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MISSION: BAGEL

#97 JÜDISCHE GEMEINDE – Zu den Aufgaben von Rabbinern wie Natanael Teitelbaum gehört, die Einhaltung der Regeln in der koscheren Küche zu kontrollieren. Wir begleiten ihn zu Bäckermeister Holger Groth – mitten in der Nacht. Drei Uhr, das ist eine unwirkliche Zeit. Zwischen gestern und morgen, wache ich wie gerädert nach wenigen Stunden Schlaf auf. Zwei Wecker klingeln im Fünf-Minuten-Takt, die Snooze-Taste hat keine Chance. Auf keinen Fall will ich mein Date mit dem Rabbi verpassen: Um Viertel vor vier sind wir verabredet an diesem unwirtlichen Freitagmorgen im April. Überpünktlich stehe ich schließlich in der Kälte vor der Bäckerei am Sielwall, es schneit sachte, in der Ferne grölen Besoffene am Eck, von denen man hofft, sie blieben, wo sie sind. Dann, nach endlosen Minuten in der Kälte, blitzen zwei Scheinwerfer auf, ein Mercedes-Bus nimmt Kurs auf die Bäckerei. „Sie haben ja Arbeitszeiten“, sage ich matt, als Rabbiner Natanel Teitelbaum aus dem Auto steigt. Er lacht freundlich und zuckt mit den Schultern. Was muss, das muss. Die Hintertür steht offen an diesem dunklen Freitagmorgen, wir treten …

#97 JÜDISCHE GEMEINDE

EDITORIAL: MEHR ALLTAG WAGEN Liebe Leserinnen und Leser, Sie haben natürlich recht: Wir haben ein bisschen gemogelt und die jüdische Gemeinde ist in Wirklichkeit gar keine Straße. Dass sie aber ein bisschen so funktioniert, haben wir spätestens bei der Recherche für diese Ausgabe gelernt: Sie ist Lebensraum für eine Gruppe von Menschen, die sie miteinander verbindet. Sie hat ihre Zentren wie etwa die Synagoge, in deren Inneres wir einen neugierigen Blick werfen durften (Seite 14). Sie hat natürlich auch ihre informelleren und alltäglicheren Treffpunkte wie das Bistro Hamitbach, dessen Eigentümerin wir kennengelernt haben (Seite 8). Die Gemeinde hat auch ihre eigenen Verkehrswege und -formen, ihre Regeln, für deren Einhaltung der Rabbiner zuständig ist. Wir wollten wissen, wie so eine „Koscherkontrolle“ abläuft, und haben uns des Nachts mit ihm auf den Weg gemacht (Seite 10). Und natürlich hat auch diese Straße, die keine ist, ihren Anteil an der Stadtgeschichte (Seite 22). Aber klar: Diese Ähnlichkeiten waren nicht der eigentliche Grund dafür, dass wir uns an eine Zeitschrift der Straße über die jüdische Gemeinde gesetzt haben. Es …

KÖCHIN DURCH ZUFALL

#96 KONSUL-SMIDT-STRASSE – Evrim Arslan wollte ein kleines Restaurant, so was wie einen Tante-Emma-Laden ohne viel Stress und Hype. Geklappt hat immerhin das Erstere Im Laden von Evrim Arslan trifft traditionelle türkische Küche auf moderne Einflüsse. So findet man zum Beispiel einen Spinatsalat mit Mandeln und Datteln auf der Karte: eine Kombination, die zwar ungewöhnlich klingt, aber wirklich extrem gut funktioniert. Evrim ist mit ihrem Laden vor gut fünf Jahren in die Konsul-Smidt-Straße gezogen. Wir haben sie dort besucht. Olivenöl, Zitrone, Knoblauch, Kräuter. Das sind die Gerüche, die einem als Erstes in die Nase steigen, wenn man Evrims Laden „Meze by Evrim“ betritt. Die Inneneinrichtung ist, genau wie das Essen, ein Mix aus Tradition und Modernität. Und was den Laden noch einmal besonders abhebt, ist die spezielle Art von Essen: die Meze. Das sind kleine Portionen unterschiedlicher Vor- speisen, vergleichbar mit spanischen Tapas. So kann man sich mittags seinen eigenen Teller aus verschiedenen, regelmäßig wechselnden Meze zusammenstellen und bezahlt dabei nach Anzahl der Portionen. Und: Wer seine eigene Verpackung mit- bringt, bekommt eine Meze umsonst. …

