Leseprobe

DAS ÜBERSEHENE LEID

#52 NELSON MANDELA PARK: Neben dem Elefanten steht ein kleines Mahnmal – das bundesweit einzige seiner Art, das an den Völkermord an den Herero erinnert.

 

Der Nelson-Mandela-Park beherbergt ein unscheinbares und oft übersehenes Mahnmal. Gleich neben dem Elefanten, der seinen Schatten auf einen kleinen Steinkreis wirft. Wofür steht dieser Kreis?

Es ist das bundesweit einzige Denkmal sein Art. Und erinnert an die Vernichtung der Herero in der Schlacht am Waterberg im Jahre 1904. Das Volk hatte sich gegen die deutsche Kolonialherrschaft aufgelehnt. In Erinnerung an diesen Völkermord wurden 2009 Steine aus der Omaheke-Wüste nach Bremen gebracht, um dort zusammen mit deutschem Beton und Kies einen kreisförmigen Erinnerungsort im Dialog mit dem Elefanten zu gestalten.

Bremen war einst tief in den deutschen Kolonialismus verstrickt. 1883 kaufte der Bremer Tabakhändler Adolph Lüderitz – Namensgeber der Lüderitzstraße in Schwachhausen – mit betrügerischen Mitteln große Landstriche in Südwestafrika und stieg somit in den sogenannten „Scramble for Africa“ ein, den Wettlauf um Afrika, der in jener Zeit in ganz Europa stattfand. Erstmals wurde die deutsche Flagge auf afrikanischem Boden gehisst. In diesem Gebiet, dem heutigen Zentralnamibia, lebten im 19. Jahrhundert die Herero und Nama. 1904 kam es infolge lang andauernder Dürren zu einem Aufstand der einheimischen Bevölkerung. Getrieben durch Existenzängste und die entwürdigende Behandlung durch die Kolonialherren wurden die deutschen Siedler von ihren Ländereien vertrieben. Das Kaiserreich reagierte resolut – und vergrößerte die Anzahl der Truppen im Land. Eine neu eingesetzte militärische Führung von Generalleutnant Lothar von Trotha erließ einen Vernichtungsbefehl. Die Herero wurden in die wasserlose Omaheke-Wüste nahe des Waterberges gedrängt und dort eingekesselt. Der Großteil des Volkes verdurstete, verhungerte oder wurde erschossen. Friedliche Lösungen schlossen die Deutschen aus, auch Frauen und Kinder wurden nicht verschont. Von 80.000 Herero sollen Schätzungen zufolge nur 15.000 überlebt haben.

Neben dem Herero-Denkmal im Nelson-Mandela-Park gibt es eine Informationstafel zur Historie, die einer Interpretation jedoch freien Raum lässt. Bei der Einweihung des Denkmals am 11. August 2009, dem Jahrestag der Schlacht am Waterberg, beschrieb der namibische Politikwissenschaftler und spätere Botschafter Namibias Peter Katjavivi das Dargestellte so: „Kies und Beton, die den Boden der runden Gedenkstätte bedecken, symbolisieren die Grundlage der Erinnerung. Die 300 kleinen Steine aus Namibia stehen für die unzähligen Opfer des Völkermordes, die vier größeren Felsbrocken stellen die Grundsteine der Versöhnung dar, die wir setzen müssen.“ Gudrun Eickelberg, eine der beiden Vorsitzenden des Vereins „Der Elefant!“, der sich heute um das Antikolonialdenkmal kümmert, beschreibt die vier großen Steine als die vier großen Kolonialmächte Deutschland, Frankreich, Belgien und England, die den ausgebeuteten Kolonien in Afrika, in Form von kleinen Steinen, gegenüberstehen. „Die Großen sprechen, die Kleinen hören. Doch die wahre Größe macht sich nicht an der bildlichen Größe fest, das versuchen die kleinen Steine den großen zu erklären. Das Mahnmal ist leise und trotzdem laut“, sagt Gudrun Eickelberg.

