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FAHRT IN DIE VERGANGENHEIT

#81 DIE LESUM – Auf der „Schulschiff Deutschland“ lernten Generationen von Seemännern ihr Handwerk. Ein Blick zurück

Weiß glänzend liegt an der Lesum in Vegesack ein besonders Schiff. Es ist die „Schulschiff Deutschland“, denn in der Sprache der Schifffahrt sind Schiffe weiblich. Über Jahrzehnte wurden auf dem Dreimaster Matrosen und Offiziere ausgebildet. Er ist das einzige noch erhaltene Vollschiff und Segelschulschiff der deutschen Handelsschifffahrt.

„Vegesack ist ein sehr wichtiger historischer Ort für die maritime Geschichte Bremens“, erklärt Claus Jäger, Vorsitzender des Deutschen Schulschiff- Vereins, der das historische Schiff als Denkmal erhält. So ist der Vegesacker Hafen von 1623 der erste künstliche deutsche Hafen überhaupt. Jägers Büro liegt direkt am Wasser, neben der „Schulschiff Deutschland“, das 1927 vom Stapel lief. Der Kapitänssohn hat freien Blick auf sie.

86 Meter ist der Rahsegler lang, die drei Masten etwa 50 Meter hoch. Die Schiffswände sind aus Stahl geschmiedet. Wer die „Schulschiff Deutschland“ heute besichtigt und einen Blick auf die dunklen Holzwände des Kapitäns-Salons wirft oder die beeindruckende Takelage emporblickt, kann kaum erahnen, wie das Leben der jungen Männer war, die früher für zwei Jahre ihre Ausbildung auf diesen Planken erhielten.

Schiffsjungen, Schwindelprüfungen und die strenge Seemannsordnung

Einschließlich des Kapitäns befanden sich damals bis zu 170 Mann an Bord, im wahrsten Sinne des Wortes. „Dass Frauen auf die Idee gekommen wären, zur See zu fahren, das gab es eigentlich nicht“, sagt Jäger. „Ich weiß nicht, ob jemand es versucht hat, doch die Frage stellte sich auch nicht, wenn man sich die Satzung unseres Vereins aus dem Jahre 1900 ansieht: ‚um junge Männer zu Seeleuten zu erziehen‘, heißt es da.“

Wer auf dem Schulschiff ausgebildet werden wollte, musste fit sein, gute Augen haben – und schwindelfrei sein. Das wurde unter anderem mit der Schwindelprüfung getestet: Die Zöglinge, wie man sie nannte, mussten den Mast hochklettern. Nach der Aufnahme mussten sie einen Ausbildungszuschuss berappen – das sogenannte „Pensionsgeld“. Hatte man die Aufnahmeprozedur erfolgreich bestanden, war man „angemustert als Schiffsjunge“. Dies wurde in einem persönlichen Seefahrtbuch vermerkt. Von nun an mussten sich die Zöglinge an die Seemannsordnung halten.

Wer auf dem Schulschiff ausgebildet werden wollte, musste fit sein, gute Augen haben – und schwindelfrei sein.

Das spartanische Leben an Bord eines Rahsegler

Das Leben an Bord war sehr spartanisch. „Das Mittelschiff war ein großer Raum“, erklärt Jäger. „Da schliefen, arbeiteten und aßen 80 Leute. Jeder hatte seine Hängematte an der Decke hängen, die wurde dann eingerollt während des Tages.“ An hochklappbaren Tischen wurde gearbeitet und gegessen. Erst in den 1950er-Jahren wurden die ersten Kabinen geschaffen.

Mittlerweile haben es die Gäste des Schiffs komfortabler. Für 70 Euro inklusive Frühstück kann man in einer Zweierkajüte übernachten. Sobald die enge Treppe unter Deck bezwungen ist, führt ein schmaler Gang zu den Außenkammern – kleine Zimmer, mit zwei Kojen übereinander. Es ist kaum Platz für den Tisch und die zwei Stühle, aber durch ein Bullauge ist das Wasser zu sehen.

Für die „Zöglinge“ der Zwanziger- und Dreißiger-Jahre war Privatsphäre kaum vorhanden. Die Arbeit war hart, die See oft rau. Die meisten litten daher am Anfang unter schlimmer Seekrankheit, erzählt Jäger. Nach einigen Tagen würden die meisten Menschen jedoch immun dagegen. Für die Zöglinge war das entscheidend: Zur Ausbildung gehörten je zwei ausgedehnte Sommer- und Winterfahrten auf dem Rahsegler. „Die Winterreisen gingen in den Süden, denn südlich des Äquators war ja dann Sommer, und die Sommerreisen waren in Nord- und Ostsee“, sagt Jäger.

Vom Ausbildungsort zur Ruheoase

Am Ende ihrer Ausbildung sollten die Zöglinge alle Aufgaben an Bord übernehmen können – unabhängig von Wind, Wetter und Wellengang. „Dieses Zusammenwirken in der Gemeinschaft, sich auf den anderen verlassen und besondere Herausforderungen bewältigen zu können, das ist nach Auffassung der maßgeblichen Leute bei der Marine das Entscheidende“, sagt Jäger. „Das ist eine Persönlichkeitsprägung und eine Ausbildung von Fähigkeiten, die man sonst nicht kriegt.“

Die „Schulschiff Deutschland“ wurde nie als Kriegsschiff geführt, sondern immer als Teil der Handelsmarine. Insgesamt legte sie unter vier Kapitänen bei zwölf Überseereisen und 17 Ausbildungsfahrten in Nord- und Ostsee eine Strecke zurück, die siebeneinhalb Mal dem Erdumfang entspricht. Sie ankerte vor Buenos Aires, den Bahamas und Venezuela, bevor sie 1939 ihre letzte weite Reise beendete. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges diente das Schulschiff für kurze Zeit als Lazarettschiff. So konnte sie vor einer Auslieferung an die Briten geschützt werden.

