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BREMENS ORKUS

Unter dem Bahnhofsvorplatz liegt ein Bunker, der für die Öffentlichkeit nur auf Führungen zugänglich ist. Seine Geschichte war mit dem Kriegsende noch lange nicht vorbei.

Beim Intercity Hotel am Hauptbahnhof, noch vor den Straßenbahngleisen und Busspuren, geht es hinab. Der Eingang des Bunkers endet bald an einem gebogenen Gittertor und sieht ganz harmlos aus: wie die Einfahrt einer Tiefgarage. Und das ist auch kein Wunder, denn die Nazis planten bereits beim Bau, den Bunker nach dem „Endsieg“ als Garage zu nutzen. Diese und andere geschichtliche Tatsachen erzählt Historiker Andreas Calic, der hier für den Verein StattReisen Führungen durchführt. Er hat die Schlüssel für die Unterwelt.

Hinter Gitter und Rolltor empfängt uns eine nicht sonderlich angenehme Geruchswolke. Der Gestank von Ammoniak mischt sich mit der intensiven, abgestandenen Moderluft aus dem Inneren der Anlage. Calic erklärt, dass seit einiger Zeit, auf Anregung des StattReisen-Teams, regelmäßig von der Stadtreinigung vor dem Eingang sauber gemacht wird. Der Eingangsbereich wird dann mit Hochdruckreinigern abgespritzt und was die so wegschwemmen, sammelt sich hinter dem Rolltor: Dosen, Unrat und ein Berg von Einwegspritzen.

Hin und wieder liegen auch Menschen vor dem Tor, weshalb vor Führungsbeginn manchmal auch die Polizei verständigt wird, um gegebenenfalls Hilfe zu holen. Die StadtführerInnen haben hier auch schon Menschen beim Sex überrascht, gerade als sich Gruppen zur Führung am Eingang einfanden.

Wir passieren ein Tor – und was für eins: etwa einen halben Meter dick und rund zweieinhalb Meter im Quadrat. Stahlbeton. Das ist allerdings kein Überbleibsel des Weltkriegs: Es wurde eingebaut, als der Bunker im Kalten Krieg zum ABC-Bunker umfunktioniert wurde. Der Blick ins Innere lässt hingegen wieder die Ursprungsidee von der Tiefgarage erkennen. Der Raum ist wohl hundert Meter lang und dreißig breit.

Im Krieg sollten hier 900 Menschen Platz finden. Laut Calic geht man aber davon aus, dass hier sehr viel mehr vor den Bomben der Alliierten Deckung suchten – aber wirklich gezählt hat das damals natürlich niemand. Es ist warm, die Luftfeuchtigkeit ist hoch und es riecht streng nach Schimmel.

Am Eingang zur Unterwelt warten zwei Tore – und jede Menge Müll.

Anfang der 1990er-Jahre, beim Umbau des Bahnhofvorplatzes, wurde die Ausfahrt verschlossen. Man könnte sie wieder aufgraben, sie ist nicht für die Ewigkeit versiegelt worden. Auch einer der Personenzugänge wurde damals geschlossen. Direkt darauf steht heute eine Straßenlaterne, deren Befestigung im Betondeckel sich von unten bestaunen lässt. Neben der Treppe befindet sich eine Rinne zum Schieben von Fahrrädern. Die wurde tatsächlich bereits von den Nazis angelegt: für die besagte Zukunftsgarage.

Auf der gegenüberliegenden Seite befindet sich der zweite Personenzugang. Tageslicht schimmert durch die Ritzen und oben läuft hörbar jemand mit einem Rollkoffer über das Pflaster, das auf einer Metallplatte liegt. Diese Platte ist mit Scharnieren versehen und hat hydraulische Säulen zum öffnen. Diese Anlage ist allerdings stillgelegt, weil die Feuerwehr den Notausgang nicht mehr zugelassen hat, nachdem 2003 klar war, dass der Bunker keine Funktion als Schutzraum mehr erfüllen wird.

Die Geschichte des Bunkers ist also lang und geht weit über den Zweiten Weltkrieg hinaus. Gebaut wurde er 1940 und 1942 von Zwangsarbeiter- Innen und einer Arbeitskolonne aus Italien. Beim Richtfest wehte neben der Hakenkreuzflagge die italienische Trikolore. Bunkerbau ist harte Arbeit: 7.000 Kubikmeter Beton, 15.000 Kubikmeter Erde und 2,5 Millionen Liter Grundwasser wurden dafür bewegt. Aus Sicht einiger BremerInnen soll die Baufirma die Zwangsarbeiter dabei zu gut behandelt haben. Es gab Beschwerden von „anständigen Deutschen“ und tatsächlich wurden der Firma daraufhin Folgeaufträge entzogen.

Nach dem Krieg wurde der Bunker, wie eigentlich alle dieser Anlagen in Bremen, für die ausgebombte Bevölkerung kurzzeitig als Notquartier genutzt. Doch der Bahnhofsbunker blieb weiter Wohnraum. In den 1950er-Jahren wurde er zum Wohnheim für wohnungslose Männer. Es dauerte bis 1977, bis die Innere Mission ein Grundstück fand, um das Jakobushaus (heute besser bekannt als Papageienhaus) fertigzustellen. Immer wieder fanden potenzielle AnwohnerInnen genug Energie und scheinbar gute Argumente, die Wohnungslosen von ihrer Nachbarschaft fernzuhalten.

Andreas Calic erzählt von Briefen mit Inhalten wie diesem: Man wolle kein „asoziales, arbeitsscheues Gesindel, das den ganzen Tag Alkohol trinkt, in unserer Nachbarschaft.“ Die Männer lebten hier unten in den Nischen, den Parkplätzen für die Autos an beiden Seiten des Tiefbaus. Damals waren sie durch Gitter vom Mittelteil abgegrenzt. Wenn man da unter der Erde steht und Calic für kurze Zeit das Licht ausschaltet, sind nur noch die phosphoreszierenden Streifen und Beschriftungen an den Wänden zu sehen. Sie leuchten in einem gespenstischen grün. Man denkt unwillkürlich an die Kriegszeit, wie sich wohl die Menschen hier fühlten, wenn der Strom plötzlich aus war. Wenn die Sirenen heulten, wenn Erde und Wände beim Einschlag der Bomben erzitterten.

Text: Heiko Lenthe
Fotos: Hartmuth Bendig