Jahr: 2016

DIE KAISENAUSWOHNERIN

#40 ERDBEERBRÜCKE – Schon seit Langem wohnt sie in ihrem Kleingarten direkt unter der Erdbeerbrücke. Ein Hausbesuch bei Hannelore Mönch   Sie ist hier geboren, kurz nach Kriegsende, in einem Jahrhundertwinter mit Temperaturen bis zu 30 Grad unter null. Sie ist hierher zurückgekehrt. Sie wohnt auf ihrer Parzelle – und sie darf das: Hannelore Mönch ist das, was man in Bremen eine Kaisenauswohnerin nennt. „Der erhebliche Ausfall von Wohnungen durch den Krieg zwingt dazu, Bedenken gegen das Wohnen in Kleingärten zeitweise zurückzustellen“, schrieb SPD-Bürgermeister Wilhelm Kaisen 1945. Vier Jahre später wurde dieser „Kaisenerlass“ wieder zurückgenommen. Die Menschen blieben. Und wer bis 1974 schon hier wohnte, darf sein Häuschen auch noch „auswohnen“, also lebenslänglich bleiben. Heute leben noch einige Hundert Menschen offiziell in Bremens Schrebergärten. Hannelore Mönch wohnte früher mit ihrer ganzen Familie in diesem „Behelfsheim“; über die Jahre hinweg hat sich aus dem niedrigen, lang gestreckten Häuschen eine Zweiraumwohnung mit großer Wohnküche, Wannenbad, WLAN, Spülmaschine und Gasheizung entwickelt. Es ist alles da. Was fehlt, ist die Kanalisation. Und ein Schutz gegen Hochwasser: Das Kaisenhaus an …

DIE UMFRAGE 2016

Liebe Leserin, lieber Leser der Zeitschrift der Straße, drei Jahre sind verstrichen seit unserer letzten Umfrage. Durch Kommentare auf unserer Facebook-Seite, Leserbriefe, Korrespondenz, Telefonate und durch persönliche Treffen erhalten wir zwar fortlaufend Rückmeldungen. Aber für unsere Arbeit an Bremens Straßenmagazin ist es wichtig, dass wir hin und wieder auch ein breit angelegtes, systematisches Feedback einholen. Bitte nehmen Sie sich deshalb zehn Minuten Zeit, um unsere Fragen zu beantworten. Als Dankeschön für Ihre Antworten haben Sie die Möglichkeit, an einer Verlosung teilzunehmen. Nach dem Ende der Umfrage im Herbst verlosen wir drei große Canvasco-Umhängetaschen der unverkäuflichen Edition Zeitschrift der Straße 2013. Der Aufdruck „Das Knistern der Straße“ ist eine Anspielung auf die Titelgeschichte der Ausgabe #1 SIELWALL vom Februar 2011. Darüber hinaus gibt es fünf Gutscheine für spannende und unterhaltsame Stadtführungen der Bremenlotsen zu gewinnen. Das Team der Zeitschrift der Straße bedankt sich für Ihre Mithilfe. Die Umfrage ist bereits beendet.  

#39 SONNENPLATZ

Neues wagen Kattenturm ist einer der jüngsten Ortsteile Bremens. In den 1960er-Jahren entstanden hier, wo bislang Wiesen und Felder waren, etliche mehrgeschossige Wohnblöcke für Tausende Bewohner. In den Wirtschaftswunderjahren herrschte Wohnungsnot und Aufbruchstimmung zugleich, doch so recht wollte der Traum vom gemeinschaftlichen Leben in der Großwohnsiedlung auch hier nicht funktionieren. Mit den Jahren häuften sich die Probleme: Arbeitslosigkeit, Kriminalität, Perspektivlosigkeit – Kattenturm wurde als sozialer Brennpunkt bekannt, und der Sonnenplatz bildete trotz seines schönen Namens keine Ausnahme. Nicht dass mit einem Mal alles anders wäre, aber in letzter Zeit lässt sich ein klarer Aufwärtstrend erkennen. Der neu gestaltete Sonnenplatz, der im April offiziell wiedereröffnet wurde, ist ein Sinnbild dafür. Wie die angrenzenden Hochhäuser zu ihren freundlichen Graffitis gekommen sind, lesen Sie ab Seite 20. Viele Menschen rund um den Sonnenplatz arbeiten dafür, dass es wieder oder weiter voran geht. Indem sie Neues wagen, wie der ehemalige Seemann Husseni Compaore, der als Sprach- und Kulturlotse Neuankömmlingen in Kattenturm bei der Integration hilft (Seite 8) und dafür mit seinen Kolleginnen und Kollegen den Hilde-Adolf-Preis erhalten hat. Oder …

