Ausgabe

#48 Warturmer Platz

Hintergrundfoto: Lomunet Arratiko/flickr.com

EDITORIAL: Dorf inmitten der Stadt

Der Warturmer Platz liegt versteckt zwischen einer Güterbahntrasse, der Bundesstraße 6, der A 281 und einem Gewerbegebiet. Eine laute, triste Gegend. Findet man aber den Weg in die Senator-Paulmann-Straße, landet man in einer anderen Welt. Die schmale Straße führt zu einem Platz, der auch ein Park sein könnte, mit Bäumen und Büschen auf einer großen Wiese und vor allem: Stille. Dieses Idyll ist umgeben von einem lückenlosen Ring kleiner Reihenhäuser, wie eine Wagenburg.

Was heute einem Dorf gleicht, war vor rund 80 Jahren ein Ort des Schreckens. Die Nationalsozialisten hatten die Siedlung als Lager errichtet, in dem sie Sinti und andere einsperrten, die ihnen und ihrer Ideologie nicht passten. Die Familien mussten Zwangsarbeit verrichten, wurden geprügelt und zum Teil auch zwangssterilisiert (Seite 8). Viele Bewohner des Lagers blieben nach dem Krieg in den Häusern, zunächst als Mieter, später konnten sie die Häuser erwerben. Auch wenn die Siedlung lange unter einem schlechten Ruf litt, wurde sie über die Jahrzehnte zu einem kleinen Paradies mit einer dörflichen Gemeinschaft (Seite 12).

Doch auch in jüngerer Vergangenheit erlebte der Warturmer Platz einen dunklen Moment, als ein Brandanschlag auf eine Einwandererfamilie verübt wurde. Obwohl die Tatverdächtigen bekannt sind, hat der Prozess nach etlichen Jahren noch immer nicht begonnen (Seite 14).

Wir haben auch das nahe Umfeld des Warturmer Platzes erkundet und dabei einen jungen Afghanen getroffen, der vor dem Krieg geflohen ist und nun zum Segelmacher ausgebildet wird (Seite 16); eine Wirtin, die es schafft, Arbeiter, Hausfrauen und Biker unter einen Hut zu bringen (Seite 20); und zwei Musiker, die dem jahrhundertealten „Storchennest“ neues Leben einhauchen (Seite 24).

Die Siedlung am Wartumer Platz war einst ein „Familien-KZ“. Heute erinnert dort nichts mehr daran