#69 SÖGESTRASSE – Die Suppenengel sind in Bremen eine Institution. Weil aber der Bedarf steigt, wird die Küche langsam zu klein. Der Frust auf der Straße wächst
Geld klirrt in der Spendendose. Zwei Menschen lächeln sich an. „Danke schön und einen schönen Tach noch!“, sagt Gerd Fechtner zu einer jungen Frau, die gerade Geld in die Spendendose geworfen hat. Er sammelt auf der Sögestraße für den Bremer Suppenengel e.V. Der gemeinnützige Verein versorgt obdachlose Menschen in Bremen mit warmen Mahlzeiten. Jeden Wochentag bereiten im Durchschnitt zwölf der insgesamt 44 Ehrenamtlichen in der Küche des St.-Jakobi-Gemeindehauses in der Neustadt das Essen vor. Auf vier Spezial-Lastfahrrädern wird es in die Innenstadt gefahren. Ein Fahrrad mit Heizvorrichtung transportiert 90 Liter warme Suppe. Ein weiteres mit Kühlung die Obst- und Gemüsesalate. Auf die anderen beiden werden der Kaffee, die belegten Brote und der Nachttisch verteilt.
Alle vier Räder fahren nacheinander zu den zwei Essensausgabeplätzen in der Bremer Innenstadt – dem Hauptbahnhof und dem Wilhelm-Kaisen- Denkmal im Kastanienwäldchen am Wall, nahe der Sögestraße. In den Wintermonaten gibt es die Mahlzeiten in der Senatskantine des Lloydhofs. Dort können sich dann sowohl die Suppenengel als auch ihre KundInnen aufwärmen. „Durch den Verkauf des Lloydhofs suchen wir nun aber nach einem neuen Winterquartier für die kalten Monate“, sagt Peter Valtink, der Geschäftsführer des Vereins.
Angefangen hat alles vor 21 Jahren. 1997 fuhr Zia Gabriele Hüttinger mit dem Fahrrad in die Stadt. Im Fernsehen hatte sie gesehen, dass Obdachlose erfroren waren, weil sie in Deutschland nicht mehr in die Bahnhöfe gelassen wurden, um sich aufzuwärmen. Sie sprach einen Wohnungslosen an – und fragte, was sie für ihn tun könne. Er antwortete: „Eine Suppe wäre ganz gut.“ Hüttinger ging nach Hause, kochte Suppe und verteilte sie auf der Straße. Später gründete sie den Verein Suppenengel e.V. 2013 wurde sie für ihr Engagement mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.
Neben der Essensspende organisiert der Verein inzwischen auch eine Kleiderkammer und medizinische Nothilfen. Bei der Suche nach Wohnungen unterstützen die MitarbeiterInnen ebenfalls. „Wir versuchen auch etwas gegen die soziale Kälte zu tun“, sagt Peter Valtink. Deshalb organisiert der Verein inzwischen auch Sommerfeste oder den Neujahrsempfang für Obdachlose“.
Diese erzählen, dass es bisweilen zu Rangeleien bei der Essensausgabe komme. Schnell fallen Vorwürfe und unüberprüfbare Schuldzuweisungen. Es herrsche ein Konkurrenzkampf unter den Bedürftigen, erklärt Valtink. Neben die obdachlosen Menschen, die schon früher zum Essen gekommen seien, reihten sich nun auch mittellose RentnerInnen und OsteuropäerInnen ein, die hier in Bremen gestrandet seien. Aktuell kämen etwa 250 Menschen zu den Mahlzeiten. Die Küche der Bremer Suppenengel werde deshalb langsam zu klein. „Wir kochen mit nur einer Kochplatte“, sagt Valtink. Der Verein suche deswegen nach einer eigenen Immobilie mit größerer Küche.
„Lass mich in Deinen
Suppentopf gucken und
ich sage Dir, wer Du bist!“
(Sprichwort aus Russland)
Die Spendendose in der Hand von Gerd Fechtner rasselt wieder. Bereits seit 13 Jahren engagiert er sich bei den Bremer Suppenengeln. Er kann sich gut hineinfühlen in die Bedürfnisse der Menschen, die bei ihnen zum Essen kommen. Er war selbst einmal obdachlos. „Durch den Kontakt mit den Suppenengeln konnte ich in meinem Leben viel verändern“, erzählt er. „Das, was ich bekommen habe, möchte ich nun zurückgeben!“ Angefangen habe er mit dem Schmieren der Brote. Dann gab er Essen aus. Nun ist er hauptamtlicher Spendensammler. Als eine Frau an die Spendendose tritt, sagt sie: „Es ist einfach ein gutes Werk, das die Menschen in diesem Verein umsetzen.“
Bei den Bremer Suppenengeln mangelt es nicht an HelferInnen: RentnerInnen, Menschen, die arbeitslos sind oder Sozialhilfe beziehen, aber auch Berufstätige. Seit 2014 kann man zudem seinen Bundesfreiwilligendienst im Verein verrichten. Fechtner erzählt, dass auch viele Unternehmen Essen spenden: „Jetzt gibt’s sogar Torten!“ An sechs Wochentagen holen die HelferInnen bei den Unternehmen Spenden ab und sortieren sie für die Küche vor.
Jeden Samstag wird auf der Sögestraße für besondere Anlässe gesammelt. Heute für die Schokoladentütchen, die jedes Jahr an Ostern verteilt werden. Begeistert erzählt Fechtner, wie er vor einiger Zeit selbst einmal beschenkt wurde: Obdachlose hatten ihm zur Weihnachtszeit kleine Aufmerksamkeiten mitgebracht. „Das war mein schönstes Erlebnis hier bislang“, sagt Fechtner, „Die Leute nehmen nicht nur, sondern geben auch.“
Text: Samira Ghozzi
Foto: Norbert Schmacke