Alle Artikel mit dem Schlagwort: Bremen

#110 SOMMERDEICH

EDITORIAL: Urbanes Grün Liebe Leser:innen, es wirkt ein bisschen unentschlossen, dieses erstaunlich weitläufige Areal hinter dem Weserstadion. Als wüsste der breite Streifen Grün selbst nicht immer ganz genau, was er da zwischen Fluss und Stadt eigentlich sein möchte: Ein Park? Ein Schrebergartengebiet? Oder doch eher Spiel- oder Sportplatz? Bereits der Straßenname auf dem Titel dieser Zeitschrift – Sommerdeich – verrät noch eine weitere Eigenschaft der umliegenden „Pauliner Marsch“. Aus stadtplanerischer Sicht ist sie nämlich zunächst mal vor allem ein Überschwemmungsgebiet. Was das für die zahlreichen Nutzer:innen des Geländes bedeutet, haben wir uns gefragt (S. 20) und einige davon bei dieser Gelegenheit auch gleich etwas besser kennengelernt. Da wären zum Beispiel die ehemaligen Besetzer:innen des Alten Sportamts, die inzwischen einen Verein gegründet und einen auf Dauer ausgelegten Nutzungsvertrag mit der Stadt ausgehandelt haben (S. 22). Auch mit den jungen Menschen, die das Gelände nachts für Freiluft-Partys nutzen, haben wir gesprochen (S. 12) – und irgendwie erlebt haben wir auch die wohl einzigen richtigen Vollzeitbewohner:innen der Straße: die Esel, Ziegen und Pferde vom Sportgarten (S. 14). Insgesamt …

#109 SEEHAUSER LANDSTRASSE

EDITORIAL: Frische Landluft Liebe Leser:innen, ein Sonntagnachmittag in der Seehauser Landstraße: Zwei kleine Pferdchen ziehen flink und schnaubend eine Kutsche. Wenige Minuten später bimmelt es: Der Eiswagen kommt und fährt gemächlich durch die Straße, immerzu die Glocke schlagend. Vorbei an der winzigen Schule, deren Leitung es mit viel Engagement geschafft hat, dass sie nicht nur erhalten bleibt, sondern sogar saniert wird (S. 10). Der Eiswagen lässt auch das große weiße Schild rechts liegen, das den Weg zur „Stadtmitte“ weist – bis dahin aber ist es ein weiter Weg. Der führt vorbei am gigantischen Güterverkehrszentrum (GVZ), das ein Taktgeber und unverzichtbarer Knotenpunkt für die Versorgung ebenjener Großstadt ist, die so sonderbar weit weg scheint. Hier nun gibt es alte Bauernkaten und neuere Reihenhäuser. Hier wohnt auch Schäfer Dennis Mahlstedt, der mit seinen Tieren die Deiche pflegt und mitunter sich manchmal über Besuch aus der Stadt ärgern muss (Seite 20), die mit dem Fahrrad einen Ausflug machen – hierher, in die kleine, stille Oase, umgeben von Industrie. Auf den Feldern vor dem GVZ grasen die Pferde, am …

#108 OEWERWEG

EDITORIAL: Im wilden Osten Liebe Leser:innen, Wohnstraßen wie der Oewerweg sind für uns immer eine besondere Herausforderung. Meist fehlen die großen Institutionen, deren Türschilder und Internetseiten ihre Geschichten schon von sich aus in die Öffentlichkeit tragen. Manchmal hat man trotzdem Glück, kommt über den Gartenzaun ins Gespräch und kennt nach einem Nachmittag die halbe Nachbarschaft beim Vornamen. Und manchmal nicht. Im Oewerweg in Osterholz stimmt irgendwie beides. Beim ersten Besuch, an einem trüben Vormittag, hat es Redaktionsleiter Paul geschafft, die immerhin 1,3 Kilometer der Straße abzulaufen, ohne dabei auch nur einem einzigen Menschen zu begegnen: nicht zu Fuß, nicht auf dem Fahrrad, nicht im Auto – nicht mal im Garten. Aber später haben wir durchaus noch einige spannende Kontakte geknüpft und hier im Bremer Osten ein Quartier kennengelernt, das doch sehr viel mehr zu bieten hat, als die langen Reihen aus Einfamilienhäusern auf den ersten Blick vermuten lassen. Mitnehmen möchten wir Sie zum Beispiel in die WG der Lebenshilfe (S. 12), die im Sommer 40 wird und sogar noch mehr zu feiern hat als diesen …

