Autor: Michael Vogel

#56 Güterbahnhof

Hintergrundfoto: Brandon Giesbrecht/flickr.com EDITORIAL: Von Bahnen und Burgen Wenn Sie schon einmal mit dem Zug nach Bremen gefahren sind, sagen wir, aus Oldenburg, haben Sie sie bestimmt auch schon mal gesehen. Die Obdachlosen, die am alten Bahnsteig des Güterbahnhofs wohnen. Und sich gefragt, wer diese Menschen wohl sind und warum sie ausgerechnet hier wohnen. Wir haben sie besucht und ein paar von ihnen näher kennengelernt, vor allem Wolle, der Ihnen schon auf dem Titelbild begegnet ist. Alles Weitere lesen Sie dann ab Seite 8. Früher wäre einer wie Wolle noch nebenan im Papageienhaus untergekommen, aber das steht ja jetzt auch schon gut zwei Jahre leer – seit man, nicht zu Unrecht, von der zentralen Unterbringung von suchtkranken und wohnungslosen Menschen abgekommen ist. Was aus dem Haus jetzt wird? Rote und Grüne haben da verschiedene, widerstreitende Ideen (Seite 24). Eine von ihnen hat mit Künstler:innen zu tun, naheliegenderweise, denn davon gibt es hier am Güterbahnhof ja eine ganze Menge. Meistens arbeiten sie hier im Verborgenen, in ihren Ateliers, aber ein paar von ihnen durften wir dort …

WOLLE, BABY UND OPA

#56 GÜTERBAHNHOF: Wer das Nachtlager der Obdachlosen am Güterbahnhof besucht, trifft dort auf viele Geschichten. Nicht jeder hier nimmt Hilfe in Anspruch Wenn „Baby“ vom Nachtlager der Obdachlosen am Güterbahnhof spricht, wird er sentimental. „Es ist eine Gemeinschaft“ sagt er. „Am Tag passt immer jemand auf deine Sachen auf.“ Und alle achten sie auf die Arzt- und Ämtertermine der anderen, sagt Baby. Er hat den seinen heute trotzdem verpasst. Stattdessen sitzt er jetzt, wie immer morgens um zehn, mit einem Kaffee bei den Streetworkern der Inneren Mission, vor dem Hauptbahnhof. Es ist beißend kalt. Baby, – mittlerweile Anfang 40 – kleckert wieder und wieder auf seine schwarze Hose, ärgert sich, um im nächsten Moment wieder neckisch zu grinsen. Und einen seiner Freunde aufzuziehen. Zwei Jahre lebte Baby am Güterbahnhof, zwei Mal fiel er ins Koma. Mittlerweile sitzt er im Rollstuhl. Er braucht eine Hüft-Operation, doch wegen einer starken Entzündung im Körper wollen ihn die Ärzte nicht operieren. „Sie haben gesagt, er soll sich auskurieren und haben ihn einfach wieder auf Straße gesetzt“, erzählt der Streetworker …

VON LERNPROJEKT ZU LERNPROJEKT

Nachdem sie in der Zeitschrift der Straße von der Reihersiedlung gelesen hatten, entwickelten Studierende aus Oldenburg eigene Konzepte für die Schlichtbauten Viele Menschen machen sich derzeit Gedanken über die Zukunft der Reihersiedlung, einem Ensemble von Schlichtbauten in Bremen-Oslebshausen. Nur die Vonovia nicht so richtig – der sie aber gehören. Nachdem die Zeitschrift der Straße der Reihersiedlung im vergangenen April eine eigene Ausgabe gewidmet hatte, haben nun zehn studentische Teams der Jade-Hochschule aus Oldenburg städtebauliche Entwürfe zur Zukunft der Siedlung entwickelt: ein Lernprojekt bringt ein Lernprojekt hervor. Die Ergebnisse sind bis Ende Februar in der Stadtteilbibliothek West in Gröpelingen zu sehen. „Es geht nicht darum, Lösungen zu finden“, sagt Hartmut Stechow, Professor für Städtebau an der Jade-Hochschule, der für seine Studierenden einen professionellen Wettbewerb mit Fachjury und Geldpreisen organisiert hatte. Er will Ideen für soziale Stadtentwicklung ausarbeiten. In der Reihersiedlung gab es ursprünglich 52 Wohnungen, doch ein Großteil steht mittlerweile leer. Wer hier noch in einem der Häuschen lebt, hat noch einen Holzofen, dafür zahlt er für knapp 40 Quadratmeter aber auch nur 170 Euro Kaltmiete. …