Teaserbild_Konsul-Smidt-Strasse

#96 KONSUL-SMIDT-STRASSE

EDITORIAL: SZENISCHE EINSTIEGE Liebe Leserinnen und Leser, „Es war eine dunkle und stürmische Nacht“, so beginnt der Roman „Paul Clifford“ von Edward Bulwer-Lytton: jenem zweifelhaften englischen Literaten, nach dem gar ein Festival benannt ist. Gekürt werden dort regelmäßig die schlechtesten ersten Sätze von Romanen. Auch Snoopy hat seinen ersten und einzigen Roman mit eben diesem Satz begonnen. Das konnten unsere Autorinnen und Autoren nicht wissen, als sie ihre Texte für diese Ausgabe schrieben, die zum Teil exakt in diesem Setting beginnen: dunkel, windig, Nieselregen. JournalistInnen lieben szenische Einstiege, und das ist auch oft genau richtig so: Denn wir wollen Sie, unsere Leserinnen und Leser, ja mitnehmen zu den Orten, die wir für Sie gesucht und gefunden haben. Wenn es allerdings – wie in der Überseestadt – allzu oft stürmisch ist (und abends natürlich dunkel), dann sagt das schon viel über einen Ort aus. Abweisend wirkt es dort, wenn der Wind durch die Häuserschluchten fegt. Das Quartier ist immer noch im Werden, das haben auch wir frierend erfahren und aufgeschrieben. Wir haben ein Paar besucht, das …

#95 BULTHAUPTSTRASSE

EDITORIAL: SCHÖNHEIT BESTEHT Liebe Leserinnen und Leser, so richtig en vogue ist es ja eigentlich nicht mehr, derartig hemmungs- los im Jugendstil zu schwelgen. Man kommt so leicht in den Ruch des Bourgeoisen. Dabei ist der Jugendstil eigentlich eine konsumkritische Reformbewegung gewesen, die sich mit ihren verspielten Dekoren gerade gegen die prekär hergestellte Massenware wandte. Nun war Schönheit noch nie eine billige Angelegenheit, das ist der Haken daran. Aber lassen Sie uns unseren Spaß – und haben Sie selbst welchen, während Sie diese Ausgabe durchblättern. Kommen Sie mit in ein liebevoll saniertes Altbremer Haus und erfahren Sie mehr darüber, was eigentlich Denkmalschutz bedeutet: Nämlich nicht nur Lust, sondern durchaus auch Last (S. 8). Eine der schönsten Pointen der Bremer Baugeschichte ist im Übrigen diese: Die Firma J. H. Fuhrken hat nicht nur der Bulthauptstraße einst ihren Stempel aufgedrückt. Die Firma gibt es immer noch: heute spezialisiert auf Altbausanierung. Wir haben die Geschäftsführerin besucht und dabei viel über das Bauhandwerk vergangener Tage gelernt, das es tatsächlich in sich hatte (S. 22). Wer genug hat von Erkern …

DIE HALBE STRASSE

#95 BULTHAUPTSTRASSE – Die Firma Fuhrken hat einst die halbe Bulthauptstraße gebaut. Heute saniert sie Altbauten – und öffnet für uns ihr Firmenarchiv Wer mit offenen Augen durch Bremen geht, sieht sie manchmal, die blau-gelben Fuhrken-Lkws: „Bauunternehmung“ steht darauf und: Altbausanierung. Die Firma J. H. Fuhrken ist ein Traditi- onsbetrieb, seit dem Jahr 1900 besteht die Firma schon, und die kleine, ein bisschen lustige Pointe: Viele der Gebäude, die die Firma jetzt saniert, hat sie früher einmal selbst gebaut. Zeit also für einen Ortsbesuch: Wir sind verabredet mit Urda Blohm-Sudholz, der Großnichte des Firmengründers. Sie öffnet für uns ihr Archiv. Das Geschäftsgelände der Firma Fuhrken befindet sich seit über 50 Jahren an der Stresemannstraße: ein relativ unscheinbares, weißes Industriegebäude in zweiter Reihe und dahinter eine große Halle, in der Baumaterialien gelagert werden. Im Hausflur hängt eine Luftaufnahme, auch schon ein paar Jahrzehnte alt, die das Gelände von oben zeigt: Auf den ersten Blick hat sich dort bis heute nicht viel verändert. In der Nachbarschaft dafür umso mehr: Rund um das Grundstück be- fanden sich damals …