Die ‚Schulschiff Deutschland‘

1952 fand die „Schulschiff Deutschland“ in Woltmershausen einen Heimathafen, wo sie 20 Jahre lang als stationäre Seemannsschule diente. 1972 wurde sie umgebaut und als Ausbildungsinternat und Werkstatt genutzt. Seit 1996 liegt das Schulschiff am jetzigen Liegeplatz in Vegesack, an der Lesum-Mündung – zuletzt beherbergte sie Schiffsmechaniker. 2001 stellte die Berufsschule für angehende Seeleute ihren Ausbildungsbetrieb ein.

Seitdem geht es an Bord der „Schulschiff Deutschland ruhiger zu. Beherbergt sie keine Übernachtungs- oder Hochzeitsgäste, ist das letzte Vollschiff Deutschlands einfach im Ruhestand.

Text:
Chiara Purnhagen
Fotos:
Felix Müller

ZWISCHEN ZWEI WELTEN

#80 AM WINTERHAFEN – Er wohnt in der Überseestadt, verkauft die Zeitschrift der Straße aber im Ostertor-Viertel. Warum sich Sascha Reul mit „moderner Stadtentwicklung“ schwertut

Für die Bewohner:innen des Ostertor-Viertels ist er vermutlich eine Institution: Sascha Reul verkauft dort seit über acht Jahren die Zeitschrift der Straße. Jeden Morgen ist er vor der Sparkasse am Ostertorsteinweg. „Die Leute aus den umliegenden Geschäften und Cafés fragen sogar nach mir, wenn ich mal zwei bis drei Tage nicht da bin“, erzählt Reul. Im besonders guten Kontakt stehe er mit den Mitarbeiter:innen der Sparkasse, von der Filiale habe er sogar eine schriftliche Genehmigung erhalten, dass er an dem Platz sitzen darf.

Reul erzählt, er habe viele Stammkund:innen, die extra zu ihm kämen. Doch nicht immer laufe der Kontakt so gut: „Dann sitze ich hier und sehe die Menschen jeden Morgen in den Cafés ihre Kaffees trinken, aber wenn ich auf sie zukomme, behaupten sie, dass sie gar kein Geld hätten“, sagt er. „Und am nächsten Tag sehe ich sie wieder ihren Kaffee für drei Euro trinken.“

Häufig werde er einfach nur angeguckt. Mit seinem Rollstuhl und der Sauerstoffzufuhr, die er seit einer Lungenentzündung hat, fällt Sascha Reul zwar auf, unangenehm ist es ihm trotzdem. Er bleibt aber schlagfertig: „Hast du ein Problem oder willst du ein Foto haben?“, sagt er in solchen Momenten etwa.

Seit seiner Geburt vor 48 Jahren lebt er in Bremen. Mit Ende dreißig hatte er einen Schlaganfall, seitdem sitzt er größtenteils im Rollstuhl. Die erste Zeit danach sei besonders schlimm gewesen, berichtet er. Es habe eine ganze Weile gedauert, bis er wieder fit wurde. Die ersten vier Jahre nach dem Schlaganfall lebte er im „Haus am Dobben“, einem Pflegeheim im Bremer Viertel. „Woandershin als in ein Pflegeheim hätte ich nicht gekonnt“, sagt er. „Aber dann heißt es ja immer: ‚Nicht aufgeben!‘, und da bin ich auch nicht der Typ für.“ Als er fitter wurde, suchte er ein neues Zuhause. Und fand es gemeinsam mit einem Pfleger aus dem „Haus am Dobben“, der ebenfalls eine neue Unterkunft brauchte – am Winterhafen in der Überseestadt.

„Zieht da nicht hin“, sagt er. Für die Dreizimmerwohnung im Erdgeschoss müssen sie 1.300 Euro zahlen. „Mit Blick auf das Wasser wäre die Wohnung gleich 400 oder 500 Euro teurer“, meint Sascha Reul. Die Miete muss das Amt bezahlen, so viel verdient er beim Verkauf der Zeitschrift der Straße nicht.

Nach Hause kommt er mit dem Bus, mit der 26. Regelmäßig gebe es bei der Fahrt Probleme. Die vielen Baustellen in der Überseestadt seien so verwirrend, dass sich selbst die Busfahrer:innen verfahren. „Ich habe zu dem Busfahrer gesagt: ‚Da musst du doch links abbiegen!‘, aber dann war es schon zu spät und wir mussten wenden“, sagt Sascha Reul und lacht.

Gebaut wird in der Überseestadt tatsächlich viel. Als eines der größten Stadtentwicklungsprojekte Europas beschreibt sich der Stadtteil selbst gerne mit dem Slogan „Standort der Möglichkeiten“. Doch genau diese Möglichkeiten fehlen Sascha Reul. Bei gutem Wetter sei der Park neben seiner Wohnung zwar immer brechend voll mit Kindern und Jugendlichen, die Skaten und Basketball spielen, „aber das war es dann auch schon“. Ansonsten könne man höchstens noch bei Aldi einkaufen gehen.

