch vor einem halben Jahr sah sie das ganz anders: „Ich habe mich wirklich gestört gefühlt, wenn ich das gesehen habe“, räumt Lazar-Heubel ein. Sie habe wie so viele das Elend nicht sehen wollen und hätte die schwierige Situation der Flaschensammler nicht verstanden. Damals war am Flughafen das Sammeln auch noch verboten. Das sollte einen „ungestörten Betrieb“ gewährleisten und den Fluggästen einen „angenehmen Aufenthalt“ …