Alle Artikel mit dem Schlagwort: Straßenverkäufer

Verkäufer:innen im Rampenlicht: Colin

BIG ISSUE NORTH, Nordengland: Seit sechs Jahren verkauft Colin die Straßenzeitung „The Big Issue North“ in Manchester. Er ist ziemlich bekannt, was nicht zuletzt an den regelmäßigen Posts über seinen Alltag liegt, die auf der Facebook-Seite der Straßenzeitung geteilt werden. Mit Christian Lisseman spricht er über einen lokalen Film, bei dem er den Anführer einer Gang gespielt hat, wie er wieder Kontakt mit seinem Vater aufgenommen hat und wie Big Issue North ihm dabei auf geholfen hat, wieder auf die Beine zu kommen. Warum verkaufst du das Magazin? Ich wurde obdachlos aufgrund von Familienproblemen. Seit dem Teenageralter war ich immer wieder obdachlos. Ich habe in Hostels geschlafen, aber auch auf der Straße. Ich habe 2009 angefangen, Big Issue North zu verkaufen. Zu der Zeit habe ich auf der Straße geschlafen und kam auf die Idee, mir mit dem Verkauf der Zeitung ein bisschen Geld dazu zu verdienen. Hast du Familie? Ja, habe ich. Vor einigen Jahren habe ich in einem Hostel der Heilsarmee gelebt. Dort habe ich eine Weihnachtskarte bekommen mit einem Brief darin – …

Ein Schnack mit Stefan

#31 WESTERDEICH – Über einen Umweg kam er zur Bildhauerei, durch einen guten Freund zur Zeitschrift der Straße Ich bin in Tenever aufgewachsen, zusammen mit meiner Schwester. Als ich elf Jahre alt war, ist unsere Mutter abgehauen und hat den Kontakt zur Familie abgebrochen. Zwei Jahre später ist dann unser Vater gestorben. Meine Schwester und ich wohnten erst für ein halbes Jahr bei unseren Großeltern, danach ein Jahr bei einer Pflegefamilie. Aber das war nur für den Übergang, bis wir einen Platz im Heim bekamen: in Alten Eichen in Huchting. Dort habe ich mit acht anderen Jugendlichen in einer Wohngruppe gelebt. Nach der Schule habe ich als Lagerist gearbeitet, über eine Zeitarbeitsfirma. Ich hatte immer nur kurze Verträge, die brauchten halt nur neue Leute, wenn dort besonders viel los war. Nach einem Jahr habe ich damit aufgehört. Was ich dann gemacht habe? Ich habe Dinge verkauft, von denen ich lieber die Finger gelassen hätte. War keine gute Idee. Nach einiger Zeit haben sie mich erwischt. Das war’s dann. Im Gefängnis hab ich in der Bildhauerwerkstatt …

Krise

Zurzeit läuft so einiges schief bei mir: Ich wurde angegriffen, meine Wohnung macht mich fertig und es gibt immer häufiger Streit um Verkaufsstandorte. Am Edeka am Dobben kam neulich ein Mann, den ich nur flüchtig kannte, auf mich zugestürmt und prügelte auf mich ein. Einige Kunden haben mir geholfen, den Kerl abzudrängen und zu vertreiben. Mir ist zum Glück nicht viel passiert, aber was macht so ein Vorfall denn für einen Eindruck auf die Kunden und Mitarbeiter des Supermarkts? Ich bin jedenfalls heilfroh, dass ich weiter dort stehen und verkaufen darf. Komm ich dann aber nach Hause, geht meine Stimmung in den Keller. Ich muss aus dieser Wohnung raus. Das habe ich schon häufig gesagt, aber jetzt ist wirklich Schluss. Es geht dabei gar nicht um die Wohnung an sich – die ist ganz Ordnung. Aber es ist der schlechte „Geist“, der mich fertig macht. Ich bin in der Wohnung schließlich rückfällig geworden. Und das zieht mich immer wieder runter. Ich werde die Wohnung jetzt kündigen und zur Not auch wieder im Papageienhaus oder einer …