Leben sei hier „Am Winterhafen“ keines – besonders wenn er es mit seinem Verkaufsplatz am Sielwall vergleicht. „Da ist immer Halligalli. Aber hier ist so wenig los, da kannst du auch gleich auf den Friedhof gehen und erlebst trotzdem mehr.“ Als er sich vor vier Jahren mit seinem früheren Pfleger eine Wohnung suchte, kam auch die Überlegung auf, im Viertel zu bleiben. Eigentlich würde Sascha Reul immer noch gerne dorthin ziehen. „Aber das kannst du vergessen, mit meinem Rollstuhl komme ich in keins der Häuser rein“, sagt er. „Wir haben damals einfach nichts anderes gefunden.“ Trotzdem hält er die Augen offen, vielleicht ergibt sich ja noch mal die Chance, in einen belebteren Stadtteil zu ziehen.

Und sonst? „Ich hatte mal einen Kiosk in Walle, das ist fast 30 Jahre her“, sagt er. Sein Laden war direkt am Waller Ring. Als das Walle-Center kam, habe sich der Standort nicht mehr gerechnet. Er hätte mit dem Kiosk zwar in das Walle-Center ziehen können, aber Reul winkt ab: „Die Miete war viel zu hoch. Und dann hätte ich noch Angestellte gebraucht. Das war nichts.“ Jetzt würde er es sich wieder zutrauen, einen Kiosk aufzumachen, gerne auch zu zweit. Nur behindertengerecht müsste er sein, damit er mit seinem Rollstuhl den Laden führen kann. „Aber das wäre doch was!“, sagt Reul und grinst verträumt.

Text:
Gunnar Bantz
Fotos:
Benjamin Eichler

#80 AM WINTERHAFEN

EDITORIAL: Von Vorurteilen und Inklusion

Liebe Leser:innen,

die Überseestadt, so hört und liest man es immer wieder, ist ja noch vielen Bremer:innen fremd. Auch jenen, die da wohnen. Es fehle das Leben zwischen all den hochpreisigen Geschosswohnungsbauten, heißt es dann, und auch ein wenig die Alltagstauglichkeit des noch recht neuen Stadtteils. Zu diesem Ergebnis kommt selbst eine eigens erstellte Studie. Und auch die Zeitschrift der Straße, die schon des Öfteren im benachbarten Walle zu Gast war, war hier noch nie.

Also haben wir uns mal auf den Weg gemacht und rund um den Skaterpark am Winterhafen mit vielen Menschen darüber geredet, warum sie eigentlich hierherkommen (Seite 16). Außerdem haben wir eine inklusive Wohngemeinschaft besucht, in der behinderte und nichtbehinderte Menschen zusammen wohnen (Seite 8). In einem dieser hippen Läden haben wir dann Michael Krähe getroffen, der mal Mitbegründer einer wirklich legendären Punkband war, dann als Ingenieur lange Jahre in Japan lebte, schließlich Professor wurde, nun aber hier ein Radladencafé betreibt (Seite 22). Und wir waren bei den Macher:innen eines nichtkommerziellen Radioprojekts, dem es nicht ganz so wichtig ist, möglichst viele Hörer:innen zu haben (Seite 26).

Einen Verkäufer in der Überseestadt haben wir übrigens auch, Sascha Reul – aus seinem Leben erzählen wir auf Seite 28. Zum Schluss veröffentlichen wir leider auch noch zwei Todesanzeigen (Seite 30): Wieder sind zwei unserer Kolleg:innen verstorben.

Viel Spaß beim Lesen wünschen dennoch
Jan Zier, Tanja Krämer und das Team der Zeitschrift der Straße

Aus dem Inhalt:

08 Acht Zimmer am Fluss

Ein paar Meter vom Winterhafen entfernt gibt es seit 2019 eine der ersten inklusiven WGs in Bremen. Vier Menschen ohne wohnen hier mit vier Menschen mit Behinderung zusammen. Ein Besuch

16 Ein Sommertag am Winterhafen

Warum kommen die Menschen in die Überseestadt, die vielen immer noch als lebloses Stück Stadt gilt? Wir haben mit ihnen gesprochen

22 „Es war ein totaler Kulturschock, nach Bremen zu kommen“

Michael Krähe war Punkmusiker und wurde Professor, lebte in Japan und zog nach Bremen – wo der Ingenieur nun einen Radladen führt

26 Hört uns jemand?

Bei Radio Angrezi senden Studierende Experimentelles. Meistens hören nur wenige zu. Warum machen sie weiter?

28 Zwischen zwei Welten (online lesen)

Er wohnt in der Überseestadt, verkauft die Zeitschrift der Straße aber im Viertel. Uns erzählt Sascha Reul, warum er sich mit moderner Stadtentwicklung nach wie vor schwer tut

30 Todesanzeigen

DER HERR DER BIENEN

#79 LUDWIG-ROSELIUS-ALLEE – Marten Carstensen betreut als Imker vier Bienenvölker vor dem Atlantic-Hotel an der Ludwig-Roselius-Allee. Seine Passion für die Arbeit mit und in der Natur bestimmt sein Leben

„Imker“ steht gestickt auf der Schirmmütze, die einen Schatten auf Marten Carstensens Gesicht wirft. Darunter zeigt sich ein strahlendes Lächeln. Carstensen hält sich nicht lang mit Small Talk auf, sondern lenkt das Thema unverzüglich auf seine Leidenschaft: das Imkern. Er erklärt fachmännisch, wie die Bienenkästen, sogenannte Beuten, aufgebaut sind, dass Bienen in einem Radius von drei Kilometern nach Nahrung suchen, und erläutert den Unterschied zwischen Honig- und Wildbiene. Zufrieden verschränkt er die Arme vor der Brust und schaut ein bisschen stolz auf die vier Kästen, um die ein reges Summen und Brummen herrscht.

