Ausgabe

#66 AM DOBBEN

EDITORIAL: Momente des Glücks

Die guten, anrührenden Geschichten sind ja eher selten, wenn es um Menschen geht, die auf der Straße leben. Aber es gibt diese Geschichten! Zum Beispiel diese hier, die in der Pappelstraße spielt, der wir vergangenes Jahr auch ein Heft gewidmet haben: Ein Verkäufer der Zeitschrift der Straße „hüpfte“ dort vor dem Supermarkt „fröhlich auf und ab und meinte, er freue sich so sehr“, erzählt uns eine Leserin. „Einen Tag zuvor habe ihn eine Frau angesprochen und nach seiner Schuhgröße gefragt. Gestern sei sie wieder vorbeigekommen und habe ihm einen Schuhkarton mit nagelneuen, warm gefütterten Winterstiefeln überreicht. Zum ersten Mal seit langer Zeit habe er nun richtig warme Füße. Dabei lachte er über das ganze Gesicht.“ Sie sei „ganz beseelt“ gewesen „von dem Gefühl, dass es so viel Mitmenschlichkeit in unserer Stadt gibt“, sagt die Leserin. Wir auch!

Damit kommen wir fast nahtlos zu einer Religionsgemeinschaft, die wie diese Ausgabe am Dobben beheimatet ist – die „Christliche Wissenschaft“. Wer auch schon immer mal wissen wollte, wer und was sich dahinter eigentlich verbirgt: Wir haben uns das mal näher angeguckt (Seite 16). Außerdem waren wir in einem Pflegeheim, in dem Menschen alt werden dürfen, die aus besonderen Lebenslagen kommen und kein Geld für die Seniorenresidenzen dieser Welt haben (Seite 8). Und in einem Reisebüro, das nun eher ein Kulturzentrum geworden ist, nachdem das Internet ihm das Leben schwer gemacht hat (Seite 12). Auch für die Schwulenbar „Bronx“ hat die Netzkultur immense Folgen (Seite 26).

Damit sind wir nun wieder beim Wetter: Wie es ist, im Hagel als Radkurier zu arbeiten, im Winter? Wir haben es ausprobiert (Seite 22). Und: Auch da gibt es überraschende Momente des Glücks.

Viel Vergnügen beim Lesen wünschen Jan Zier, Philipp Jarke
und das ganze Team der Zeitschrift der Straße

Aus dem Inhalt:

08 Leben auf einem anderen Stern

Im „Haus am Dobben“ werden obdachlose und suchtkranke Menschen alt. Ein Besuch

12 Ein Geschäft für Freunde

Özer Yildiz führt am Dobben ein kleines Reisebüro mit angeschlossenem Kulturclub. Oder andersrum?

16 Das Gesetz der Heilung

„Christliche Wissenschaft“ nennt sich eine Religionsgemeinschaft, deren Mitglieder meinen, dass ihr Glaube Krankheiten besiegen kann

22 Urinkatheter, Kündigungen und Zigaretten

Daniel und Tobi sind als Radkuriere schlecht bezahlt, bei jedem Wetter unterwegs und trotzdem zufrieden. Wir waren mit ihnen auf Tour

26 „Das Geld ist nicht mehr da“ (online lesen)

Heinz Hug betreibt seit 25 Jahren die Schwulenbar „Bronx“. Ein Gespräch über alte Zeiten, neue Moden und den Darkroom