EDITORIAL: VON VORURTEILEN UND HAUSBESUCHEN
Die Frau hat mich noch nie gesehen, bittet mich aber gleich zu sich herein. „Es ist doch kalt draußen“, sagt sie – und schon kocht sie einen Pott Kaffee für mich, während ich in ihrer warmen Stube sitze. Nein, mit der Presse will sie nicht so gern sprechen, obwohl sie mir viel zu erzählen hat – aber das Leben hat ihr viel Grund gegeben zu misstrauen. Drei Mal sei sie schon geflohen, erzählt sie. Dennoch empfängt sie mich offen und warmherzig.
Wenn in der Politik und bei Wohnungsbaukonzernen von der Reihersiedlung die Rede ist, dann wird oft über, aber selten mit den BewohnerInnen dieser Schlichtbauten geredet (Seite 8). Und: Ja, auch wir haben Berührungsängste. Aber wir haben uns aufgemacht und waren bei Michaela (Seite 12) und Mücke (Seite 14), bei Günter und Heiko (Seite 20), haben Dieter getroffen (Seite 22) und auch allerlei Haustiere gestreichelt (Seite 16). Und wir waren bei den NachbarInnen aus der Reiherstraße, um mit jenen zu reden, die allerlei Vorurteile pflegen und damit Politik machen – aber auch um weltoffene Menschen zu treffen (Seite 24). Apropos Politik: Bei Joachim „Barlo“ Barloschky waren wir natürlich auch, dem engagierten Sprecher des Bündnisses „Menschenrecht auf Wohnen“. Was er uns dazu zu sagen hat, lesen Sie ab Seite 26.
Viel Vergnügen wünschen Jan Zier, Philipp Jarke
und das ganze Team der Zeitschrift der Straße
Aus dem Inhalt
08 VOM ABRISS BEDROHT
Drei Siedlungen mit Schlichtwohnungen gibt es in Bremen. Mindestens zwei werden bald verschwinden
12 „ICH WOHNE IMMER NOCH GERN HIER“
Arm, aber unabhängig: das Leben von Michaela
14 „EINE HUNDEHÜTTE, IN DER ICH GEDULDET BIN“
Ein Gespräch mit „Mücke“ über Rottweiler, Alternativen und die AfD
16 MENSCH UND TIER
Fotostrecke
20 „EIN GARTEN SCHÖNER ALS DER ANDERE“
Ein Vormittag mit Heiko und Günter, die von besseren Zeiten der Reihersiedlung erzählen
22 „DIE REDEN ÜBERHAUPT NICHT MIT UNS“
Ein Treffen mit Dieter, der seit 1986 hier wohnt
24 „HOL SIE DOCH IN DEINEN GARTEN“
Viele Anwohner wollen, dass die Reihersiedlung abgerissen wird. Eine Familie hält dagegen
26 „ICH BIN AUCH FÜR RADIKALERE MASSNAHMEN OFFEN“ (online lesen)
Joachim Barloschky über Schlichtwohnungen, Hausbesetzungen und die Ohnmacht der Bremer Politik
30 VERKÄUFERREGELN
Hintergrundfoto: Maret Hosemann/flickr.com