FACHHANDEL DER STERNE

#94 BISMARCKSTRASSE – Ein bisschen verwunschen wirkt er ja schon: der Edelsteinladen Kassiopeia. Dabei ging es hier anfangs nur um das Geschäft mit Kaffee aus aussortierten Bohnen Der Name „Kassiopeia“ lässt zunächst an Sternbilder und Mythologie denken. Auch der kleine Laden an der Bismarckstraße hat auf den ersten Blick etwas Magisches an sich, mit seinen dezenten, aber kunstvollen Verzierungen und seiner schweren Holztür. Dabei ging es bei der Gründung 1952 zunächst vor allem um Kaffee, erst später kamen Schmuck und Edelsteine dazu. Begonnen hat die Geschichte in der zwei Kilometer entfernten Weberstraße. Dort gründeten Josef und Ursula John ihre Firma. Auch der Name hatte für Josef John nicht viel mit Magie oder Mystik zu tun. Er war U-Boot-Fahrer im Krieg und hat oft in den nächtlichen Sternenhimmel geblickt. Dabei hat er besonderes Gefallen an dem Sternbild der Kassiopeia gefunden und sich schließlich entschieden, seine Firma nach ihm zu benennen. Auch in der Einrichtung des kleinen Geschäftes lassen sich die maritimen Einflüsse wiederfinden. Der vom Licht der Vitrinen ausgeleuchtete Verkaufsraum ist gefüllt mit solchen Andenken: die …

#94 BISMARCKSTRASSE

EDITORIAL: STRASSE IN ARBEIT Liebe Leserinnen und Leser, dieses Heft ist eine Premiere, oder um noch kurz in der Sprache des Theaters zu bleiben: eine Wiederaufnahme. Denn zum ersten Mal nach langer Corona-Pause und dem Wechsel unserer Chefredaktion ist diese Ausgabe mal wieder an der Uni Bremen entstanden. Recherchiert und geschrieben haben es Studierende am Zentrum für Medien-, Kommunikations- und Informationsforschung. Wie viel Sie beim Lesen davon merken? Keine Ahnung. Aber wir haben uns so intensiv wie lange nicht mit unseren Produktionsbedingungen auseinandergesetzt, mussten vieles wieder neu erlernen – vermeintliche und echte Selbstverständlichkeit neu aufrollen. Und das kann bekanntlich nie schaden. Tatsächlich eher ein Zufall ist, dass sich auch fast alle unserer Geschichten von der Bismarckstraße ums Arbeiten drehen: im Wortsinn Hand- und Lohnarbeit, aber stets in besonderer Form. Torsten Bauer betreibt etwa eine der letzten Neonglasbläsereien Deutschlands und gehört zu den vielleicht letzten VertreterInnen eines aussterbenden Traditionshandwerks. Ihn haben wir in seiner Werkstatt besucht (Seite 16). Mit dem Blick in die Zukunft waren wir hingegen im „Creative Hub“, wo fast 150 Start-ups gemeinsam ihre …

#92 H.-H.-Meier-Allee

EDITORIAL: DER STADTRAND VON EINST Liebe Leser:innen, dafür, dass die H.-H.-Meier-Allee gewissermaßen eine Sackgasse ist, kommen doch ganz schön viele Menschen durch – wenn auch nicht unbedingt mit dem Auto. Wo die ehemalige Erschließungsstraße Neu-Schwachhausens im Norden endet, fahren die Straßenbahnen nämlich weiter ins Grüne und bringen vor allem Studierende aus Zentrum und Neustadt an die Uni. 7.000 Fahrräder pro Tag kommen noch dazu. Und daher kennt man die Straße in Bremen wohl auch in erster Linie: vom Durchfahren. Für diese Ausgabe haben wir aber doch mal angehalten und zum Beispiel eine jahrzehntelange Bewohnerin des so markanten wie sonderbar deplatzierten Hochhauses besucht (Seite 26). Gleich um die Ecke trafen wir Christos in seinem Restaurant Akropolis und haben uns seine Geschichte erzählen lassen (Seite 8). Und weil die kulinarische Bandbreite der Straße bei Ouzo und Bifteki längst nicht aufhört, haben wir Kamera und Notizblock dann auch gleich noch ins Café Knigge ausgeführt und zwischen den Stammgästen ungefähr die halbe Stadt getroffen (Seite 14). Und das ist es wohl tatsächlich, was diese Straße ausmacht: eine soziale Durchmischung, …