Carstensen bringt Honigproduktion in Bremens Innenstadt“

Carstensen steht vor dem Atlantic Hotel an der Ludwig-Roselius-Allee, direkt dahinter erstreckt sich die ehemalige Galopprennbahn. Und direkt davor ein kleiner Hotelvorgarten, in dem die vier Bienenkästen zu finden sind. Darin leben zurzeit rund 32.000 Honigbienen – Bienen, um die sich Carstensen kümmert. Vor etwa zwei Jahren nahm die Hotelleitung Kontakt zum Bremer Imkerverein von 1875 e.V. auf. Ihr Wunsch: Sie wollten vor dem Hotelgebäude ein paar Bienenvölker beheimaten – und suchten nun einen kompetenten Hobbyimker, der sich um sie kümmert. Marten Carstensen, stellvertretender Vorsitzender im Bremer Imkerverein von 1875 e.V., sah sich den Standort an und sagte prompt zu. Wegen der vielen Grünflächen sei das Hotel gut geeignet. „Viele andere Mitglieder des Vereins haben ihre ein oder zwei Völker und das reicht ihnen dann auch“, sagt Carstensen, „Aber ich hatte noch Lust und Kapazitäten für zusätzliche Völker. Außerdem konnte ich mir sicher sein, dass das Hotel den Honig abkaufen würde. Es ist also eine Win-win-Situation.“

Wie die Bienen des Atlantic Hotels die Gäst:innen begeistern

Schon ein Jahr später konnte der erste Honig geerntet werden. „Die Gäste finden es einfach super, beim Frühstück mit Blick auf die Rennbahn den Honig zu genießen, der von unseren eigenen Bienen hergestellt wird!“, sagt Stefan Kohlhase, der Hoteldirektor. Es ist ein Konzept, das viele Hotels der Atlantic-Kette verfolgen. Der Website des Bremer Hotels zufolge gibt es etwa auch Bienenvölker in Atlantic-Hotels in Bremerhaven, Travemünde und Kiel. Auch das Atlantic-Hotel am Flughafen beschäftigt einen Imker für die auf dem Grundstück untergebrachten Bienenkästen.

Marten Carstensen stattet den Bienen im Sommer wöchentlich einen Besuch ab. Er überprüft, ob die Beuten beschädigt sind, ob noch genug Nahrung für die Bienen vorhanden ist und ob Anzeichen für Krankheiten vorliegen. In den kalten Monaten schaut er bloß alle drei Wochen vorbei, um die Kästen auf äußerliche Beschädigung zu überprüfen. Geerntet wird der Honig im Juni und Juli. 130 Kilogramm Honig produzierten die kleinen Nutztiere im letzten Jahr, 2020 verspricht sich Marten Carstensen einen noch größeren Ertrag.

Hotel mit Bienen und Galopprennbahn

Die Motivation der Hotelkette sei laut der Website, Bienen zu Zeiten des Insektensterbens zu schützen, gerade aufgrund ihrer Funktion als Pflanzenbestäuber – und so auch ImkerInnen und ihr Engagement für den Naturschutz zu unterstützen. Doch im direkten Gespräch macht Stefan Kohlhase keinen Hehl daraus, dass es ihm auch darum geht, dem Hotel ein Alleinstellungsmerkmal zu geben, um das Hotelerlebnis für die Gäste zu optimieren: „Die Galopprennbahn und die Bienen gehören einfach zur DNA des Hotels. Die Gäste erinnern sich so ganz anders an ihren besonderen Aufenthalt und kommen gerne wieder!“


Anonyme Hühnerschar: Essen bekommt bei Marten Carstensen keine Namen

Nachhaltige Gartenpflege

Wenn Carstensen und Kohlhase zusammensitzen, trifft Outdoor-Funktionskleidung auf schicken Businessanzug. Sie duzen sich, machen Späße. Letztendlich haben sie ein gemeinsames Ziel: Es soll den Bienen gut gehen. Im Gespräch berichtet der Hotelmanager über die anstehenden Veränderungen des Vorgartens: Während ein großer Teil der Gartengewächse radikal gekürzt werden soll, möchte das Hotel einen Teil der Wiesen nicht abmähen und Hecken stehen lassen. „Super“, sagt Marten Carstensen. Das biete nicht nur eine ideale Nahrungsquelle für seine Honigbienen, sondern auch ein gutes Habitat für die vom Insektensterben bedrohte Wildbiene.

