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KEIN PLATZ FÜR ZEBRASTREIFEN

#86 DECHANATSTRASSE – Die Geschichte einer Schule, die gerne einen Fußgängerüberweg haben wollte, aber keinen bekommen kann

Die St.-Johannis-Schule in der Dechanatstraße hätte gerne einen Zebrastreifen vor ihrer Türe. Damit ihre Schulkinder sicherer über die Straße kommen. Doch daraus wird erst einmal nichts. Seit die katholische Privatschule auch im Postgebäude unterrichtet, also auf zwei verschiedenen Straßenseiten, macht man sich Sorgen um ihre SchülerInnen. Weil die zwischen den Häusern die Straße überqueren müssen. Also setzte sich die Schulleiterin bei der Stadt für einen Zebrastreifen ein. Doch das Bauressort lehnte ab. Die Begründung: In einer Tempo-30-Zone wie der Dechanatstraße seien gar keine Zebrastreifen vorgesehen. „Fußgängerüberwege“ – so der juristisch korrekte Wortlaut – „sind in Tempo-30-Zonen in der Regel entbehrlich“, findet die Behörde. Das Wort „Zebrastreifen“ hat sich freilich bloß das Fußvolk ausgedacht. Trotzdem ist man an der Schule weiterhin der Überzeugung, ein Fußgängerüberweg vor der Schule sei angebracht, sagt Oberstufenkoordinator Martin Plazinski. Die Parkbuchten machten die Überquerung der Straße unübersichtlich, auch RadfahrerInnen seien gefährlich schnell unterwegs in der Dechanatstraße.

Dass es in vielen Tempo-30-Zonen Zebrastreifen geben sollte, findet auch Stefan Lieb, Geschäftsführer vom Fuß e. V., dem Fachverband für Fußverkehr in Deutschland. Besonders dort, wo die Polizei nicht kontrolliere. Denn da werde wenig auf das Tempolimit geachtet, so Lieb. Die Bremer Stadt- und Regionalplanerin Angelika Schlansky, eine Fußverkehrslobbyistin, fordert: „Es wird höchste Zeit, dass der Fußverkehr infrastrukturell sichtbarer wird. Zebrastreifen begünstigen nicht nur den Fußverkehr, sondern sind darüber hinaus ein Symbol dafür, dass es außer Auto- und Radverkehr auch noch Fußverkehr in der Stadt gibt!“

Aber wie viele Zebrastreifen gibt es in Bremen eigentlich? Lange Zeit fast gar keine. Vielleicht denken Sie jetzt an den in Horn-Lehe, der auf Drängen einer dort ansässigen Seniorenwohnanlage angebracht wurde. Oder an den hinter dem Hauptbahnhof, der vor sechs Jahren endlich die Rückkehr der Zebrastreifen in Bremen einläuten sollte, nach einem Jahrzehnt, in dem es keine neuen gab. Das Problem: Zebrastreifen galten lange als gefährlich. „Es gab eine Phase, wo VerkehrsplanerInnen Zebrastreifen ablehnten oder sogar abbauten – mit dem Argument, sie böten eine trügerische Sicherheit“, erinnert sich der Verkehrspolitiker Ralph Saxe, der für die Grünen in der Bremischen Bürgerschaft sitzt. „Das konnte mit umfangreichen Studien ausgeräumt werden.“ Unter dem Titel „Die Rückkehr der Zebrastreifen“ initiierte er schon 2012 einen entsprechenden Parlamentsantrag – weil „eine verstärkte Wiederverwendung von Zebrastreifen, wie in München und Berlin, auch in Bremen und Bremerhaven wünschenswert und fachlich geboten“ sei, wie es in dem Dringlichkeitsantrag hieß. Auch damals regierte die SPD zusammen mit den Grünen in Bremen. Dennoch sagt Saxe heute: „Es sollte viel mehr Zebrastreifen in Bremen geben, wofür ich mich weiter einsetze.“ Aber warum durfte die St.-Johannis-Schule dann keinen haben? Jens Tittmann, Sprecher der grünen Bau- und Verkehrssenatorin, macht dafür die deutsche Rechtsprechung verantwortlich: „Es ist juristisch fast aussichtslos, in einer Tempo-30-Zone einen Zebrastreifen einzurichten. Wenn irgendein Autofahrer sich über diesen Zebrastreifen ärgert und das vor das Verwaltungsgericht bringt, können wir meistens sofort einpacken.“

Der Fuß e. V. ist trotzdem der Auffassung, dass Zebrastreifen in Tempo-30-Zonen eingerichtet werden können – wenn es dort Kindergärten oder Schulen gebe. Er verweist dabei auf die „Richtlinien für die Anlage und Ausstattung von Fußgängerüberwegen“ vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Wohnungswesen. In diesem Regelwerk steht allerdings bloß, dass Zebrastreifen außerhalb des möglichen und empfohlenen Einsatzbereiches in „begründeten Ausnahmefällen“ angeordnet werden können. Dem widerspricht auch Jens Tittmann nicht. Nur: Der Grund für so einen Ausnahmefall müsse eben sehr außergewöhnlich sein. Ein einfacher Schulweg wie in der Dechanatstraße reicht da wohl nicht aus. Zumindest, solange da noch keine Unfälle passieren.

Tittmann verweist auf ein anderes, drängenderes Problem: Autos, die halb auf dem Gehweg parken. Ist illegal, passiert aber trotzdem überall. Früher war das noch nicht so ein ganz großes Problem, aber die Autos werden eben immer mehr, immer größer und immer breiter und versperren dann nicht nur RollstuhlfahrerInnen und KinderwagenschieberInnen den Weg. Die Feuerwehr musste deswegen schon öfter zu einem Brand einen Umweg nehmen. Brandschutz, Rettungssicherheit und Barrierefreiheit seien nicht verhandelbar, sagt der Ressortsprecher. Außerdem mache illegales Parken die Straßenüberquerung gefährlich, besonders für Kinder. Und wenn ja doch illegales Parken das Problem sei, wäre es – so Tittmann weiter – „Quatsch“, das mit einem halb legalen Zebrastreifen zu bekämpfen. Und gegen das illegale Parken gehe man vor, sagt er, zum Beispiel durch die Vergabe von Anwohnerparkausweisen.

Wobei sich auch das Verkehrsressort letztendlich mehr Zebrastreifen für Bremen wünscht. „Wir möchten auch lieber in der einen oder anderen Tempo-30-Zone einen Zebrastreifen setzen können.“ Bremen habe deshalb jetzt in einer bundesweiten Arbeitsgruppe einen Vorstoß gemacht, um die juristische Hürde für Fußgängerüberwege erheblich niedriger hängen zu können. „Ob das dann durchgeht, wissen wir natürlich nicht.“

Und so lange muss die St.-Johannis-Schule eben weiterwarten.

Text: Paul Petsche