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FREMDKÖRPER MIT PARKVERBOT

#25 ZIEGENMARKT – Zu sauber, zu teuer, zu groß – der Neubau überm „Rewe“ ärgert viele. Hält nur Dreck Gentrifizierung auf? Die Geschichte von „Ziegenmarkt 21“

 

Rewe-Neubau am Ziegenmarkt mit rotem Herz-Grafiti ganz oben an der Fassade

Herzlich willkommen im Steintor-Viertel

Das rie­si­ge rote X prangt wie ein Park­ver­bot vor dem Ein­gang des gro­ßen Wohn- und Ge­wer­be­blocks am Zie­gen­markt. Ein Park­ver­bot für Men­schen. Die­ser Fleck soll frei blei­ben, heißt das: Frei von ver­meint­lich bet­teln­den, ner­vi­gen Punks, frei von Jun­kies, Ob­dach­lo­sen und allen an­de­ren, die sich auf dem Platz gerne auf­hal­ten. Die Glas­tür hin­ter dem X und die Plat­te mit den Klin­geln ist sau­ber. Di­rekt da­ne­ben aber hängt alles vol­ler Pla­ka­te, wild an die Back­stein­fas­sa­de ge­kleis­tert. Vom strah­lend wei­ßen Putz der dar­über­lie­gen­den Eta­gen leuch­ten bunte Farb­bom­ben­kleck­se – Zei­chen des Wi­der­stands.

Verglichen mit dem benachbarten Ostertor ist das Steintor noch weit weniger geleckt. Der Ziegenmarkt, dieser Platz im spitzen Winkel von Friesenstraße und Vor dem Steintor, ist das soziale Zentrum des Steintorviertels, direkt an dessen Pulsader gelegen. Dreimal die Woche ist das buckelige Kopfsteinpflaster vollgestellt mit Marktbuden. Abends treffen sich hier Alkoholiker und solche, die es werden wollen; in den umliegenden Kneipen und Spelunken ist Betrieb bis in die frühen Morgenstunden. Linke-Szene-Demonstrationen starten oft von hier. Ein Gedenkstein am Rand erinnert an die vielen Drogentoten. Die Rotlichtgasse liegt gleich gegenüber. Über all dem thront seit 2012 der fünfstöckige weiße Kasten mit dem Supermarkt im Erdgeschoss. Der Neubau dominiert den Ziegenmarkt, er überschattet ihn und integriert sich auch optisch nicht in sein Umfeld.

Wie „Stuttgart 21“, nur viel kleiner

Gut zwanzig Meter entfernt, buchstäblich im Schatten des weißen Gebäudes, steht das Jugendzentrum „Die Friese“. Unzählige bunte Plakate an den Wänden erzählen von Veranstaltungen, von lauten Punk-, Metal-, Trash- und Hardcorekonzerten, von linken Demos, von politischem und menschlichem Engagement. Drinnen sitzt Michael Quast, seit Urzeiten Geschäftsführer der sozialen Einrichtung. Kurz geschorene Haare, abgewetzte Jeansjacke, Ohrring. Ihm gefällt überhaupt nicht, wie es vor knapp vier Jahren zu dem Neubau gegenüber kam. Angekündigt ist nämlich zunächst nur eine Modernisierung des maroden, damals noch einstöckigen Supermarktgebäudes. Nur durch Zufall bekommen die unmittelbar betroffenen Ziegenmarkt-Nachbarn dann mit, dass der Flachbau samt der angrenzenden Häuser in diesem Zug durch einen fünfstöckigen Wohn- und Gewerbekomplex ersetzt werden soll: schicke, vergleichsweise teure Wohnungen mitten im Steintor.

„Historisch haben da ja schon immer Häuser gestanden“, sagt Quast. „Es war nur kein so großer Klotz.“ Fünf bis sieben Meter breit waren die Gebäude hier traditionell, mit kleinen Läden unten drin. „Das hätte man ja wieder aufnehmen können.“ Seine Kritik zielt aber nicht nur auf die Architektur. „Es sind ja letztlich hier am Ziegenmarkt zehn oder fünfzehn kleine Grundstücke, die zusammengeführt wurden, um da höherwertige Wohn- und Aufenthaltsqualitäten zu schaffen für eine bestimmte Klientel.“

Quast ist nicht der Einzige, der sich daran stört. Zusammen mit anderen Empörten gründet er eine Bürgerinitiative. Ihren Namen wählen sie in Anlehnung an die zeitgleichen massiven Proteste gegen die milliardenschwere Tieferlegung des Stuttgarter Hauptbahnhofs: „Ziegenmarkt 21“. Sie drucken Protestpostkarten und Plakate, sammeln Unterschriften und organisieren Veranstaltungen. Indes: Die Baugenehmigung für den umstrittenen Gebäudekomplex ist bereits erteilt. Immerhin lässt sich die Baufirma nach langer Diskussion und mit Moderation des Ortsamtes auf einen Fassadenwettbewerb ein – und zwar einen, der nur für Bauplaner aus der Nachbarschaft ausgeschrieben wird. „Der Hintergrund war, dass die Architekten, die das dann verbraten, das auch täglich sehen sollen“, erinnert sich Quast. Der Kubus allerdings, der Baukörper selbst, steht nicht mehr zur Debatte. „Die Höhen, der Würfel, …“, ärgert sich Quast: „Dieser Klotz war schon ein Klotz. Die konnten da nicht mehr viel retten.“ Der Wettbewerb bleibt einer um die Fassade.