Vom Hühnerstall zum Hofladen

Bei einem zweiten Treffen steht Marten Carstensen wieder auf einer Wiese, in seinem Garten. Auch hier finden sich mehrere Bienenkästen und daneben ein großer umzäunter Bereich, in dem Hühner schnatternd herumpicken. 24 Tiere sind es insgesamt, Marten Carstensen schlachtet sie eigenhändig, er sei da nicht so empfindlich, sagt er. Einen Namen hätten sie nicht, stellt er klar und lacht: „Essen kriegt keinen Namen, da bin ich nicht der Typ für!“ Das Fleisch, die Eier sowie den Honig verkauft er an KollegInnen, NachbarInnen und in einem Hofladen. Er ist gut vernetzt mit anderen NaturliebhaberInnen aus dem Bremer Umland. Milch kauft er nicht im Tetra Pak beim Supermarkt, sondern holt sie bei einem Bauern aus der Nachbarschaft, frisch von der Kuh sozusagen.

Text:
Helene Bode
Fotos:
Norbert Schmacke

#79 LUDWIG-ROSELIUS-ALLEE

EDITORIAL: Aus alt mach neu

Liebe Leser:innen,

diesmal entführen wir Sie weit in den Bremer Osten. In eine Straße, die für Bremer Verhältnisse vergleichsweise jung ist – und in der sich dennoch in den vergangenen Jahren vieles geändert hat. Seit ihrem Bau in den 1960er Jahren stand die Ludwig-Roselius-Allee im Schatten der benachbarten Galopprennbahn. Dort wurde gewettet, gefiebert, gelitten. Und die Straße war nur ein schnöder Zubringer zum Glück oder Pech des Tages.

Doch die Galopprennbahn ist nicht mehr. Wie es auf der Brache weitergeht, ist noch immer offen. Wir haben Anwohner:innen, Politiker:innen und Visionär:innen gefragt, was sie sich wünschen würden (Seite 10). Gleichzeitig versucht die Straße, sich neu zu erfinden. Und erhält dabei ungeahnte Unterstützung: Etwa von der hinduistischen Gemeinde, die just hier einen Tempel erbaut, weil es einer Kuh vor Ort so gut gefiel (Seite 20). Einen Neuanfang versucht auch ein sozial-ökologisches Modellquartier, in dem vieles anders ablaufen soll als man es sonst kennt (Seite 22).

Natürlich darf auch ein Gespräch mit unserem Verkäufer Mark Lindemann nicht fehlen. Er hatte ein bewegtes Leben, mit so manchen Tiefen. Und sagt dennoch von sich, er sei zufrieden mit dem, was er habe. Diese Stärke wünschen wir auch Ihnen, unseren Leser:innen und Förder:innen in diesen nach wie vor schwierigen Zeiten. Wir danken Ihnen ganz herzlich, dass Sie trotz zahlreicher Sorgen im eigenen Umfeld, trotz Abstandsregeln und den nötigen Vorsichtsmaßnahmen im Umgang mit Fremden unsere Verkäufer:innen weiterhin im Blick haben. Das macht eine solidarische Gesellschaft aus.

Viel Spaß beim Lesen wünschen
Jan Zier, Tanja Krämer und das Team der Zeitschrift der Straße

Aus dem Inhalt:

08 Ein ambivalenter Charakter

Der Namensgeber der Ludwig-Roselius-Allee war ein schwerreicher völkischer Nationalist, der auch sozialkritisch dachte und Paula Modersohn-Becker förderte

10 Der Traum von kleinen Häuschen

Ein Runder Tisch berät, was aus der seit zwei Jahren brach liegenden Galopprennbahn werden soll. Eine Bebauung der 30 Hektar großen Wiese ist zwar tabu – aber nicht in jeder Form. Wir haben Ideen gesammelt

20 „Die Kuh hat sich hier wohlgefühlt“

Im Ellener Hof entsteht der neue hinduistische Tempel Bremens. Gespräch mit Pathmakaran Pathmanathan, dem Gemeindesprecher und Gründer der hinduistischen Gemeinde in Bremen

22 Tauschen, Teilen, Sparen

Im Bremer Osten entsteht seit 2018 ein sozial-ökologisches Modellquartier. Ein Besuch auf der Baustelle

24 „Ich beneide die nicht um ihr Geld“

Mark Lindemann hat früher mal Yachten für Superreiche ausgebaut. Seine Eltern kommen aus dem Rotlichtmilieu, seinen Sohn kennt er nur durch Zufall. Heute verkauft er die Zeitschrift der Straße – für seinen Enkel

28 Der Herr der Bienen (online lesen)

Marten Carstensen betreut als Imker vier Bienenvölker an der Ludwig-Roselius-Allee. Seine Passion für die Arbeit mit und in der Natur bestimmt sein Leben

Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) gemeinsam mit Katharina Kähler, Leiterin der Wohnungslosenhilfe der Inneren Mission, Tourguide Reinhard "Cäsar" Spöring und Senatssprecher Christian Dohle.

BÜRGERMEISTER BOVENSCHULTE (SPD) NIMMT AN SOZIALER STADTFÜHRUNG TEIL

„Für die Zeit nach Corona wünsche ich mir, dass der Bürgermeister mal selbst eine unserer alternativen Stadtführungen mitmacht“, das sagte unser Perspektivwechsel-Tourguide Stefan Gehring erst kürzlich im Interview für unsere aktuelle Corona-Ausgabe. Und ausgerechnet an seinem Geburtstag bekam er diesen Wunsch nun erfüllt.

Nach dem Rundgang, der Bremen aus der Perspektive wohnungsloser Menschen zeigt und seit 2017 angeboten wird, sagte Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD): „Ich habe viel dazu gelernt und einen anderen Blick auf unsere Stadt entwickelt.“

Außerdem mit dabei waren Katharina Kähler, Leiterin der Wohnungslosenhilfe der Inneren Mission, unser zweiter Tourguide Reinhard „Cäsar“ Spöring sowie Senatssprecher Christian Dohle.