#107 HAFENSTRASSE

EDITORIAL: Der andere Hafen, der große! Liebe Leser:innen, nein, wir waren diesmal nicht in Walle und auch nicht in Vegesack – auch wenn die Richtung schon ganz richtig ist. Es gibt nämlich noch eine dritte Hafenstraße im Land: die ganz große in Bremerhaven. Es ist aber kein Wunder, wenn Sie da durcheinander gekommen sein sollten. Die Zeitschrift der Straße ist ja tatsächlich eher selten zu Besuch in Bremens kleiner Schwester. Eine Premiere ist es aber nicht! Schon im April 2011 haben wir nämlich unsere dritte Ausgabe der Alten Bürger gewidmet: Bremerhavens Szeneviertel. Das ist mehr als zehn Jahre her. Dass wir es jetzt nochmal versuchen, ist ein Experiment – für das Publikum wie für die Redaktion. Die musste nämlich erst einmal auf Reisen gehen, auf „Klassenfahrt“ sozusagen, und sich mit der ungewohnten Umgebung vertraut machen. Wir sind gespannt, ob Sie genauso viel Freude an dem Ausflug haben wie wir. Und wer weiß: Vielleicht bekommen Sie ja nach der Lektüre selbst Lust, ans Meer zu fahren und zum Beispiel Willie Kimbroughs berühmte Hot Dogs zu probieren, …

DER LETZTE MACHT DAS LICHT AUS

#104 LEERSTAND – Völlig klar: Jede Ausgabe der Zeitschrift der Straße ist eine besondere Ausgabe. Und trotzdem haben wir mit der #104 etwas besonderes versucht – auch für unsere Verhält­nisse. Wir haben uns mit dem „Leerstand“ beschäftigt: einem Phä­nomen, über das zur Zeit viel gesprochen, geklagt und gegrübelt wird. Die meist fotografischen Beiträge in unserem Heft sind dabei ganz unter­schied­lichsten Leerständen gewidmet: Wohnungen, Schu­len, Fabriken und Büros. Auf eine zunächst eher ungewöhlich wirkende Variante wollen wir hier einen zweiten Blick werfen. Auf Kirchen nämlich, von denen nicht nur im übertragenden Sinne immer mehr leer stehen. Dabei ist der Mitgliederschwund christlicher Kirchen gar kein Geheim­nis. Die regelmäßig veröffentlichten Austrittszahlen steigen Jahr für Jahr. Das illustriert einen Bedeutungswandel der Institution Kirche für die Gesellschaft – schlägt sich zunehmend aber auch in der Nutzung kirch­licher Immobilien nieder. Seit dem Jahr 2000 wurden in Deutsch­land bereits mehr als 500 katholische Kirchen offiziell entweiht und teils umgenutzt. Eine davon steht in Rönnebeck, im Bremer Nor­den. Sie wurde 1930 eingeweiht und 2019 wieder geschlossen – vom Weih­bischof dem „profanen Gebrauch zurückgegeben“, wie es …

WARNUNG VOR FALSCHER STRASSENZEITSCHRIFT AUF BREMENS STRASSEN

ACHTUNG, ACHTUNG!Uns erreichen Mitteilungen, dass Verkäufer*innen des Magazins Querkopf sich als Verkäufer*innen der Zeitschrift der Straße ausgeben. Die Zeitschrift der Straße distanziert sich von diesem Magazin und allen Personen, die dieses in unserem Namen verkaufen. Unsere Verkäuferinnen und Verkäufer erkennen Sie immer an unseren Verkaufsausweisen und der Zeitschrift der Straße. Auf unseren Zeitschriften im Verkauf auf Bremens Straßen befindet sich immer ein Stempel mit der Verkäufer*innennummer, beides muß zusammen passen, damit Sie sicher seinkönnen, dass es sich um eine*n bei uns registrierte*n Verkäufer*in handelt. Bitte bleiben Sie uns treu. Unterstützen Sie weiter unsere Verkäuferinnen und Verkäufer und das Original Bremens. Wir und viele Menschen, die die Zeitschrift der Straße verkaufen, danken Ihnen! Ihre Zeitschrift der Straße

MISSION: BAGEL

#97 JÜDISCHE GEMEINDE – Zu den Aufgaben von Rabbinern wie Natanael Teitelbaum gehört, die Einhaltung der Regeln in der koscheren Küche zu kontrollieren. Wir begleiten ihn zu Bäckermeister Holger Groth – mitten in der Nacht. Drei Uhr, das ist eine unwirkliche Zeit. Zwischen gestern und morgen, wache ich wie gerädert nach wenigen Stunden Schlaf auf. Zwei Wecker klingeln im Fünf-Minuten-Takt, die Snooze-Taste hat keine Chance. Auf keinen Fall will ich mein Date mit dem Rabbi verpassen: Um Viertel vor vier sind wir verabredet an diesem unwirtlichen Freitagmorgen im April. Überpünktlich stehe ich schließlich in der Kälte vor der Bäckerei am Sielwall, es schneit sachte, in der Ferne grölen Besoffene am Eck, von denen man hofft, sie blieben, wo sie sind. Dann, nach endlosen Minuten in der Kälte, blitzen zwei Scheinwerfer auf, ein Mercedes-Bus nimmt Kurs auf die Bäckerei. „Sie haben ja Arbeitszeiten“, sage ich matt, als Rabbiner Natanel Teitelbaum aus dem Auto steigt. Er lacht freundlich und zuckt mit den Schultern. Was muss, das muss. Die Hintertür steht offen an diesem dunklen Freitagmorgen, wir treten …