Eine lange Zeit musste vergehen, bis Deutschland sich überhaupt mit dem Geschehen am Waterberg auseinander setzte. Bis heute erkennt die Bundesrepublik den Völkermord an den Herero nicht als solchen an – gestützt auf das Argument, das der Fall verjährt sei. Das Thema wurde aus Politik und Medien verdrängt. „So konnten mit der Verneinung eines Genozids jegliche Entschädigungszahlung an die Opfergruppen vermieden werden“, kritisiert Eickelberg. Anlässlich des 100. Jahrestages der Schlacht kam es 2004 erstmals zu einer Entschuldigung. Die damalige Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) bat in Namibia offiziell um Vergebung für die Verbrechen der deutschen Kolonialherren. Der Begriff „Völkermord“ wurde jedoch auch hier bewusst vermieden.

Einige Jahre später machte sich die Bundesregierung für Vorwurf des „Völkermordes“ der Türkei an den Armeniern im Jahre 1915 stark – und deklarierte ihn als ersten Genozid des 20. Jahrhunderts. Die Türkei nutzte die Gelegenheit, um Deutschland an seine eigene Schuld in Afrika zu erinnern. Durch die Aufmerksamkeit, die dem Völkermord von 1904 nun zuteil wurde, führte für die Bundesregierung kein Weg mehr an der Auseinandersetzung mit der Thematik vorbei.

Momentan laufen Gespräche zwischen Namibia und Deutschland. VertreterInnen der Hereros und Namas sind jedoch hierbei ausgeschlossen. „Die Gespräche wären von Seiten der Bundesregierung lieber vermieden worden. Die ganzen Verhandlungen wirken doch sehr alibimäßig“, sagt Gudrun Eickelberg. Aber auch wenn es am Ende zu Zahlungen an Namibia kommt, ist fraglich, ob dieses Geld wirklich den Opfergruppen zukommt. Vertreter der Herero versuchen darum, sich durch eine Klage gegen Deutschland Gehör zu verschaffen.

Die Umsetzung des Denkmals wurde durch das Bremen-Afrika-Archiv und dem Verein „Der Elefant!“ finanziert – die Stadt Bremen hat das Projekt finanziell nicht unterstützt. Die private und somit kostengünstige Umsetzung des Denkmals könnte in der Öffentlichkeit als eine Anspielung auf die Verweigerungen von Reparationszahlungen verstanden werden. Ohnehin dauerte es bis in die Neunziger Jahre, ehe erstmals KünstlerInnen aufgerufen wurden, die Waterberg-Schlacht in einem Denkmal darzustellen. Manches davon war „nicht passend“, findet Eickelberg, etwa die Darstellung eines riesigen Brunnens. Schließlich sei ein Großteil der Herero seinerzeit verdurstet. Am Ende des Wettbewerbs wurde denn auch kein Sieger gekürt und das Projekt verlief allmählich im Sande. 2004 versprach dann der damalige Bürgermeister Henning Scherf (SPD) im Rahmen einer internationalen Versöhnungskonferenz den Opfergruppen ein Denkmal. Einige Zeit später wurde der Entwurf des Steinkreises von Thomas Gatter vorgelegt, einem Autor, Künstler und Archivar aus Bremen. Er ist über einen langen Zeitraum mit der Planung des Denkmals beschäftigt gewesen. Schließlich wurde das Mahnmal für die Opfer des Völkermords in Namibia 1904-1908 von dem Bremen-Afrika-Archiv errichtet.

Virginie Kamche, Diplom-Informatikerin und Vorsitzende des Afrika-Netzwerks Bremen, sieht das Denkmal als einen passenden Anfang der Anerkennung des Völkermordes an den Herero und wünscht sich als nächsten Schritt ein gemeinsam erarbeitetes Erinnerungskonzept zur angemessenen Aufarbeitung des Genozids. „Wie soll man das Geschehene sonst groß entschädigen? Kein Leben ist mit Geld zu ersetzen. Dennoch gibt es viel zu tun: Die Bundesregierung soll sich damit auseinandersetzen, wie man mehr Solidarität erreichen kann, um solche Gräueltaten nicht nochmal geschehen zu lassen“, sagt Kamche. Wichtig sei eine Fairness zwischen Europa und den ehemaligen Kolonialstaaten, eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe und das Lernen aus der Vergangenheit. „Es muss über Details des Völkermordes gesprochen werden, vor allem mit Schülern“, so Kamche. Deutschland habe schon viel zu lange geschwiegen.

[Dieser Text ist die Langfassung des stark gekürzten Texts in der Ausgabe #52.]

Text: Nike Frey
Foto: Jan Zier