DER BOTSCHAFTER

#39 SONNENPLATZ – Vor über dreißig Jahren kam er aus Ghana nach Kattenturm. Heute liebt Husseni Compaore seine zweite Heimat – und hilft, wo er kann   Hoch schießen die 1960er-Jahre-Bauten in den Himmel. Mehr als jeder fünfte Kattenturmer hat keinen Arbeitsplatz. Und fast jedes zweite Kind unter 15 Jahren lebt von Hartz IV. Eine sorgenfreie Kindheit sieht anders aus. Auch Husseni Baba Compaore kann keine Jobs aus dem Boden stampfen, doch der 58-Jährige hilft, wo er nur kann. Die Quartiersmanagerin Sandra Ahlers nennt ihn liebevoll „Baba, den Botschafter von Kattenturm“. Weil er nicht nur von den Schattenseiten Kattenturms erzähle. Oft schon wurde sie auf ihn angesprochen: Baba habe wieder einmal irgendwo von Kattenturm geschwärmt. Geboren in Takoradi im Westen Ghanas, spricht er Twi und Hausa, natürlich auch Englisch und Deutsch. Seine Sprachkenntnisse sind der Schlüssel zu vielen Menschen in Kattenturm. Denn fast jeder Zweite hier hat einen Migrationshintergrund. Einige stammen aus dem westafrikanischen Ghana. Um sie sorgt sich Compaore besonders: „Vielen Menschen ist das System in Deutschland fremd. Und die schweren Wörter auf den …

DAS PHÄNOMEN LESTRA

#38 HORNER KIRCHE – Ein unabhängiger Supermarkt in Familienbesitz hält sich wacker im Konkurrenzkampf mit Lebensmittelketten und Discountern. Unser Autor schaut nach, wie das geht.   Lestra steht in einem Reisführer als Bremer Einrichtung, deren Besuch lohnt. Beachtlich für einen Supermarkt. Allerdings kein gewöhnlicher seiner Art. Lestra war schon „Supermarkt des Jahres“, „Bester Getränkehändler“, „Beste Weinabteilung Deutschlands“, „Beste Tiefkühlabteilung“, „Lieblingstheke Käse“, „Fischtheke des Jahres“ und „Lieblingsmarkt“. Stets ausgezeichnet durch Fachleute oder Kundenbefragungen. „Andere Geschäfte haben auch viel Auswahl, aber Lestra toppt das noch einmal“, sagt Karsten Nowak, Leiter des Geschäftsbereiches Einzelhandel der Handelskammer Bremen. „Man kann seinen Grundeinkauf dort erledigen und bekommt viele Besonderheiten dazu. Etliche Lebensmittel findet man nur dort.“ Um als Familienunternehmen gegen übermächtige Ketten und Discounter bestehen zu können, hat das Kaufhaus einen langen Weg zurückgelegt. Der heutige Edel-Supermarkt mit dem besonderen Ruf eröffnet 1970 direkt gegenüber der Horner Kirche. Lestra ist Mittelpunkt des Stadtteils, ausgestattet jedoch mit einer Strahlkraft, die weit darüber hinaus reicht. Ein Jahr zuvor hatte die BSAG auf dem ehemaligen Straßenbahndepot eine knapp 3.000 Quadratmeter große Verkaufshalle errichtet. Kaufmann Heinz Strangemann pachtet …

HERR FAN HATTE EINEN PLAN

#38 HORNER KIRCHE – Er kam aus China, machte in Bremen seinen Doktor und träumte von einer Karriere in der Chemieindustrie. Heute verkauft er asiatische Lebensmittel in Horn   Ping Fan (Foto) sitzt auf einer kleinen Bank an der Tür und wartet. Er beugt sich vor zu seinem Laptop, der der neben ihm auf einem Hocker steht, und tippt etwas hinein. Und wartet weiter. Ein älterer Herr betritt den Laden, geht an Fan vorbei und steuert auf einen Raum zu, indem dutzende Säcke Reis in den verschiedensten Größen liegen. Er nimmt einen und geht damit zur Kasse. Er hat einen Jutebeutel dabei und versucht, den Reissack hinein zu stecken. „Das sieht ganz schön klein aus“, sagt Fan zu seinem Kunden. „Meine Frau meinte, das passt.“ – „Na, dann wird das wohl stimmen, Frauen haben ja immer Recht“, antwortet Fan. Die Männer lachen, als der Reis schließlich tatsächlich in den Beutel passt. Seine Kunden zu beraten und mit ihnen zu scherzen, das ist für Fan das Schönste an seiner Arbeit. Im Sommer vor bald drei Jahren …

