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„ES IST EIN TEUFELSKREIS“

Neben deutschen Obdachlosen und von Armut Betroffenen verkaufen auch einige Rumänen und Bulgaren die Zeitschrift der Straße. Bernd Buhrdorf, Migrationsberater der AWO, kennt ihre Situation

 

Herr Buhrdorf, wie ist die rechtliche Lage von Rumänen und Bulgaren in Deutschland?

Wir sind ja eigentlich ein vereinigtes Europa. Und in der EU haben alle Bürger das Recht, in einem anderen EU-Land nach Arbeit zu suchen und zu diesem Zweck auch dort zu wohnen. Das nennt sich Freizügigkeit. Bis Ende 2013 galt für Rumänien und Bulgarien aber eine eingeschränkte Freizügigkeit – für Kroatien sogar bis Juli 2015. Personen aus diesen Ländern mussten eine gesonderte Arbeitserlaubnis beantragen, Deutsche wurden in den meisten Fällen vorrangig eingestellt. Diese Einschränkungen lockern sich jedoch allmählich.

Das klingt aufwendig.

In der Zeit bis 2014 habe ich persönlich kaum Rumänen oder Bulgaren getroffen, die die Chance hatten, mit Arbeitserlaubnis in Arbeit zu kommen. Heute, wo sie keiner Arbeitserlaubnis mehr bedürfen, ist der Zugang zum ersten Arbeitsmarkt etwas erleichtert worden. Welche Schwierigkeiten haben diese Menschen auf dem Arbeitsmarkt? Zum einen natürlich die fehlenden Sprachkenntnisse. Dann haben viele der Leute zu Hause in Berufen gearbeitet, die war toll sind, die man hier aber nicht mehr braucht, etwa als Messerschleifer oder fahrende Landleute. Und zum dritten sind Rumänien und Bulgarien zwei Länder, aus denen viele Roma zu uns kommen – und diesem Personenkreis gegenüber haben Arbeitgeber sehr große Vorbehalte. Da gibt’s noch immer dieses Vorurteil: Wenn die Zigeuner kommen, dann müssen Sie die Wäsche in Sicherheit bringen.

Was passiert, wenn Menschen aus anderen EU-Ländern bei uns sind und keine Arbeit finden?

Erst einmal haben alle EU-Bürger sechs Monate Zeit, eine sozial­versicherungs­pflichtige Arbeit zu finden. Wenn ihnen das nicht gelingt, müssen sie eigentlich zurückgeschickt werden. Aber das habe ich ehrlich gesagt noch nicht erlebt. Die Grenzen sind ja auch offen, die Leute können hin- und herpendeln.

Haben die Menschen denn in dieser Zeit Anspruch auf staatliche Unterstützung?

Nein. Um Ansprüche zu erwerben nach dem Sozialgesetzbuch, muss man mindestens einen Tag versicherungs­pflichtig tätig gewesen sein. Dann bekommt man maximal ein halbes Jahr SGB-2-Leistungen, also Hartz IV. Eine weitere Hürde ist, dass man, um Hartz IV zu bekommen, ein Wohnung haben und einen Mietvertag vorweisen muss.

Aber eine Wohnung zu bekommen, wenn man keine Arbeit hat, ist schwer.

Ja, das ist ein Teufelskreis. Ich kenne einige Rumänen und Bulgaren, die dann bei Freunden und Bekannten unterkommen, mit mehreren Leuten in einer kleinen Zweizimmerwohnung zum Beispiel. Die kriegen dann irgendwann vom Vermieter die Räumungsklage, und dann war es das wieder. Selbst Roma, die sozial­versicherungs­pflichtig arbeiten, tun sich sehr schwer damit, eine Wohnung zu finden. Während es für Flüchtlinge zum Beispiel Wohnraum-Kontingente gibt und sogar manche Privatleute freiwillig Wohnungen anbieten, liegt die Chance für die Roma nahezu bei Null. So werden viele obdachlos.

Können die Menschen denn in Notunterkünften unterkommen?

Kurzfristig ja. Aber wenn sie keine Ansprüche auf Hartz IV erworben haben, weil sie noch nicht sozial­versicherungs­pflichtig gearbeitet haben, dürfen sie nicht länger in der Notunterkunft bleiben und müssen wieder auf die Straße. Ähnlich geht es diesen Menschen übrigens auch mit der Krankenversorgung.

Wie ist die geregelt?