WEHE, WENN ICH WIRKLICH MAL GEWINNE

#55 PAPPELSTRASSE: Die Pappelstraße ist ein Hotspot des Glücksspiels. Und die Branche lebt gut von der Sucht. Eine Annäherung im Selbstversuch Samstagnacht, Tequila-Bar, Werder hat gewonnen. Durch Schwaden von Nikotin, an vielen Menschen vorbei, fällt mein Blick auf diese lachende Sonne. Sie zwinkert mich an. Die Animation wechselt, „Eye of Horus“ leuchtet in goldener Schrift. Ich habe einige Bier intus, dazu einen Jägermeister; meine Freunde sind schon gegangen. Ich denke an mein Portemonnaie, versuche, mich an das Kleingeld zu erinnern. Zwei Euro waren es, vielleicht drei. In Gedanken habe ich die Münzen schon in meinen Fingern, sehe meine Hand zum Einwurf wandern. Woher kommt dieses Verlangen, diese unheimliche Anziehungskraft der Glücksspielautomaten? Münze um Münze, Schein um Schein frisst der Automat das Geld – um einige, wenige Glücksmomente zu erschaffen. Dutzende dieser Maschinen finden sich an der Pappelstraße, verborgen in Räumen, die weder Nacht noch Tag kennen. Spielotheken haben weder Fenster noch Uhren und Getränke gibt es frei Haus. Es läuft keine Musik, nicht einmal Radio. Das Klimpern der Automaten kreiert eine ganz eigene Melodie. Auch …

#55 Pappelstrasse

Foto: Wikimedia/Ludwig Sebastian Micheler EDITORIAL: Von Spielern und Bunkern Wir stellen uns ja sonst nicht so gerne in den Mittelpunkt, aber jetzt müssen wir es doch ganz schnell loswerden: Wir haben Geburtstag! Im Februar 2011 erschien die erste Ausgabe der Zeitschrift der Straße. In der Zwischenzeit wären wir gleich zweimal fast am Ende gewesen, sind nun mit sieben Jahren aber aus dem Gröbsten raus. Und so haben wir auch schon ein Geschenk bekommen: einen Preis, der uns ganz offiziell zu „Alltagshelden“ ernannte. Was es damit genau auf sich hat, lesen Sie ab Seite 28. Nun wollen wir aber wieder über andere reden! Von den Chines:innen etwa, die sich in Sichtweite der Pappelstraße treffen, in der Po Shin Tao Teh Association. Sie haben uns zum Essen eingeladen und in das Innere ihres Tempels vorgelassen, wovon wir ab Seite 24 berichten. Ebenfalls lieber fernab der Öffentlichkeit agieren die Spieler:innen, die in den diversen, hier beheimateten Spielotheken ihr Glück suchen. Bei der mühsamen Recherche gerieten wir am Ende auch selbst in Versuchung: Seite 8. Natürlich ist uns auch …

#54 Linie 1

Hintergrundfoto: Sølve N.T. Lauvås EDITORIAL: In Betten und Kirchen Manchmal geben wir unser Heft aus der Hand – und dann passiert so was: Die Zeitschrift der Straße fährt mit der Straßenbahn durch die Stadt. Aus Huchting über die Neustadt rein ins Zentrum, von dort durch Schwachhausen in die Vahr, raus nach Tenever und von dort weiter bis zum Mahndorfer Bahnhof, wo Bremen schließlich wieder zu Ende ist. Die Idee dazu kommt von Benjamin Eichler, der sich schon länger für die Zeitschrift der Straße engagiert als die beiden Redaktionsleiter. Und weil der Immer-noch-Student vor allem ein Fotograf ist, hat diese – seine – Ausgabe auch viel mehr Fotos, als Sie das sonst von unserem Magazin gewohnt sind. Dafür können Sie mit ihm zusammen in anderer Leute Betten gucken, gleich morgens um acht (Seite 8). Und warten! Nein, vielmehr: diesen ja eher ungeliebten Zustand erkunden und ein paar Menschen treffen, die an den Haltestellen der Linie 1 stehen, bis die Tram kommt (Seite 10). Die wenigsten von ihnen wollen in die Kirche, dabei bietet sich genau das …

Deutscher Bürgerpreis 2017 – ZdS gewinnt Bundeswettbewerb!

