Leseprobe

DER HERR DER BIENEN

#79 LUDWIG-ROSELIUS-ALLEE – Marten Carstensen betreut als Imker vier Bienenvölker vor dem Atlantic-Hotel an der Ludwig-Roselius-Allee. Seine Passion für die Arbeit mit und in der Natur bestimmt sein Leben

„Imker“ steht gestickt auf der Schirmmütze, die einen Schatten auf Marten Carstensens Gesicht wirft. Darunter zeigt sich ein strahlendes Lächeln. Carstensen hält sich nicht lang mit Small Talk auf, sondern lenkt das Thema unverzüglich auf seine Leidenschaft: das Imkern. Er erklärt fachmännisch, wie die Bienenkästen, sogenannte Beuten, aufgebaut sind, dass Bienen in einem Radius von drei Kilometern nach Nahrung suchen, und erläutert den Unterschied zwischen Honig- und Wildbiene. Zufrieden verschränkt er die Arme vor der Brust und schaut ein bisschen stolz auf die vier Kästen, um die ein reges Summen und Brummen herrscht.

Carstensen steht vor dem Atlantic Hotel an der Ludwig-Roselius-Allee, direkt dahinter erstreckt sich die ehemalige Galopprennbahn. Und direkt davor ein kleiner Hotelvorgarten, in dem die vier Bienenkästen zu finden sind. Darin leben zurzeit rund 32.000 Honigbienen – Bienen, um die sich Carstensen kümmert. Vor etwa zwei Jahren nahm die Hotelleitung Kontakt zum Bremer Imkerverein von 1875 e.V. auf. Ihr Wunsch: Sie wollten vor dem Hotelgebäude ein paar Bienenvölker beheimaten – und suchten nun einen kompetenten Hobbyimker, der sich um sie kümmert. Marten Carstensen, stellvertretender Vorsitzender im Bremer Imkerverein von 1875 e.V., sah sich den Standort an und sagte prompt zu. Wegen der vielen Grünflächen sei das Hotel gut geeignet. „Viele andere Mitglieder des Vereins haben ihre ein oder zwei Völker und das reicht ihnen dann auch“, sagt Carstensen, „Aber ich hatte noch Lust und Kapazitäten für zusätzliche Völker. Außerdem konnte ich mir sicher sein, dass das Hotel den Honig abkaufen würde. Es ist also eine Win-win-Situation.“

Schon ein Jahr später konnte der erste Honig geerntet werden. „Die Gäste finden es einfach super, beim Frühstück mit Blick auf die Rennbahn den Honig zu genießen, der von unseren eigenen Bienen hergestellt wird!“, sagt Stefan Kohlhase, der Hoteldirektor. Es ist ein Konzept, das viele Hotels der Atlantic-Kette verfolgen. Der Website des Bremer Hotels zufolge gibt es etwa auch Bienenvölker in Atlantic-Hotels in Bremerhaven, Travemünde und Kiel. Auch das Atlantic-Hotel am Flughafen beschäftigt einen Imker für die auf dem Grundstück untergebrachten Bienenkästen.

Marten Carstensen stattet den Bienen im Sommer wöchentlich einen Besuch ab. Er überprüft, ob die Beuten beschädigt sind, ob noch genug Nahrung für die Bienen vorhanden ist und ob Anzeichen für Krankheiten vorliegen. In den kalten Monaten schaut er bloß alle drei Wochen vorbei, um die Kästen auf äußerliche Beschädigung zu überprüfen. Geerntet wird der Honig im Juni und Juli. 130 Kilogramm Honig produzierten die kleinen Nutztiere im letzten Jahr, 2020 verspricht sich Marten Carstensen einen noch größeren Ertrag.

Die Motivation der Hotelkette sei laut der Website, Bienen zu Zeiten des Insektensterbens zu schützen, gerade aufgrund ihrer Funktion als Pflanzenbestäuber – und so auch ImkerInnen und ihr Engagement für den Naturschutz zu unterstützen. Doch im direkten Gespräch macht Stefan Kohlhase keinen Hehl daraus, dass es ihm auch darum geht, dem Hotel ein Alleinstellungsmerkmal zu geben, um das Hotelerlebnis für die Gäste zu optimieren: „Die Galopprennbahn und die Bienen gehören einfach zur DNA des Hotels. Die Gäste erinnern sich so ganz anders an ihren besonderen Aufenthalt und kommen gerne wieder!“


Anonyme Hühnerschar: Essen bekommt bei Marten Carstensen keine Namen

Wenn Carstensen und Kohlhase zusammensitzen, trifft Outdoor-Funktionskleidung auf schicken Businessanzug. Sie duzen sich, machen Späße. Letztendlich haben sie ein gemeinsames Ziel: Es soll den Bienen gut gehen. Im Gespräch berichtet der Hotelmanager über die anstehenden Veränderungen des Vorgartens: Während ein großer Teil der Gartengewächse radikal gekürzt werden soll, möchte das Hotel einen Teil der Wiesen nicht abmähen und Hecken stehen lassen. „Super“, sagt Marten Carstensen. Das biete nicht nur eine ideale Nahrungsquelle für seine Honigbienen, sondern auch ein gutes Habitat für die vom Insektensterben bedrohte Wildbiene.

Bei einem zweiten Treffen steht Marten Carstensen wieder auf einer Wiese, in seinem Garten. Auch hier finden sich mehrere Bienenkästen und daneben ein großer umzäunter Bereich, in dem Hühner schnatternd herumpicken. 24 Tiere sind es insgesamt, Marten Carstensen schlachtet sie eigenhändig, er sei da nicht so empfindlich, sagt er. Einen Namen hätten sie nicht, stellt er klar und lacht: „Essen kriegt keinen Namen, da bin ich nicht der Typ für!“ Das Fleisch, die Eier sowie den Honig verkauft er an KollegInnen, NachbarInnen und in einem Hofladen. Er ist gut vernetzt mit anderen NaturliebhaberInnen aus dem Bremer Umland. Milch kauft er nicht im Tetra Pak beim Supermarkt, sondern holt sie bei einem Bauern aus der Nachbarschaft, frisch von der Kuh sozusagen.

Text: Helene Bode
Fotos: Norbert Schmacke