DIE BREMER TAFELN IN CORONA-ZEITEN

#78 CORONA – Die fünf Ausgabestellen der Tafel in Bremen waren auch während der Kontaktsperre in der Corona-Pandemie geöffnet – dank des Einsatzes junger HelferInnen und kreativer Ideen.

Während der Kontaktsperre mussten viele Hilfseinrichtungen schließen. Auch die Tafeln in manchen Bundesländern machten dicht. In Bremen sah das anders aus: „Zwar ging es in dem Ausgabestellen etwas langsamer zu, aber der Betrieb konnte aufrechterhalten werden“, sagt Uwe Schneider, der Vorsitzende der Tafel Bremen. „Zum Glück haben wir viele neue, jüngere HelferInnen“. So konnten die älteren HelferInnen zu ihrer eigenen Sicherheit zu Hause bleiben. Zurzeit engagieren sich laut Schneider so viele junge Menschen bei der Tafel in Bremen, dass keine weiteren HelferInnen aufgenommen werden.

Um die BesucherInnen und die HelferInnen vor einer Infektion zu schützen, verfolgen die Ausgabestellen in Bremen nun unterschiedliche Strategien. In Huchting bereiten die HelferInnen Körbe vor, die die BesucherInnen dann auswählen können. In den Ausgabestellen in Bremen Burg und in Hemelingen wählen die BesucherInnen die einzelnen Lebensmittel selbst aus. Es dürfen aber nur wenige zeitgleich im Raum sein. Zu den Seniorentafeln für mobilitätseingeschränkte und ältere Menschen in Obervieland und der Vahr kommen viele Personen, die der Risikogruppe angehören. „Diese zwei Tafeln sind in den 14-Tage-Rhythmus gegangen: 60 BesucherInnen kommen in der einen Woche, 60 in der anderen. So gibt es weniger Auflauf“, sagt Uwe Schneider. Für Personen der Risikogruppe gibt es auch die Möglichkeit, jemand anderen vorbeizuschicken, um die Lebensmittel abzuholen. In Burg gibt es für ältere Menschen zudem das Angebot, dass die Lebensmittel geliefert werden. Schneider betont, dass die Tafeln aktuell auch neue KundInnen aufnähmen.

Aktuell gibt die Bremer Tafel Lebensmittel an über 7.000 Personen weiter, täglich kommen über 350 Bedarfsgemeinschaften zu den Ausgabestellen. „Die aktuellen Maßnahmen sind Übergangslösungen. Wir hoffen, dass wir weiterhin genug junge HelferInnen und Lebensmittel haben werden“. Bis jetzt sehe es aber nicht so aus als würden die Lebensmittel knapp werden. „Die Spendenfreudigkeit ist gut. Das sieht auf dem Land anders aus.“

Die Tafel in Bremen und die Tafel in Bremerhaven zählen zu den 106 Tafeln in Niedersachsen. 52 dieser Tafeln waren während der Kontaktsperre geschlossen. „90 Prozent der Helfer sind über 60 Jahre alt. Um sie zu schützen, wurden sie nachhause geschickt“, sagt Manfred Jabs, der Erste Vorsitzende des Tafelverbands Niedersachsen und Bremen. Die meisten der geschlossenen Tafeln haben sich jetzt mit Bürgerinitiativen zusammengeschlossen. „Ein paar Tafeln, wie beispielsweise die Tafel in Braunschweig, konnten wieder öffnen, weil junge Leute wie Studierende oder Konfirmandengruppen als HelferInnen dazugekommen sind“, sagt Manfred Jabs. Bei den Tafeln in Niedersachsen gab es auch Probleme, weil die Lebensmittelspenden knapp waren. „Das ist von Region zu Region unterschiedlich.“ Die Lage habe sich aber wieder normalisiert. „Manchmal hat auch eine Tafel reichlich und kann etwas abgeben. Die Tafeln helfen sich dann gegenseitig.“

Zahlreiche junge HelferInnen hielten während der Kontaktsperre den Betrieb in Bremens Tafeln aufrecht, sodass ältere HelferInnen zu ihrer Sicherheit zu Hause bleiben konnten.

In Bremerhaven und Umgebung gibt es sechs Ausgabestellen, die 4.500 Menschen im Monat versorgen. Von diesen mussten drei zeitweilig schließen – eine in Bremerhaven, eine in Dorum und eine in Bederkesa. „Die Tafeln haben hier das Glück Ware von der Firma Frosta zu bekommen. Frosta produziert im Moment viel, aber es fällt auch etwas ab,“ sagt Jabs. Auch der Schiffsausrüster Odin spendet Lebensmittel an die Tafel in Bremerhaven. Da auch die Kreuzfahrtsaison durch den Corona-Virus eingeschränkt wird, hat das Unternehmen nun einen großen Überfluss an Lebensmitteln.

Um das Infektionsrisiko möglichst klein zu halten, treffen die Tafeln in Bremen und Niedersachsen unterschiedliche Maßnahmen. „Es wird auf den nötigen Abstand geachtet und einige Tafeln packen die Lebensmittel vorab in Tüten ab“, sagt Manfred Jabs. „Andere Ausgabestellen lassen nur zwei bis drei Personen gleichzeitig rein“. Die HelferInnen seien zudem geschützt durch Handschuhe und Desinfektionsmittel. „Hier erhalten die Tafeln auch Spenden und die Hygiene wird vollständig eingehalten“, sagt Manfred Jabs.

