Author: Michael Vogel

INFLATIONSAUSGLEICH FÜR STRASSENVERKÄUFER:INNEN

Diese Woche ist unsere 100. Ausgabe erschienen! Es macht uns sehr stolz, dass wir soweit gekommen sind trotz aller Widrigkeiten entlang des Weges, wie zwei Beinahe-Pleiten 2012 und 2014, einem Neustart 2015 und diversen Corona-Lockdowns unseres Vertriebsbüros 2020 und 2021. Doch zum Feiern ist uns derzeit nicht zumute. Denn unsere Straßenverkäufer:innen sind den stark gestiegenen Preisen vor allem von Lebensmitteln hilflos ausgeliefert. Maßnahmen der Bundesregierung zur Entlastung der Haushalte durch 9-Euro-Ticket, Trankrabatt oder Home-Office-Pauschale kommen bei ihnen nicht an. Gleichzeitig merken wir an unseren Absatzzahlen, dass die Menschen angesichts der Unsicherheit über die weitere wirtschaftliche Entwicklung ihr Geld zusammenhalten. Die Folge ist, dass die Straßenverkäufer:innen nicht nur mit steigenden Lebenshaltungskosten, sondern auch mit sinkenden Verkaufserlösen zu kämpfen haben. Da wir eine Preiserhöhung der Zeitschrift der Straße vorläufig vermeiden möchten, um den Absatz nicht zusätzlich zu bremsen, haben wir uns entschieden, kurzfristig den Verkäuferanteil am Verkaufspreis von 2,80 Euro von 1,40 Euro auf 1,80 Euro anzuheben. Dies ist auf dem Cover der 100. Ausgabe erkennbar. Für die Verkäufer:innen ist dieser „Inflationsausgleich“ eine gute Nachricht und hoffentlich …

#78 CORONA

EDITORIAL: Zurück ins Leben Natürlich ist die Krise noch nicht vorbei. Für uns nicht und für unsere VerkäuferInnen schon gar nicht. Die vergangenen Wochen waren hart für sie. Sie verloren sozialen Halt und einen guten Teil ihrer eh schon kärglichen Einnahmen. Es gab kaum noch KäuferInnen auf der Straße, und auch kaum noch Zeitschriften der Straße. Denn auch wir mussten unser Büro schließen, zum Schutz der VerkäuferInnen und der ehrenamtlichen MitarbeiterInnen. Einzig die StreetworkerInnen blieben, um den Kontakt zu halten und Hefte auszugeben. Nun kehrt das Leben schrittweise zurück, wir können dank vieler toller SpenderInnen – herzlichen Dank! – unsere VerkäuferInnen für ihren Verdienstausfall ein wenig entschädigen. Und es gibt eine neue Ausgabe! Dass sie sich ausschließlich um das Thema Corona dreht, ist nur scheinbar naheliegend.Denn ansonsten widmet sich ja jede unserer Ausgaben einer Straße, einem Platz, einem Ort in Bremen. Und jetzt? Es gibt diesen Ort. In Bremen. Denn im hiesigen Dom wird die Heilige Corona ja schon seit über eintausend Jahren verehrt. Und sie ist, so steht es im Heiligen-Lexikon, durchaus auch für …

HEILIGE CORONA

#78 CORONA – Heiligenstatue im Bremer Dom und Mittelpunkt eines mittelalterlichen Corona-Kultes. Heute allgegenwärtiges Virus, das unser aller Leben verändert hat In Bremen war Corona schon berühmt, lange, sehr lange bevor sie zum Synonym für Quarantäne und Hamsterkäufe mutierte. Sie wurde sogar verehrt. Und zwar gerade hier. Corona lebte im zweiten Jahrhundert nach Christus, in Ägypten oder Syrien, so genau wissen wir das heute nicht mehr. Sie soll, damals 16, bei der Hinrichtung eines gewissen Victor von Siena selbst zum Tode verurteilt worden sein. Corona starb auf schaurige Weise, erzählt die kirchliche Legende, die ja oft eine gewisse Liebe zur Grausamkeit aufweist: Man habe zwei Palmwedel zusammen gebunden und die junge Frau an deren Spitzen gefesselt. Als die Palmen zurückschnellten, wurde Corona zerrissen. In Erinnerung bleibt sie uns als christliche Märtyrerin, als Heilige, natürlich als Jungfrau und mit einem milden, melancholischen Lächeln unter langem Haar. Nach Bremen kam sie dank Erzbischof Adaldag, der im Jahre 965 ihre Reliquien zusammen mit denen von Cosmas und Damian und einigen weiteren Heiligen aus Italien mitbrachte. 1379 wurde ihr …

#77 LEIBNIZPLATZ (digitale Soli-Ausgabe)