Angekündigt ist zunächst nur
eine Modernisierung
des Supermarktgebäudes

Die Mitglieder der Bürgerinitiative hätten sich weitaus mehr gewünscht: eine Debatte nicht nur über den Bau an sich, sondern über den gesamten Ort, über den Ziegenmarkt als einen zentralen Platz des Steintors, mit dem Ziel, diesen zu einem möglichst angenehmen Aufenthaltsort für alle Bewohnerinnen und Bewohner zu machen. Immerhin ist dessen Gestaltung als Treffpunkt schon in den Jahren zuvor immer wieder mal öffentliches Thema. Es gibt zahlreiche Bürgerversammlungen und Diskussionen, unter anderem über eine partielle Begrünung der Fläche, darüber, Sitzbänke aufzustellen, sogar ein kleiner Park mit Hügel ist im Gespräch. Mit der erteilten Baugenehmigung ohne jede Vorabinformation der Öffentlichkeit stößt die Stadt all jene vor den Kopf, die sich darüber Gedanken gemacht haben.

Auch wenn es in diesem Fall keine juristische Handhabe mehr gibt, will die Initiative zumindest ein politisches Zeichen gegen willkürliche Stadtplanung setzen – schon allein, damit das Beispiel nicht Schule macht. „Wir wollten zeigen, dass es sich für Investoren nicht lohnt, zehn alte Häuser aufzukaufen, abzureißen und was Neues hinzusetzen“, sagt Quast. Der Beirat diskutiert, derlei für die Zukunft mithilfe einer Gestaltungssatzung zu verhindern – bis heute gibt es keine. Auch die Idee, eine öffentliche Diskussion über die Gestaltung des Rest-Ziegenmarktes zu führen, versandet.

Heute, nach vier Jahren, ist das neue Erscheinungsbild des Ziegenmarktes zur Normalität geworden und der Protest gegen den weißen Klotz an dessen Ostseite verhallt. Nur die vereinzelten Farbkleckse an der Wand, die hin und wieder übertüncht und dann wieder erneuert werden, erinnern noch an den Unmut, den er ausgelöst hat.

Die Mietpreisspirale dreht sich

Dass sich ganze Stadtteile von sozial schwächeren, durchmischten Gebieten zu monokulturellen, kommerzialisierten Wohn- und Aufenthaltsgegenden entwickeln, die aufgrund der steigenden Mietpreise nur noch der höheren Mittel- und der Oberschicht vorbehalten sind, ist schon seit dem vorletzten Jahrhundert zu beobachten – dieses Phänomen bestimmt die Stadtentwicklung auf der ganzen Welt und nun eben auch in Bremen. „Bei der Gentrifizierung gibt es so viele kleine Rädchen, die ineinandergreifen“, sagt Quast. „Es ist nur ein Mosaiksteinchen: Es ist ja nicht so, dass durch diesen einen Bau sich plötzlich ganz viele Leute das nicht mehr leisten können, hier zu wohnen. Das ist ja so schleichend. Es gibt viele Faktoren, die da eine Rolle spielen.“

Der Prozess der Gentrifizierung läuft häufig nach demselben Schema ab: Sobald sich ein Gebiet durch bestimmte Faktoren wie besondere Kulturangebote, Architekturstile oder anderes als besonders hip oder attraktiv herausstellt, beginnen finanzkräftige Interessengruppen, in die bis dahin vernachlässigte Baustruktur zu investieren. Gastronomie und Dienstleistungsgewerbe siedeln sich auf zu dem Zeitpunkt noch günstigen Gewerbeflächen an. Durch die Steigerung der Lebensqualität und des Warenangebotes im Umfeld wird es auch für Vermieter und Immobilienmakler rentabler, in ihr Eigentum zu investieren und dann höhere Mieten zu verlangen – die Mietpreisspirale beginnt, sich zu drehen. Stück für Stück wird auf diese Weise die alte, gewachsene Struktur verdrängt und mit ihr alle, die sich die gestiegenen Lebenshaltungskosten nicht mehr leisten können. Weil diese Entwicklung mehrere Jahre dauert, merken die meisten nicht, wie die Menschen, die nicht so zahlungskräftig sind, nach und nach aus dem Stadtbild verschwinden. Quast beobachtet dies auch im Steintor. „Früher war das Viertel ja mal multikulti. Jetzt ist es nur noch bunt, weil der Anteil der Migranten mit geringem Einkommen spürbar nachgelassen hat.“

Bei der Gentrifizierung gibt es
so viele kleine Rädchen,
die ineinandergreifen

Auch die zunehmende Tendenz, den öffentlichen Raum zu kommerzialisieren, sieht Quast als Teil des Problems. „Das ist auch Gentrifizierung, wenn es nur noch möglich ist, sich für Geld dort aufzuhalten.“ Der neue gastronomische Betrieb in den Räumen der früheren Hirsch-Apotheke etwa: „Ich sehe, dass da Tische und Stühle rausgestellt werden. Das sind die Anfänge einer gastronomischen Eroberung des Platzes. So fangen sie klein an.“ Nicht zuletzt deshalb hofft er, dass die Gestaltung des Ziegenmarktes noch mal zur Diskussion gestellt wird. „Nicht, dass hier schleichend noch mehr Gastro stattfindet und der Ziegenmarkt dann irgendwann weg ist für die Allgemeinheit.“

Im Steintor hängen inzwischen immer mal wieder Plakate, die gegen die Aufwertung des Viertels Position beziehen. Das beste Rezept gegen steigende Mieten lautet demnach: „Steintor bleibt dreckig.“

Text: Simon Denecke
Bild: Janis Fisch