Ausgabe

#93 BAHNHOFSVORPLATZ

EDITORIAL: DIE RUHE AM BRENNPUNKT

Liebe Leserinnen und Leser,

die Plätze vor Bahnhöfen sind immer geschäftige Orte. Die meisten Menschen dort haben es eilig: Schnell noch den Zug erwischen, hastig zur Straßenbahn laufen, noch einmal an der Zigarette ziehen und einen Kaffee „to go“ kaufen, bei dem nur der schwere Milchschaum verhindert, dass er in der Eile überschwappt. Alles ist immer in Bewegung. Oder?

So ganz stimmt das nicht. Denn Plätze vor Bahnhöfen sind immer auch Orte, wo jene sesshaft werden, die es sonst nirgendwo mehr sind. Sie bitt en um eine kleine Spende, sie trinken ihr Bier, sie schlafen, sie streiten sich. Wer sich in diesen Tagen länger dort aufhält, merkt: Das Klima am Bremer Bahnhofsvorplatz ist rauer geworden. Der Ordnungsdienst patrouilliert, die Polizei ist mit einem Mannschaftswagen vor Ort, videoüberwacht ist der Platz ohnehin.

Vielleicht haben wir deshalb ausgerechnet hier nach Orten der Ruhe gesucht – von denen es überraschenderweise einige gibt. Da wäre zum Beispiel das Übersee-Museum, das sein Schaumagazin im Großkino nebenan präsentiert. Hier sind nicht nur Dinge versammelt, die in der Ausstellung nicht zu sehen sind, sondern auch Sichtweisen konserviert: der historische Blick auf ferne Kulturen, das Staunen über die Vielfalt der Welt. Dass Sammeln hier kein Selbstzweck ist, haben wir bei einem Besuch erfahren (Seite 16). Am anderen Ende des Platzes geht es ebenfalls um die Konservierung der Welt, diesmal der hiesigen. Auf eine faszinierende Reise zwischen Vergangenheit und Zukunft hat uns die Leiterin der Landesarchäologie Uta Halle mitgenommen (Seite 8).

Während Landesarchäologie und Übersee-Museum den Blick weiten, schiebt ihm das neue „City Gate“ eher einen Riegel vor: Jahrelang hatte man über die Nutzung der Freifläche zwischen Bahnhof und Innenstadt diskutiert, heute steht dort ein riesiger Neubau – mit dem noch nicht alle so richtig warm geworden sind (Seite 12).

Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre!

Karolina Meyer-Schilf, Jan-Paul Koopmann
und das Team der Zeitschrift der Straße

Aus dem Inhalt:

08 Von Steinzeit-Bremern und Knochenjägerinnen

In der Landesarchäologie erforschen HistorikerInnen, was die Bremer Erde so alles ans Licht bringt

12 Pforte oder Mauer?

Über die Bebauung des Bahnhofsvorplatzes wurde in Bremen lange diskutiert. Inzwischen steht das „City Gate“

16 Schau-Fenster der Stadt

Bildstrecke

22 Bremens Orkus (online lesen)

Direkt vor dem Hauptbahnhof steht ein Bunker, auch wenn man ihn nicht sehen kann

28 Mit Gott bei den Eichhörnchen

Unser Verkäufer Andrej stammt aus Sibirien, wo er schießen gelernt hat, aber nicht in den Krieg ziehen wollte

30 Unsere neuen Verkaufsgebiete

Die Zeitschrift der Straße wird neuerdings in festgelegten Gebieten verkauft. Wir erklären das System

28 „Ich habe nicht so einen guten Start gehabt“

Unser Verkäufer Daniel Hollstein erzählt aus seinem Leben

31 Impressum und Vorschau