EDITORIAL: In Zeiten des Coronavirus Das ist die erste Ausgabe, die nie gedruckt werden wird: Die Zeitschrift der Straße in Bremen hat wegen des Coronavirus ihren Vertrieb eingestellt. Dieses Heft, das am Leibnizplatz in der Neustadt spielt, erscheint deshalb ausschließlich online. Für alle Engagierten ist das eine schmerzliche Erfahrung. Aber der Schutz unseres ehrenamtlichen Vertriebsteams und unserer VerkäuferInnen vor Ansteckung ist eine große Herausforderung, die wir sehr ernst nehmen. Je mehr Menschen sich selbst isolieren, von zu Hause arbeiten, unter Quarantäne stehen und den Kontakt zu Fremden meiden, desto schwieriger wird auch der Straßenverkauf von Zeitschriften. In diesen Wochen und Monaten verzeichnen deshalb alle Straßenmagazine schwere Einbrüche im Absatz. Auch wir werden um unsere Existenz kämpfen müssen. Dabei sind unsere StraßenverkäuferInnen, von denen viele gesundheitlich beeinträchtigt sind, durch das Coronavirus besonders gefährdet. Viele von ihnen sind EU-MigrantInnen und erhalten hierzulande keine Sozialleistungen. Unser Herausgeber, der Verein für Innere Mission, tut weiterhin alles nun Mögliche, um Sozialarbeit zu leisten. Doch es wird schwer, mit unseren VerkäuferInnen über die nächsten Monate überhaupt in Kontakt zu bleiben. Um …

Vertrieb fährt bald wieder hoch

In den letzten Wochen, während unser Vertriebsbüro geschlossen und der Straßenverkauf im Wesentlichen eingestellt war, haben wir auf unsere Spendenkampagne eine tolle Welle der Solidarität erfahren. Es gingen 14.500 Euro an Spenden ein! Os jogos online e apostas esportivas mais populares são todos Lampions Bet . Tenta a tua sorte! Plataforma de jogos online para jogadores brasileiros Lampions Bet , inscreva-se e reivindique seu bônus de boas-vindas! Wie versprochen, zahlen wir diesem Betrag direkt an unsere StraßenverkäuferInnen aus, um ihnen einen Teil ihrer Verdienstausfälle aus dem Straßenverkauf zu ersetzen. Vorrang haben Menschen ohne Anspruch auf staatliche Leistungen. Die Auszahlungen erfolgen in kleinen Beträgen und werden sich bis Juli hinziehen. Dann bewerten wir die Lage neu und entscheiden, ob wir die Auszahlungen fortsetzen. Das folgende Video dokumentiert den Ablauf. . Allerdings haben unsere anderen Hilfsprojekte durch die „Corona-Auszeit“ gelitten. Die Weiterfinanzierung der Uni der Straße ist unklar. Das Fundraising für ein Lastenfahrrad zur Auslieferung von Zeitschriften konnte nicht beginnen. Und die digitale Solidaritätsausgabe #77 LEIBNIZPLATZ haben wir aus unseren Reserven finanziert. Deshalb halten wir unseren SPENDENAUFRUF …

#76 GRÖPELINGER HEERSTRASSE

EDITORIAL: Hingehen und ankommen Gröpelingen: ein Stadtteil im Westen Bremens, den so mancher Bremer wohl noch nie wirklich besucht hat. Wenige Stadtteile bei uns haben einen so schlechten Ruf, wenige wecken so viele Berührungsängste. Dabei hat Gröpelingen viel zu bieten. Man muss nur hinschauen. Und natürlich haben wir das gemacht: Unsere AutorInnen sind ausgeschwärmt entlang der Hauptschlagader Gröpelingens, der Gröpelinger Heerstraße. Knapp drei Kilometer mitten durch den Stadtteil, entlang an türkischen Gemüseläden, Cafés, Altbremer Reihenhäusern und jeder Menge Geschichten. Wir sprachen mit KontaktpolizistInnen über Clankriminalität, Drogenhandel und Gewalt – und darüber, ob der Stadtteil tatsächlich so schlimm ist, wie sein Ruf. (Seite 12). Wir trafen Menschen, die Kindern und Jugendlichen im Atelier Roter Hahn Kunst nahebringen und ihre Kreativität fördern (Seite 24). Und sprachen mit einer Frau, die einst unter psychischen Problemen litt, nun aber als Genesungsbegleiterin Menschen mit ebensolchen Problemen professionell unterstützt (Seite 9) Und wir haben kurz vor seinem Abriss noch einmal das knapp hundertjährige Tram-Depot der Bremer Straßenbahn AG besucht und in Bildern dokumentiert (Seite 16). Außerdem begrüßen wir in dieser Ausgabe …