#38 HORNER KIRCHE

Geduld ist eine Tugend Alle Themen dieser Ausgabe haben einen gemeinsamen roten Faden: die Langmut, oder, moderner gesprochen, die Geduld. Geduld etwa hatten die Gründer der Horner Kirche, als sie im Nichts ein Gotteshaus planten. Geduldig ertrug auch die Linde, die hier einst gepflanzt wurde, alle Zeitläufte –und mauserte sich zu Bremens ältestem lebenden Baum. Womöglich haben ihre drei Stämme etwas dazu beigetragen. Über Geduld verfügen aber auch die Menschen in unseren Geschichten: Die ehemalige Ärztin Barbara Janssen-Frank etwa, die heute im Gemeindesaal der Horner Kirche Menschen in die japanische Kunst des Origami einweist – eine Leidenschaft, die sie vor 15 Jahren ausgerechnet in Italien entdeckte (Seite 24). Oder der Chinese Ping Fan, der nur wenige hundert Meter entfernt einen Asia-Laden betreibt. Einst wollte er in Deutschland als Chemiker Fuß fassen. Doch es kam anders, als gedacht (Seite 12). Gleich zwei Themen in dieser Ausgabe drehen sich um die Sorgen und Nöte von Jugendlichen: In einem Gespräch geben zwei junge Männer Einblick in ihre Zeit im betreuten Jugendwohnen in der Sozialeinrichtung Alten Eichen, die sie …

ORIGAMI FALTEN: VIDEO-ANLEITUNG

#38 HORNER KIRCHE – Origami sind die günstigen China-Nudeln aus dem Bremer Hauptbahnhof? Nicht ganz: Origami ist die japanische Kunst des Papierfaltens. Die Zeitschrift der Strasse stellt in ihrer aktuellen Ausgabe Barbara Janssen-Frank vor. Sie ist ein Urgestein in der Bremer Faltszene. In diesem Video erklärt sie, wie der klassische Kranich gefaltet wird. Ihre Geschichte ist in der aktuellen Zeitschrift der Straße zu lesen. Nachfalten: erwünscht!   Video: André Beinke Foto: Wolfgang Everding

„ES IST EIN TEUFELSKREIS“

Neben deutschen Obdachlosen und von Armut Betroffenen verkaufen auch einige Rumänen und Bulgaren die Zeitschrift der Straße. Bernd Buhrdorf, Migrationsberater der AWO, kennt ihre Situation   Herr Buhrdorf, wie ist die rechtliche Lage von Rumänen und Bulgaren in Deutschland? Wir sind ja eigentlich ein vereinigtes Europa. Und in der EU haben alle Bürger das Recht, in einem anderen EU-Land nach Arbeit zu suchen und zu diesem Zweck auch dort zu wohnen. Das nennt sich Freizügigkeit. Bis Ende 2013 galt für Rumänien und Bulgarien aber eine eingeschränkte Freizügigkeit – für Kroatien sogar bis Juli 2015. Personen aus diesen Ländern mussten eine gesonderte Arbeitserlaubnis beantragen, Deutsche wurden in den meisten Fällen vorrangig eingestellt. Diese Einschränkungen lockern sich jedoch allmählich. Das klingt aufwendig. In der Zeit bis 2014 habe ich persönlich kaum Rumänen oder Bulgaren getroffen, die die Chance hatten, mit Arbeitserlaubnis in Arbeit zu kommen. Heute, wo sie keiner Arbeitserlaubnis mehr bedürfen, ist der Zugang zum ersten Arbeitsmarkt etwas erleichtert worden. Welche Schwierigkeiten haben diese Menschen auf dem Arbeitsmarkt? Zum einen natürlich die fehlenden Sprachkenntnisse. Dann haben …

#37 OSTERFEUERBERG

EDITORIAL: ES TUT SICH WAS Eingekeilt zwischen Autobahnzubringer und Bahngleisen ist das Osterfeuerberg-Viertel trotz seiner Nähe zum beliebten Stadtteil Findorff lange ein Underdog geblieben. Dabei war das Wohngebiet schon immer lebendig. In den Straßen begegnet man den unterschiedlichsten Menschen, viele Vorgärten der schmalen Altbremer Häuser sind – nun, man darf es wohl so ausdrücken – kreativ dekoriert. In Osterfeuerberg, so scheint es, darf man sein, wie man ist. In den Seitenstraßen findet sich eine erstaunliche Dichte an kleinen Handwerkerläden und Eckkneipen. Eine davon ist der „Druide“. Hier sorgten Stammgäste dafür, dass der Betrieb nach dem Tod des Besitzers weiterghing – und ganz nebenbei der Blues nach Walle kam (Seite 13). Ungewöhnlich ist auch die Initiative des Bestattungsunternehmens Schomaker, das in Osterfeuerberg sein Büro hat. Es bietet Kabarettveranstaltungen zum Thema Tod an – und geht so auf Kundenakquise im Seniorenheim (Seite 8). Seit einigen Jahren kommt im Stadtteil übrigens Bewegung auf: Der breite Osterfeuerbergring, der längst nicht mehr so viel befahren wird wie früher, soll zurückgebaut und begrünt werden. Neue Wohnungen sind in Planung und mit …