Damit Sie rot sehen

Die Verkäufer:innen der Zeitschrift der Straße erhalten ein neues rotes Outfit. Sie können mit Ihrer Spende helfen Sehen ist der Ausgangspunkt vieler Beiträge in der Zeitschrift der Straße, denn es sind Beobachtungen auf der Straße, die die Autor:innen zu ihren Texten inspirieren. Für unsere Verkäufer:innen dagegen ist Gesehenwerden wichtig. Es ist die Voraussetzung für Kund:innenkontakte, Erfolgserlebnisse und ihren Verdienst. Damit die Verkäufer:innen künftig noch besser zu erkennen sind, erhalten sie demnächst ein neues Outfit. Mit einer roten Schirmmütze wird jeder ausgestattet, der die Zeitschrift der Straße verkauft. Eine rote Weste und eine schwarze Umhängetasche gibt es für diejenigen, die schon länger dabei sind, regelmäßig verkaufen und gezeigt haben, dass sie es ernst meinen. Liebe:r Leser:in, trotz der vielen beteiligten Studierenden und freiwillig Engagierten kosten Herstellung und Vertrieb der Zeitschrift der Straße viel Geld. Wir erhalten keine öffentlichen Mittel und haben keine großen Sponsoren im Rücken. Um Menschen in Not zu helfen, sich selbst zu helfen, brauchen wir Ihre Unterstützung. Sie können dazu beitragen, dass unsere Verkäufer:innen noch besser gesehen werden. Bitte spenden Sie (z.B. über …

Drive-by am Delmemarkt

Vor einigen Wochen hatte ich ein super Erlebnis: Ich stand am Delmemarkt in der Neustadt vorm Rewe, da rief mich eine Frau aus ihrem Auto zu sich und bat mich, ihr die Zeitung zu verkaufen. Ein richtiger Drive-by, das war witzig. Selbst der Marktinhaber, der das zufällig mitbekommen hat, hat sich kaputt gelacht. Solche Momente sind es, die das Verkaufen so nett machen. Es passiert einfach immer etwas, das man nicht erwartet hätte. Außerdem zeigen mit meine Kunden, dass es ihnen Spass macht, bei mir zu kaufen. Manche bestellen sogar ältere Ausgaben und holen sie dann einige Tage später bei mir ab. Das ist doch mal ein Servcie, oder? Es ist auch schön zu sehen, dass sich die neuen Ausgaben recht gut verkaufen. Das hatte ich gehofft. Mir gefällt es auch, dass es jetzt ein Bild gibt auf dem Cover – auch wenn man natürlich diskutieren kann, ob man das jeweilige Foto nun gut findet oder nicht. Die vergangenen Tage konnte ich leider nicht verkaufen. Ich war ich im Krankenhaus, wieder wegen meines entzündeten Fußes. …

Das Ende vom Lied

Mein Highlight der vergangenen Tage war der Auftritt bei der Release-Party der Februar-Ausgabe unserer Zeitschrift der Straße. Da war ich wieder mal Heini Holtbeen, hab vor den Gästen eine kleine Rede gehalten. Das kann ich, so was ist einfach mein Ding. Ansonsten ging es mir in der vergangenen Woche nicht so gut, ich hab meinen Fuß entzündet, musste Antibiotika nehmen und bin trotz der Kälte nur mit Sandalen gelaufen. Tagelang konnte ich deswegen nicht verkaufen. Das ist richtig blöd, denn wenn ich verkaufe, läuft es oft sehr gut. Manchmal schaffe ich es, in zwei Stunden ein knappes Dutzend Hefte an den Mann und die Frau zu bringen. Am Montag dann aber hatte ich einen ganz schwarzen Tag: Da bin ich mit einer anderen Verkäuferin aneinander geraten. Wir haben uns darum gestritten, wer an einem bestimmten Platz stehen darf. Sogar die Polizei kam. Das Ende vom Lied: Keiner von uns durfte an dem Tag noch dort verkaufen. Das war schon eine gute Entscheidung, ich hab mir das ja auch zum Teil selbst zuzuschreiben. Ich hab es …

Läuft bei mir

Es ist gut drei Wochen her, es regnete heftig und ich hatte wie immer keinen Schirm dabei. War zu knapp bei Kasse einen zu kaufen, und solange es trocken ist, denkt man ja auch nicht dran. Als ich an der Wilhelm-Kaisen-Brücke über die Kreuzung ging, fiel – zack – nicht weit von mir ein Schirm auf die Straße. Ich fragte eine Radfahrerin, ob das ihrer wäre. Nein, sagte sie, der sei wohl vom Himmel gefallen. Nun ja, vielleicht ist er auch aus einem Auto herausgefallen, oder jemand hat ihn vonm Balkon geschmissen. Mir jedenfalls kam er sehr zupass, und obendrein war er lila, meine Lieblingsfarbe. Einen Schirm hatte ich nun, was noch fehlte war eine Lesebrille. Meine alte war vor Wochen zerbrochen und nun sogar ganz weg. Einige Tage später, ich stehe vorm Edeka am Dobben und verkaufe. Drei Jugendliche, eher finstere Typen im Gangstyle, kommen auf mich zu, einer streckt den Arm raus und hält mir, ohne ein Wort, eine Brille hin und geht weiter. Die Brille passt und hat sogar in etwa die …