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VON LERNPROJEKT ZU LERNPROJEKT

Nachdem sie in der Zeitschrift der Straße von der Reihersiedlung gelesen hatten, entwickelten Studierende aus Oldenburg eigene Konzepte für die Schlichtbauten

Viele Menschen machen sich derzeit Gedanken über die Zukunft der Reihersiedlung, einem Ensemble von Schlichtbauten in Bremen-Oslebshausen. Nur die Vonovia nicht so richtig – der sie aber gehören. Nachdem die Zeitschrift der Straße der Reihersiedlung im vergangenen April eine eigene Ausgabe gewidmet hatte, haben nun zehn studentische Teams der Jade-Hochschule aus Oldenburg städtebauliche Entwürfe zur Zukunft der Siedlung entwickelt: ein Lernprojekt bringt ein Lernprojekt hervor. Die Ergebnisse sind bis Ende Februar in der Stadtteilbibliothek West in Gröpelingen zu sehen.

„Es geht nicht darum, Lösungen zu finden“, sagt Hartmut Stechow, Professor für Städtebau an der Jade-Hochschule, der für seine Studierenden einen professionellen Wettbewerb mit Fachjury und Geldpreisen organisiert hatte. Er will Ideen für soziale Stadtentwicklung ausarbeiten. In der Reihersiedlung gab es ursprünglich 52 Wohnungen, doch ein Großteil steht mittlerweile leer. Wer hier noch in einem der Häuschen lebt, hat noch einen Holzofen, dafür zahlt er für knapp 40 Quadratmeter aber auch nur 170 Euro Kaltmiete. Die BewohnerInnen haben allesamt nur wenig Geld zum Leben, sind aber auch mit wenig Komfort zufrieden. Der Politik gelten sie zumeist als „nicht geschosswohnungsfähig“ und eine Sanierung ihrer Häuschen der Vonovia als „wirtschaftlich nicht darstellbar“. Noch immer ist Zukunft der Reihersiedlung offen – obwohl auch im Bremer Westen mancher in den vergangenen Monaten Pläne für sie gemacht hat. Keiner von ihnen wurde bisher umgesetzt. Für die Studierenden bedeute das, sie könnten „offener und leidenschaftlicher“ planen, so Stechow, zugleich sei ihr Lernprojekt „nicht so abstrakt“. Es ist die Chance, sich eine realitätsnahe Utopie auszudenken – und das schon im 5. Semester, im allerersten städtebaulichen Entwurf des Studiums.

Den meisten Entwürfen ist gemein, dass sie jedenfalls einen Teil der bestehenden Häuser erhalten wollen und Wohnungen nicht nur für die aktuellen BewohnerInnen, sondern auch für SeniorInnen, Studierende, Familien und Wohngemeinschaften bauen wollen. In der Regel wird niedrig und flach gebaut, ein Entwurf plant eine „Wasserstadt“, denn: „Wer am Wasser lebt, ist glücklicher“. Dazu gibt es stets allerlei Gemeinschaftsanlagen, mal mehr, mal weniger Grün, dazu Raum für Gewerbe – und oft sehr viel Parkplätze, obwohl kaum einer der derzeitigen BewohnerInnen ein Auto hat.

Gewonnen hat den Wettbewerb ein Entwurf von Kim-Nadine Bahr, Leah Weimer und Fabian Fritsche, der als einziger eher hoch- als städtebaulich denkt. Er plant mit 44 Wohneinheiten in „ortstypischem Klinker“ – 28 Einzelappartments mit je 42 Quadratmetern, dazu acht Häusern für WGs, die doppelt so groß sind sowie für Familien, die vier Mal so groß sind. Es gibt verkehrsberuhigte Bereiche und hinten, an der Bahn, etwas Platz für Gewerbe – Werkstätten, einzelne Büros, Werkstätten. Auf Platz zwei rangiert das Konzept „Gemeinschaft durch Grün“, das neben 56 Wohnungen für unterschiedliches Klientel auch Gewächshäuser, Gemüsebeete und Obstgärten für die Selbstversorgung vorsieht, aber auch einen Grillplatz, Outdoor-Fitnessanlagen und selbst organisiertes Café. Auch hier bliebe ein Teil der derzeitigen Schlichtbauten bestehen. Im drittplazierten Entwurf gibt es neben den Wohn-Appartments einen Tante-Emma-Laden, eine Bäckerei, eine Kita und einen Arzt, dazu Raum für Gemeinschschaft und für Sport. Und wer mehr Lärm abbekommt, weil er näher an der Bahn wohnt, bekommt dafür besseren Lärmschutz, so die Idee. „Die Menschen dort haben keine hohen Ansprüche“, sagt eine der Studentinnen, „aber sie fühlen sich nicht als Teil der Gemeinschaft“. Mit Hilfe von besserer Infrastruktur wollen sie die BewohnerInnen integrieren, aber auch neue anlocken.