Text: Julia Pohl
Fotos: Beate C. Köhler

#78 CORONA

EDITORIAL: Zurück ins Leben

Natürlich ist die Krise noch nicht vorbei. Für uns nicht und für unsere Verkäufer:innen schon gar nicht. Die vergangenen Wochen waren hart für sie. Sie verloren sozialen Halt und einen guten Teil ihrer eh schon kärglichen Einnahmen. Es gab kaum noch Käufer:innen auf der Straße, und auch kaum noch Zeitschriften der Straße. Denn auch wir mussten unser Büro schließen, zum Schutz der Verkäufer:innen und der ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen. Einzig die Streetworker:innen blieben, um den Kontakt zu halten und Hefte auszugeben.

Nun kehrt das Leben schrittweise zurück, wir können dank vieler toller Spender:innen – herzlichen Dank! – unsere Verkäufer:innen für ihren Verdienstausfall ein wenig entschädigen. Und es gibt eine neue Ausgabe! Dass sie sich ausschließlich um das Thema Corona dreht, ist nur scheinbar naheliegend. Denn ansonsten widmet sich ja jede unserer Ausgaben einer Straße, einem Platz, einem Ort in Bremen. Und jetzt?

Es gibt diesen Ort. In Bremen. Denn im hiesigen Dom wird die Heilige Corona ja schon seit über eintausend Jahren verehrt. Und sie ist, so steht es im Heiligen-Lexikon, durchaus auch für Abwehr von Seuchen zuständig (Seite 7). Wir haben uns mal angesehen, wie das in der praktischen Arbeit funktioniert. Und den Streetworker Jonas Pot d’Or bei der Arbeit begleitet (Seite 8) oder recherchiert, wo Bedürftige in Zeiten der Kontaktsperre nun ihr Essen herbekommen haben (Seite 20) und ein Bett für die Nacht finden konnten (Seite 26). Natürlich haben wir aber auch einige der Betroffenen befragt, wie es ihnen in dieser Zeit der Pandemie erging (Seiten 12, 24 und 28).

Leider haben wir aber auch zwei Todesfälle unter unseren Verkäufer:innen zu beklagen (Seite 30). Einer von ihnen war vor Kurzem noch unser Titelheld. Wir gedenken ihrer.

Viele interessante Erkenntnisse beim Lesen wünschen
Jan Zier, Tanja Krämer und das Team der Zeitschrift der Straße

Der Straßenverkauf hat NOCH NICHT wieder begonnen. Die Vorbereitungen dafür laufen, doch ein paar Tage wird es noch dauern. Sooory!

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Aus dem Inhalt:

06 Corona (online lesen)

Heiligenstatue im Bremer Dom und Mittelpunkt eines mittelalterlichen Corona-Kultes. Heute allgegenwärtiges Virus, das unser aller Leben verändert hat

08 Hausbesuch draußen

In Zeiten der Kontaktsperre sollten die Menschen möglichst viel zu Hause bleiben. Wie soll das gehen, wenn man kein Zuhause hat? Unterwegs mit Streetworker:innen

12 „Als wäre die ganze Welt paralysiert“

Aya Nathalie Yao möchte sehr gerne wieder als Krankenschwester arbeiten. Ausgerechnet die Corona-Pandemie verhindert dies nun

14 Inmitten der Leere

Bildstrecke

20 Keiner soll hungrig sein

Zahlreiche Hilfsorganisationen kümmern sich um die Verpflegung von obdachlosen Menschen. In Corona-Zeiten müssen sie einiges anders machen

22 Keine Zuschüsse für Obdachlose

Dürfen Menschen, die auf der Straße leben, jetzt noch zusammen platte machen? Wo sollen sie hin, wenn sie einen Platzverweis bekommen? Wir haben nachgefragt

24 Der Sorgenvolle

Ein Besuch bei unserem Verkäufer Giorgi Ispas, der sich weniger vor dem Virus als vor der drohenden Not fürchtet

26 Kein Ersatz für ein Zuhause

Die Notunterkünft ein Bremen sind auch in Zeiten der Corona-Krise „nicht übermäßig voll“ – und fühlen sich auf eine Quarantäne gut vorbereitet

28 „Das ist eine harte Nummer momentan“

Stefan Gehring hat es von der Straße zurück in ein geordnetes Leben geschafft. Doch die Corona-Krise ändert sein Leben grundlegend

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HEILIGE CORONA

#78 CORONA – Heiligenstatue im Bremer Dom und Mittelpunkt eines mittelalterlichen Corona-Kultes. Heute allgegenwärtiges Virus, das unser aller Leben verändert hat

In Bremen war Corona schon berühmt, lange, sehr lange bevor sie zum Synonym für Quarantäne und Hamsterkäufe mutierte. Sie wurde sogar verehrt. Und zwar gerade hier.

Corona lebte im zweiten Jahrhundert nach Christus, in Ägypten oder Syrien, so genau wissen wir das heute nicht mehr. Sie soll, damals 16, bei der Hinrichtung eines gewissen Victor von Siena selbst zum Tode verurteilt worden sein. Corona starb auf schaurige Weise, erzählt die kirchliche Legende, die ja oft eine gewisse Liebe zur Grausamkeit aufweist: Man habe zwei Palmwedel zusammen gebunden und die junge Frau an deren Spitzen gefesselt. Als die Palmen zurückschnellten, wurde Corona zerrissen. In Erinnerung bleibt sie uns als christliche Märtyrerin, als Heilige, natürlich als Jungfrau und mit einem milden, melancholischen Lächeln unter langem Haar.