KÖCHIN DURCH ZUFALL

#96 KONSUL-SMIDT-STRASSE – Evrim Arslan wollte ein kleines Restaurant, so was wie einen Tante-Emma-Laden ohne viel Stress und Hype. Geklappt hat immerhin das Erstere Im Laden von Evrim Arslan trifft traditionelle türkische Küche auf moderne Einflüsse. So findet man zum Beispiel einen Spinatsalat mit Mandeln und Datteln auf der Karte: eine Kombination, die zwar ungewöhnlich klingt, aber wirklich extrem gut funktioniert. Evrim ist mit ihrem Laden vor gut fünf Jahren in die Konsul-Smidt-Straße gezogen. Wir haben sie dort besucht. Olivenöl, Zitrone, Knoblauch, Kräuter. Das sind die Gerüche, die einem als Erstes in die Nase steigen, wenn man Evrims Laden „Meze by Evrim“ betritt. Die Inneneinrichtung ist, genau wie das Essen, ein Mix aus Tradition und Modernität. Und was den Laden noch einmal besonders abhebt, ist die spezielle Art von Essen: die Meze. Das sind kleine Portionen unterschiedlicher Vorspeisen, vergleichbar mit spanischen Tapas. So kann man sich mittags seinen eigenen Teller aus verschiedenen, regelmäßig wechselnden Meze zusammenstellen und bezahlt dabei nach Anzahl der Portionen. Und: Wer seine eigene Verpackung mitbringt, bekommt eine Meze umsonst. Das kommt …

DIE HALBE STRASSE

#95 BULTHAUPTSTRASSE – Die Firma Fuhrken hat einst die halbe Bulthauptstraße gebaut. Heute saniert sie Altbauten – und öffnet für uns ihr Firmenarchiv Wer mit offenen Augen durch Bremen geht, sieht sie manchmal, die blau-gelben Fuhrken-Lkws: „Bauunternehmung“ steht darauf und: Altbausanierung. Die Firma J. H. Fuhrken ist ein Traditionsbetrieb, seit dem Jahr 1900 besteht die Firma schon, und die kleine, ein bisschen lustige Pointe: Viele der Gebäude, die die Firma jetzt saniert, hat sie früher einmal selbst gebaut. Zeit also für einen Ortsbesuch: Wir sind verabredet mit Urda Blohm-Sudholz, der Großnichte des Firmengründers. Sie öffnet für uns ihr Archiv. Das Geschäftsgelände der Firma Fuhrken befindet sich seit über 50 Jahren an der Stresemannstraße: ein relativ unscheinbares, weißes Industriegebäude in zweiter Reihe und dahinter eine große Halle, in der Baumaterialien gelagert werden. Im Hausflur hängt eine Luftaufnahme, auch schon ein paar Jahrzehnte alt, die das Gelände von oben zeigt: Auf den ersten Blick hat sich dort bis heute nicht viel verändert. In der Nachbarschaft dafür umso mehr: Rund um das Grundstück befanden sich damals hauptsächlich Grünflächen …

FACHHANDEL DER STERNE

#94 BISMARCKSTRASSE – Ein bisschen verwunschen wirkt er ja schon: der Edelsteinladen Kassiopeia. Dabei ging es hier anfangs nur um das Geschäft mit Kaffee aus aussortierten Bohnen Der Name „Kassiopeia“ lässt zunächst an Sternbilder und Mythologie denken. Auch der kleine Laden an der Bismarckstraße hat auf den ersten Blick etwas Magisches an sich, mit seinen dezenten, aber kunstvollen Verzierungen und seiner schweren Holztür. Dabei ging es bei der Gründung 1952 zunächst vor allem um Kaffee, erst später kamen Schmuck und Edelsteine dazu. Begonnen hat die Geschichte in der zwei Kilometer entfernten Weberstraße. Dort gründeten Josef und Ursula John ihre Firma. Auch der Name hatte für Josef John nicht viel mit Magie oder Mystik zu tun. Er war U-Boot-Fahrer im Krieg und hat oft in den nächtlichen Sternenhimmel geblickt. Dabei hat er besonderes Gefallen an dem Sternbild der Kassiopeia gefunden und sich schließlich entschieden, seine Firma nach ihm zu benennen. Auch in der Einrichtung des kleinen Geschäftes lassen sich die maritimen Einflüsse wiederfinden. Der vom Licht der Vitrinen ausgeleuchtete Verkaufsraum ist gefüllt mit solchen Andenken: die …