„WER SIND WIR, ZU URTEILEN?“

#76 GRÖPELINGER HEERSTRASSE – Katharina Kähler ist die neue Leiterin der Wohnungslosenhilfe des Vereins für Innere Mission in Bremen. Ein Gespräch über die Probleme von Menschen ohne Obdach, neue politische Konzepte und erfüllende Erlebnisse Frau Kähler, Sie sind seit Dezember bei der Inneren Mission mit der Wohnungslosenhilfe betraut. Was wollen Sie erreichen? Es ist unheimlich viel Gutes gewachsen in diesem Bereich, ein beeindruckendes Netzwerk in Bremen, in der Trägerlandschaft, im Kontakt mit denjenigen, die wir erreichen wollen. Davon möchte ich vieles erhalten. Gleichzeitig müssen wir uns mit neuen Herausforderungen beschäftigen, dem Bundesteilhabegesetz etwa oder dem Thema „Housing First“. Der rot-grün-rote Senat hat sich „Housing First“ in den Koalitionsvertrag geschrieben. Wie stehen Sie dazu? Erst einmal muss man das Schlagwort „Housing First“ inhaltlich füllen. Der Ansatz ist, unbürokratisch Wohnraum für Menschen zur Verfügung zu stellen. Wohnen ist ein Menschenrecht, deshalb finde ich den Ansatz grundsätzlich gut. Die Frage ist, wie wir das umsetzen wollen, auch auf sozialpolitischer Ebene. In Bremen ist die soziale Wohnbau-Politik ja sehr im Rückstand. Es ist kein ausreichender Wohnraum vorhanden. Was wir …

„Der Wurm muss dem Fisch und dem Angler schmecken“

#75 BROMMYPLATZ – Bertold Reetz (oben links) und Michael Vogel haben 2010 zusammen die Zeitschrift der Straße gegründet – jetzt geben sie die Leitung des Projektes ab. Ein Gespräch über Konzepte und Lernerfolge, Krisen und die Zukunft     . Warum habt ihr überhaupt eine Straßenzeitung gegründet? Michael Vogel: Das Ganze hat als Lernprojekt für Studierende begonnen – und nicht in erster Linie als Straßenmagazin. Dass es dann doch so gekommen ist, lag daran, dass es in Bremen bis 2011 noch kein eigenes Straßenmagazin gab.   Bertold Reetz: Wir hatten bei der Inneren Mission ja schon mal eine Straßenzeitung entworfen, der Vorstand hat dann aber entschieden, dass das finanzielle Risiko zu groß ist. Damit war das für mich erst einmal gegessen – bis Michaels Studierende aus Bremerhaven vorbeikamen. Michael Vogel: Das wesentliche Argument war, dass das Projekt erst einmal kein eigenes Personal benötigen würde. Die Studierenden sollten das einbringen, was sie in ihrem Studium lernen und dabei etwas machen, was sie sonst nur für ihre ProfessorInnen getan hätten. Damit war zugleich ein viel geringer wirtschaftlicher Aufwand für die …

#75 BROMMYPLATZ

EDITORIAL: Das kostet Leben Die Zeitschrift der Straße ist teurer geworden, um 30 Cent, um genau zu sein. Das heißt: In diesem Jahr bekommen unsere VerkäuferInnen eine Gehaltserhöhung! Denn wir teilen uns das Geld brüderlich. 1,40 Euro gehen pro Ausgabe an die Menschen, die sie verkaufen. Und 1,40 Euro gehen an uns, die wir dieses Heft (und noch ein paar andere Sachen) für die Wohnungslosen machen. Der Grund für die Preiserhöhung ist simpel: Das Leben ist teurer geworden. Auf der Straße sowieso. Aber auch die Produktion dieser Zeitschrift kostet mehr als früher – etwa das Papier, auf dem diese Zeilen stehen. Da wir knapp kalkulieren, um dieses Sozialprojekt überhaupt realisieren zu können, müssen wir diese Kosten an Sie weitergeben. Wir hoffen, Sie bleiben uns dennoch gewogen! Im neuen Jahr sind wir zunächst mal nach Peterswerder gezogen, wo wir mit einem Stadtplaner darüber geredet haben, wie der Gründerzeitplatz zu dem wurde, was er heute ist (Seite 12). Außerdem haben wir einen Mann getroffen, der zwar blind ist, aber findet, dass es ja noch Schlimmeres gibt im …

EIN GUTER VORSATZ FÜR 2020

„Likes“ sind die digitale Währung für Sichtbarkeit und Anerkennung in den sozialen Medien und lösen die Produktion des Glückshormons Dopamin aus. Der hohe Anteil von Selfies in Timelines auf Instagram, Facebook etc. zeugt davon, wie wichtig Sichtbarkeit für das eigene Ego ist. Wer im Netz keine Schar von „Freunden“ und Followers hat, ist speziell bei jüngeren Altersgruppen gesellschaftlich geradezu irrelevant. Wie ergeht es da Menschen, die nicht nur in der virtuellen Welt unsichtbar sind, sondern sogar in der realen? Menschen, die konsequent übersehen werden, weil ihr Anblick andere Menschen an Abgründe erinnert, die sie lieber verdrängen möchten? Menschen, die nicht nur keine „Likes“ erhalten, sondern vertrieben, ausgegrenzt und diskriminiert werden? Täglich. Die aus politischem Kalkül sogar in amtlichen Statistiken unsichtbar sind: Menschen ohne Wohnung. Diese Bevölkerungsgruppe hat weder das Selbstbewusstsein, noch die Ressourcen, um für die eigenen Interessen kämpfen. Auf sich allein gestellt, wären wohnungslose Menschen nicht nur unsichtbar, sondern auch sprachlos. Zum Glück haben sie in Bremen eine kleine Lobby, die ihnen eine Stimme und ein wenig politisches Gewicht verleiht. Zu dieser Lobby gehören …