Die Personen, die zu uns kommen, sind ja nicht über das Jobcenter kranken­versichert. Und das heißt meist: Die sind dann gar nicht kranken­versichert. Manche bringen zwar eine Reise­kranken­versicherung mit, die greift aber in den seltensten Fällen. Im Gesundheitsamt gibt es eine humanitäre Sprechstunde, da werden die Menschen teilweise erstversorgt. Und um Krankenhilfen zu erhalten, etwa einen Zahnersatz, muss man erst mal ein Jahr lang hier sein und Gelder vom Amt für Soziale Dienste beziehungs­weise vom Jobcenter bezogen haben – die man ja nur bekommt, wenn man schon mal sozial­versicherungs­pflichtig gearbeitet hat.

Was sind denn dann die Optionen dieser Menschen bei uns?

Manche finden Arbeit als Bauhelfer, andere als Putzkräfte. Oft nur für kurze Zeit. Einige machen sich auch selbstständig, etwa als Schrotthändler, die können dann aufstockende Leistungen nach dem sogenannten Hartz IV beantragen. Der Regelsatz bei Hartz IV liegt derzeit bei 404 Euro. Wenn also jemand durch die Selbstständigkeit Einnahmen von 300 Euro hat, werden nach Abzug eines Freibetrages in Höhe von 140 Euro die verbleibenden 160 Euro als Einkommen gegengerechnet, so dass er nur noch einen Anspruch auf ergänzende Leistungen von 244 Euro hat – und zusätzlich die Miete bezahlt bekommt.

Nicht wenige der Menschen kommen ja mit ihrer Familie. Haben sie denn Anspruch zum Beispiel auf Kindergeld?

Kindergeld bekommen die Menschen, wenn die Kinder hier sind und sie nachweisen können, dass die Kinder zu Hause auch Kindergeld­anspruch gehabt hätten. Leben die Kinder etwa in Rumänien bei den Großeltern, bekommen die Eltern, die hier arbeiten, nichts. Man muss auch bedenken: Alles, was die Leute zusätzlich bekommen, wird beim Jobcenter gegengerechnet. Das Kindergeld gilt dort nämlich als Einkommen. Damit wird man also nicht „reich“.

Sie erwähnten als eine große Hürde mangelnde Deutschkenntnisse. Gibt es denn Möglichkeiten, entsprechende Kurse zu besuchen?

Nein. Für diesen Personenkreis gibt es in Bremen derzeit keine Deutschkurse, es sei denn, sie sind in Arbeit und bekommen ergänzende Hilfen vom Jobcenter. Dann wird der Integrationskurs finanziert. Das war mal anders, aber derzeit hat Bremen einfach kein Geld für solche Kurse.

Die Hürden sind also sehr hoch.

Das kann man sagen. Die meisten laufen unter den Hürden durch. Viele, die ich kennengelernt habe, sammeln einfach Flaschen und leben von dem Pfand. Andere gehen schwarzarbeiten, wieder andere verkaufen zum Beispiel die Zeitschrift der Straße.

Wobei der Verkauf der Zeitschrift der Straße laut einem aktuellen Bescheid der Rentenversicherung nicht als sozial­versicherungs­pflichtiges Beschäftigungs­verhältnis gilt – und wegen der geringen Einkünfte auch nicht als selbstständige Tätigkeit funktioniert, sondern nur ein Zubrot sein kann.

In Bremen dürfen diese Menschen übrigens nicht einmal zur Bremer Tafel gehen. Denn wenn sie keine Leistungen vom Jobcenter beziehen, haben sie auch dort keinen Anspruch.

Sie erleben regelmäßig solche Schicksale. Wie ist das für Sie persönlich?

Die Roma sind ein Personenkreis, der mir leidtut.

Warum?

Weil wir hier in der Integrationsberatung zu wenig machen können. Natürlich gibt es auch immer wieder Fälle, bei denen ich mich ärgere. Weil sich manche der Roma auch schwer damit tun, sich an gewisse Regeln zu halten. Treffen klappen oft nicht, mangelnde Pünktlichkeit ist ein großes Thema. Andere lernen einfach die Sprache nicht, auch wenn sie es theoretisch könnten. Aber viele wollen sich gern integrieren. Sie bekommen nur von der Gesellschaft zu wenig Chancen hierzu – und werden ganz einfach ausgesiebt.

Wenn die Aussichten hier so schlecht sind: Warum bleiben die Leute hier?

Weil es ihnen da, wo sie herkommen, noch schlechter gehen würde. Als Roma werden sie in den Heimatländern diskriminiert und verfolgt.

Herr Buhrdorf, vielen Dank für das Gespräch.

 

Bernd Buhrdorf arbeitet bei der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Bremen als Berater im Fachdienst für Migration und Integration.

Text: Tanja Krämer
Foto: Kimmo Räisänen/flickr.com