Geschichte und Relikte

Nach Bremen kam sie dank Erzbischof Adaldag, der im Jahre 965 ihre Reliquien zusammen mit denen von Cosmas und Damian und einigen weiteren Heiligen aus Italien mitbrachte. 1379 wurde ihr im Dom sogar ein Altar eingerichtet, die Reliquie befand sich in der südlichen Mauer des Ostchors. Von Bürgermeister und Domherr Johann Hemeling ist die Beschreibung einer Prozession zu den Dom-Heiligtümern erhalten, die 1395 stattfand – darin ist auch von dem „noch unversehrten Leichnam der Heiligen Jungfrau Corona“ die Rede. Ob es wirklich ihr „ganzer Leichnam“ war, wie es in der Überlieferung heißt? Das könne auch eine Übertreibung sein, sagt Henrike Weyh, Kustodin im Dom-Museum. Sicher ist nur, dass diese Reliquien seit der Reformation verschollen sind. Geblieben ist eine Statue in der Westempore des Doms und eine im Chorgestühl. Früher jedoch gab es noch mehr Abbildungen der Heiligen Corona; eine ist später nach München, eine andere mittlerweile ins Focke-Museum (Foto oben, von links: Hl. Paulus, Maria mit dem Kind, Hl. Petrus, Hl. Corona) umgezogen.

Patronin der Schatzgräber, Fleischer und Reichtümer

Das mittelalterliche Bremen gilt als Zentrum der Corona-Verehrung. Die Stadt wurde, dank ihrer Reliquien, einst zu einem gut frequentierten Wallfahrtsziel. Coronas (und auch des heiligen Victors) Festtag ist übrigens der 14. Mai. Sie wird bei Zweifeln an der Standhaftigkeit im Glauben angerufen und ist Patronin der Schatzgräber und Fleischer. Man kann sie zudem in Geldangelegenheiten anbeten. In Zauberbüchern aus dem 17. und 18. Jahrhundert finden sich denn auch Corona-Gebete, die den Gläubigen Reichtümer versprachen. In Österreich ist sogar ein Örtchen am Wechsel nach ihr benannt. Und dort jedenfalls ist die Heilige auch für die Abwehr von Seuchen bei Mensch und Viehzeug zuständig.

Test:
Tanja Krämer & Jan Zier
Foto:
Jürgen Howaldt / Wikipedia (CC BY-SA 3.0 DE)

#77 LEIBNIZPLATZ (digitale Soli-Ausgabe)

EDITORIAL: In Zeiten des Coronavirus

Das ist die erste Ausgabe, die nie gedruckt werden wird: Die Zeitschrift der Straße in Bremen hat wegen des Coronavirus ihren Vertrieb eingestellt. Dieses Heft, das am Leibnizplatz in der Neustadt spielt, erscheint deshalb ausschließlich online. Für alle Engagierten ist das eine schmerzliche Erfahrung. Aber der Schutz unseres ehrenamtlichen Vertriebsteams und unserer VerkäuferInnen vor Ansteckung ist eine große Herausforderung, die wir sehr ernst nehmen.

Je mehr Menschen sich selbst isolieren, von zu Hause arbeiten, unter Quarantäne stehen und den Kontakt zu Fremden meiden, desto schwieriger wird auch der Straßenverkauf von Zeitschriften. In diesen Wochen und Monaten verzeichnen deshalb alle Straßenmagazine schwere Einbrüche im Absatz. Auch wir werden um unsere Existenz kämpfen müssen. Dabei sind unsere StraßenverkäuferInnen, von denen viele gesundheitlich beeinträchtigt sind, durch das Coronavirus besonders gefährdet. Viele von ihnen sind EU-MigrantInnen und erhalten hierzulande keine Sozialleistungen. Unser Herausgeber, der Verein für Innere Mission, tut weiterhin alles nun Mögliche, um Sozialarbeit zu leisten. Doch es wird schwer, mit unseren VerkäuferInnen über die nächsten Monate überhaupt in Kontakt zu bleiben.

Um ihnen beizustehen, haben wir nun eine Spendenkampagne ins Leben gerufen, die Sie unter https://zeitschrift-der-strasse.de/corona/ auch im Netz finden. Wir benötigen jeden Euro. Wenn Sie uns helfen wollen, können Sie Ihre Spende an folgende Adresse überweisen:

Verein für Innere Mission in Bremen
IBAN: DE 22 2905 0101 0001 0777 00
BIC: SBREDE22XXX
Verwendungszweck: Zeitschrift der Straße

Oder nutzen Sie für Ihre Spende unser Spendenformular. Es wird uns von betterplace.org zur Verfügung gestellt. Alle Daten werden verschlüsselt übertragen. Zu Beginn des kommenden Jahres erhalten Sie eine Spendenquittung.

Die Hilfe muss weitergehen!

Klicken Sie auf das Cover, um die Solidaritätsausgabe #77 LEIBNIZPLATZ als PDF herunterladen. Bitte zeigen Sie Ihre Solidarität mit Ihrer Spende.

Viel Spaß beim Lesen wünschen Jan Zier, Tanja Krämer und das Team der Zeitschrift der Straße