Die Zeitschrift der Straße hat am 15. November in Berlin den Deutschen Bürgerpreis 2017 verliehen bekommen, die höchste Auszeichnung in Deutschland für ehrenamtlich engagierte Organisationen! Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und ex-Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth gratulierten.   Hatten wir etwas Ähnliches nicht schon im Oktober gepostet? Nicht ganz, denn da hatten wir den Bremer Regionalwettbewerb gewonnen und uns damit für den Bundeswettbewerb qualifiziert. Dessen Jury hat uns nun nach ganz oben aufs Siegertreppchen geschickt und der Zeitschrift der Straße ein Preisgeld von 5000 Euro mit auf den Weg gegeben. Rund 900 Gäste und Pressevertreter waren in den prachtvoll dekorierten und ausgeleuchteten Innenhof des ZDF- (nicht ZdS) Hauptstadtstudios gekommen, um der Preisverleihung beizuwohnen. Mitorganisatoren des Deutschen Bürgerpreises sind neben den Sparkassen auch der Deutsche Städtetag und engagierte Bundestagsabgeordnete. Unter den Gästen waren auch viele VertreterInnen der Zivilgesellschaft. Entsprechend vielfältig war das Publikum. Unsere Bremer Delegation bestand aus Petra Kettler (Vertriebskoordinatorin), Philipp Jarke (Chefredakteur) und Michael Vogel (Initiator und Leiter). Zusammen mit den anderen Nominierten saßen wir direkt vor der Bühne und konnten das Geschehen aus nächster Nähe beobachten. Für …

„AUFKLÄRUNG IST FAST SCHON EIN SCHIMPFWORT“

#53 DOM: Früher war Horst Isola Landesvorsitzender der SPD, heute kämpft er für die Trennung von Staat und Kirche. Ein Gespräch über Lobbyismus, Auschwitz, die Sozialdemokratie und 20 Schläge Haben Sie eine Mission, Herr Isola? Mission wäre zu hoch gegriffen, aber ich habe politische Auffassungen und Grundsätze. Eine davon ist die Trennung von Kirche und Staat. Geht es Ihnen nur ums Prinzip, oder was ist das Problem? Religion ist Privatsache! Jede:r kann glauben, was er oder sie will. Das ist geschützt durch das Grundgesetz. Für mich ist es aber ein Prinzip der Demokratie, dass sich die Kirchen aus der Politik heraushalten. Wer sich auf ein nicht kontrollierbares höheres Wesen beruft, unterläuft die Demokratie. Was mich weiter stört, ist die Privilegierung der Kirchen mit Steuergeldern in Milliardenhöhe. Was Sie also stört, ist die Bevorzugung der Kirche und nicht ihre Inhalte. Ich bin Atheist. Was soll ich da zu den Inhalten der Kirche und deren Religion sagen, die gehen mich nichts an. Das Problem ist die fehlende Trennung zwischen Religion und Politik. Es gibt eine Reihe von …

#53 Dom

Hintergrundfoto: Micha/flickr.com EDITORIAL: Von Aufklärung und Widerstand So recht kann er sich nicht mehr erinnern, wann er zuletzt im Dom war – zum Beten jedenfalls ist Horst Isola nicht gekommen, er hat es nicht so mit dem lieben Gott. Für uns war der SPD-Politiker dann aber doch mal wieder drin, nach einem langen Gespräch über die Trennung von Staat und Kirche (Seite 20). Er hat dazu eine klare Haltung, aber eine, die auch in den eigenen Reihen eher unpopulär ist. Überhaupt haben wir mit vielen Menschen in der ganzen Stadt über den Dom gesprochen, und ihn aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet, wie schon auf dem Titel zu sehen ist; weiter geht es auf Seite 14. Gleich neben dem Dom, im Bibelgarten, sind im Sommer neuerdings Bienenvölker zu Gast. Ob das geht, so mitten in der Stadt, und ob das mehr ist als nur ein Trend, den man heutzutage „urban beekeeping“ nennt, haben wir zum Ende der Saison den Imker Heiner Lenz gefragt (Seite 12). Und wenn Sie schon mal an einem Montag vor dem Dom standen, …

Deutscher Bürgerpreis 2017 für die ZdS!

Die Zeitschrift der Straße hat am 23. Oktober im Bremer Regionalwettbewerb den Deutschen Bürgerpreis 2017 gewonnen! Den Preis nahm Michael Vogel als Initiator der Zeitschrift stellvertretend für ihre vielen Engagierten entgegen. Die Auszeichnung ist mit einer Spende der Sparkasse Bremen über 3500 Euro verbunden. Der Deutsche Bürgerpreis ist der wichtigste deutsche Preis für ehrenamtliches Engagement mit über 2300 Bewerbungen allein in diesem Jahr. Auf den Wettbewerb auf regionaler Ebene, den wir nun gewonnen haben, folgt der Bundeswettbewerb. Er endet am 15. November mit der Preisverleihung in Berlin. Haben wir auch national eine Chance? Sieht ganz danach aus. Denn auf der Website des Deutschen Bürgerpreises wird die Zeitschrift der Straße in der Kategorie „Alltagshelden“ bereits als eine von nur drei nominierten Kandidaten geführt! Drückt uns fest die Daumen, dann wird’s was.