Leah Weimer vom Gewinnerteam mit Bau-Unternehmer Thomas Stefes

Mit zur Jury gehörte auch der Bau-Unternehmer und Projektentwickler Thomas Stefes, der die Reihersiedlung selbst „komplettsanieren“ wollte, wie er sagt. Es sollte „keine Luxussanierung“ werden, aber die Häuser energetisch und bauphysikalisch „auf die Höhe der Zeit“ bringen, wie er sagt. Er wollte „den Menschen eine Chance geben“, sagt er – und kalkulierte nach eigenen Angaben mit Mieten von fünf bis sechs Eure pro Quadratmeter. Das ist zumindest weniger als jene 6,50 Euro, die üblicherweise für Sozialwohnungen gelten. Seine Idee, sagt Stefes, sei aber am Widerstand der Vonovia gescheitert. Den Studierenden ruft er zu: „Lassen Sie sich in ihren Ideen nicht demotivieren“.

Auch die Nachbarn aus der Tucholskystrasse wollen Konzepte für die Be- und AnwohnerInnen entwickeln, wie sie in einem offenen Brief schreiben, und zwar schon „seit mehr als einem Jahr“  – ihr Ziel: die „unhaltbaren und zum Teil menschenunwürdigen Unterbringungszustände“ in der Reihersiedlung zu beenden. Wobei die BewohnerInnen ihre Häuser durchaus nicht  menschenunwürdig finden. Von der Zeitschrift der Straße danach gefragt, antwortete eine von ihnen: „Gar nicht! Die kennen das nicht, und die haben auch einen ganz anderen Lebensstandard als unsereiner“.

Die Nachbarn fürchten, dass die Vonovia neue Leute in die leer stehenden Schlichtbauten ziehen lässt, etwa durch Zuzüge aus den beiden anderen Schlichtbau-Siedlungen der Vonovia, deren Abriss schon fest steht. „Die Strategie, sozial schwierig zu integrierende Menschen über Stadteilgrenzen hinweg zu gettoisieren um andere Bremer Immobilien der Vonovia aufzuwerten, verschärft das soziale und materielle Problem für den Stadtteil Oslebshauen“, schreiben die NachbarInnen, die beklagen, dass der Wohnungsbau-Konzern sie „abblockt“. Zugleich betonen sie, dass sie die derzeitigen BewohnerInnen der Reihersiedlung „nicht wegsiedeln“ wollten. Eine Sanierung der Schlichtbauten macht aus ihrer Sicht indes „keinen Sinn“.

Die Vonovia wolle sich zwar „langfristig“ von der Reihersiedlung trennen, erklärte ein Unternehmenssprecher auf Nachfrage – das wollte der Wohnungsbaukonzern aber auch schon vor einem Jahr. Man sei „im Gespräch“ und führe Verhandlungen, habe aber „noch keinen passenden Partner“ gefunden, heißt es. In Eile ist die Vonovia nicht, vielmehr will sie sich zunächst um ihre beiden anderen Schlichtbau-Siedlungen in Bremen kümmern, die Neubauten weichen müssen. Ein Abriss der Reihersiedlung sei nicht geplant, so die Vonovia, weitere Zuzüge aber auch nicht. Es bleibt also alles offen.

Die Ausstellung ist bis 28. Februar in der Stadteilbibliothek West (Lindenhofstraße 53) zu sehen.

Text & Fotos: Jan Zier